Kinderbetreuung:"Wann ändert sich denn endlich mal was?"

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Viele Eltern wünschen sich ein besseres Kinderbetreuungsangebot, doch Erzieherinnen und Erzieher sind rar. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Eigentlich soll es bei einer Podiumsdiskussion im Alten Kino um positive Kommunikation zu Hause und in der Kita gehen. Doch schnell wird klar: Die vielen Erzieherinnen und Erzieher im Publikum treibt gerade etwas ganz anderes um.

Von Ulli Kuhn, Ebersberg

"Ist das noch zu schaffen, was denken Sie?" Das ist die Abschlussfrage von Sozialpädagogin und Moderatorin Sandra Lößl an die Experten der Podiumsdiskussion im Alten Kino. Die Frage bezieht sich auf den Personalnotstand bei der Kinderbetreuung. Die Antwort - durchwachsen. "Ich bin da eher pessimistisch", sagt der Leiter der Kita St. Benedikt in Ebersberg, Adrian Bonnetsmüller. "Wir dürfen nicht unter allen Bedingungen weitermachen, jeder muss die Brisanz des Themas begreifen." Seine Podiumskolleginnen sind verhalten positiver - wenn auch sie die Einschätzung teilen, dass sich dringend etwas ändern muss.

"Gemeinsam die Welt retten! Was positive Sprache kann": So lautet eigentlich der Titel der Veranstaltung des Kreisbildungswerks im Alten Kino am Dienstagabend. Doch auch wenn das Impulsreferat von Julia Berkic, Diplompsychologin am Staatsinstitut für Frühpädagogik und Medienkompetenz in München, auf große Zustimmung stößt - klar wird an dem Abend, dass die Erzieherinnen und Erzieher momentan vor allem die schwierigen Arbeitsbedingungen, die Mangelverwaltung in der Kinderbetreuung und die Kritik von vielen Seiten umtreiben.

Auf dem Podium: Sandra Lößl vom KBW, Diplompsychologin Julia Berkic, SPD-Landtagsabgeordnete Doris Rauscher, Adrian Bonnetsmüller, Leiter der Kita St. Benedikt, und Gabriele Pfanzelt von der Arbeiterwohlfahrt (von links). (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Ihre Sorgen äußern die etwa 50 Besucherinnen und Besucher nicht nur bei der Podiumsdiskussion, auch bei Gesprächen am Rande der Veranstaltung geht es nur um dieses Thema. "Ich bin seit über 20 Jahren dabei, wann ändert sich denn endlich mal etwas?", fragt eine Erzieherin. Die Leiterin einer Kindereinrichtung im westlichen Landkreis spricht von einem Dilemma: Man könne ja die Probleme nicht richtig ansprechen, "weil man Angst hat, die Falschen zu verärgern". Eine Betreuerin fühlt sich bisweilen zu Unrecht von Eltern kritisiert: "Aber wir versuchen doch wirklich, alles zu tun, um zu helfen."

"Die Politik wird ihre Prioritäten nicht anders setzen"

Auch die Fachleute auf dem Podium sprechen die aktuellen Probleme deutlich an. Gabriele Pfanzelt von der Fachberatung der Awo-Kindertagesstätten nennt die vielen Aufgaben, mit denen das Erziehungspersonal zusätzlich belastet wird. "Wichtig ist, dass Erzieher auch wirklich das tun können, was sie am besten können: Erziehen. Leider haben sie viel zu viele Aufgaben, die eigentlich der Träger erledigen oder die Politik besser regeln müsste", so Pfanzelt. Ein pessimistisches Bild zeichnet Julia Berkic: "Wenn die Prioritäten nicht anders gesetzt werden, bin ich eher pessimistisch. Und das müssen wir tun - die Politik wird ihre Prioritäten nicht anders setzen."

Julia Berkic vom Staatsinstitut für Frühpädagogik und Medienkompetenz erläutert die Bedeutung sicherer Bindungen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Wie wichtig eben gerade die Arbeit der Erzieherinnen und Erzieher ist, hatte Berkic zuvor eingehend beleuchtet. Denn Kinder können laut Berkic durch aufmerksame Eltern und Betreuer sichere Bindungen und eine positive Weltsicht entwickeln - oder durch das Fehlen eben dieser das Gegenteil. "Kinder befinden sich immer auf einer Wippe. Auf der einen Seite steht das Bedürfnis nach der Erforschung ihrer Umwelt - auch Explorationsverhalten genannt - und auf der anderen Seite das Bedürfnis nach Bindung - an Eltern, Erzieher oder einfach Freunde", so Berkic.

