Kirchseeoner Bahnschwellengelände:Giftige Grüße von gestern

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Der rote Turm ist eines der letzten Gebäude, die auf dem ehemaligen Bahnschwellengelände in Kirchseeon stehen. Ein Ratsbegehren soll nun die Richtung vorgeben, wie es mit dem Areal weitergeht. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

In Kirchseeon soll das ehemalige Bahnschwellen-Gelände bebaut werden. Allerdings ist das Areal erheblich mit Schadstoffen verseucht. Die Reinigung dürfte schwierig werden.

Von Andreas Junkmann, Kirchseeon

Wilfried Seidelmann macht aus seinem Ärger keinen Hehl: "Wir werden uns vehement dagegenstemmen. Ich gebe da keine Ruhe", sagt der Freie-Wähler-Kreisrat und ehemalige Kirchseeoner Hausarzt. Was Seidelmann solche Sorgen bereitet, sind die Pläne der Hamburger ECE Group, die das ehemalige Bahnschwellengelände in der Marktgemeinde bebauen will. Das 16,5 Hektar große Areal ist allerdings wegen seiner Geschichte erheblich mit hochgiftigen Schadstoffen belastet, die vor einer möglichen Erschließung beseitigt oder zumindest versiegelt werden müssen. Darüber, wie das gehen könnte, hat sich nun eine Münchner Ingenieurgesellschaft im Auftrag der ECE Group ihre Gedanken gemacht.

Eine historische Aufnahme der Kirchseeoner Bahnschwellenfabrik. Im Hintergrund ist der Wasserturm zu erkennen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Deutlich weniger nachgedacht hatte man hingegen Mitte des 19. Jahrhunderts, als im damals noch kleinen Örtchen Kirchseeon mit der Produktion und Imprägnierung von Bahnschwellen begonnen wurde. Die Firma verhalf der heutigen Marktgemeinde zwar zu einem enormen wirtschaftlichen Aufschwung, hinterließ als Erbe jedoch auch eine Fläche, die bis heute mit Teerölen, Quecksilber und anderen Stoffen verunreinigt ist. Mit eben jenen Mitteln nämlich wurden damals die Holzbalken für den Schienenbau gegen Verwitterung haltbar gemacht. Allerdings hatte man sich bei den Königlich Bayerischen Staatseisenbahnen, die das Schwellenwerk betrieben haben, nicht sonderlich viel um die Entsorgung der giftigen Stoffe gekümmert und sie stattdessen einfach im Boden versickern lassen.

Aus dem Boden sind tonnenweise Teeröl und mehr als sechs Kilo Quecksilber gefiltert worden

Die Folgen davon sind bis heute in Kirchseeon zu sehen. Unmittelbar neben den Bahngleisen ging im Jahr 2005 eine Grundwasser-Reinigungsanlage in Betrieb, die bis 2016 insgesamt 4,7 Tonnen Teeröl abpumpte. Zudem wurden seither 10,7 Tonnen reines Teeröl und mehr als sechs Kilogramm Quecksilber von dem Gelände entsorgt. "Das ist kein Lutscherl, das ist ein gigantisches Ding", sagt deshalb Wilfried Seidelmann, der sich seit Jahren für eine fachgerechte Sanierung der Fläche einsetzt. Die Pläne der ECE Group sieht der Arzt im Ruhestand deshalb kritisch, weil er wegen wirtschaftlicher Interessen eine Vernachlässigung der Bodensanierung befürchtet.

Im Untergrund des Geländes schwappen die Altlasten. Das Bild von 2016 zeigt den damaligen Kirchseeoner Bürgermeister Udo Ockel zusammen mit Landrat Robert Niedergesäß und Mehran Kamiab vom Büro für Umweltfragen GmbH bei einem Ortstermin in der Reinigungsanlage. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Auf diese lege man jedoch großen Wert, wie die Vertreter des Hamburger Investors schon mehrfach versichert haben. Nun liegt auch ein erster Entwurf vor, wie man den Boden für das geplante Wohngebiet wieder sauber bekommen will. Ziel sei die "Herstellung gesunder Wohn- und Arbeitsverhältnisse für das Gesamtgrundstück", wie es in einem Konzept des Münchner Ingenieurbüros