Sie zeigt ein Beispiel auf: "Wenn Kinder auf dem Spielplatz sind, ist meist die Umwelt viel interessanter als Eltern oder Betreuer. Sie probieren Neues aus, nehmen alles in den Mund was sie finden - sie erforschen die Welt. Das geht aber meist nur solange, bis etwas passiert. Ein anderes Kind nimmt ihnen das Spielzeug weg, ist gemein zu ihnen oder sie fallen hin - dann kippt die Wippe in Richtung Bindungsbedürfnis." Nun wisse sie, so die Psychologin, dass man nicht jedem Bindungsgesuch des Kindes nachkommen könne - dies sei aber auch nicht nötig. Damit ein Kind gesunde Bindungen und eine positive Menschen- und Weltsicht entwickle, sollten Eltern und Betreuer ungefähr zwei Drittel dieser Bindungsgesuche positiv beantworten, so die Psychologin.

"Wenn Kinder lernen, dass ihre Gesuche nicht erhört werden, dann hat das nicht nur Folgen für das Kind selbst, sondern auch für unsere Demokratie." So würden Kinder schon früh lernen, dass es nichts bringe, sich selbst auszudrücken - es höre ja sowieso niemand zu. "Man trainiert Kindern so schon sehr früh das politische Interesse ab", so Berkic.

Viele Betreuer sind am Ende ihrer Kräfte

Deshalb sei positive Sprache, Achtsamkeit und auch eine Kommunikation auf Augenhöhe mit dem Kind wichtig, so der gemeinsame Konsens der Diskutanten. Nur sei es, durch den akuten Personalmangel und die daraus resultierende angespannte, stressige Arbeitssituation schwierig, diesen Standard zu erfüllen, so die Argumentation von Kita-Leiter Adrian Bonnetsmüller und auch Träger-Vertreterin Gabriele Pfanzelt. "Wir haben um die 25 Kinder in einer Gruppe - das ist viel zu viel. Nun sind die ganzen Corona-Maßnahmen weggefallen, das Arbeitspensum ist aber trotzdem nicht gesunken", sagt Bonnetsmüller. Woran das liege, könne er sich nur schwer erklären.

Das und natürlich auch private Probleme sorgten für enormen Stress bei Eltern und Personal, so Berkic. "Viele Betreuer müssen sich eigentlich erst einmal selbst heilen, um dann wieder für die Kinder da sein zu können", sagt sie. Das bedeute natürlich auch, dass die Träger ihnen die Möglichkeit geben müssten. Wenn die Personalsituation einmal gut sei, dürfe man nicht gleich wieder eine Fachkraft in eine andere Kita verschieben, wie es oft passiere, sagt Pfanzelt und erntet Applaus vom Publikum.

Pfanzelt spricht auch an, dass sich immer weniger Personal für Fortbildungen anmelde. Bonnetsmüller nennt einen möglichen Grund: "Ich lege meinen Mitarbeitern immer ans Herz, sich anzumelden. Diese haben aber oft ein schlechtes Gewissen, die Kollegen so für drei Tage im Stich zu lassen." Eine Kita-Leiterin aus dem Publikum merkt hierzu an: "Immer mehr wirklich gute Erzieher gehen in Rente, und es kommen einfach zu wenige nach." Aus ihrer Sicht verliere die Ausbildung durch neue staatliche Regelungen an Qualität.

Trotz all der Probleme bleibt bei den Teilnehmenden am Ende ein kämpferischer Wille. Aufgeben sei keine Option, sagen viele der Erzieherinnen und Erzieher im Publikum. Pfanzelt betont zum Schluss: "Erzieher ist trotz allem einer der tollsten Berufe auf der Welt. Ich kenne keinen Beruf, der so viel Spaß macht, Kreativität und auch Abwechslungsreichtum bietet wie die Kindererziehung." Und auch Doris Rauscher, Ebersberger SPD-Landtagsabgeordnete und Mitglied der Kinderkommission im Landtag, gibt sich am Ende verhalten optimistisch: "Ich glaube, wir können es schaffen, wenn jeder mit anpackt."

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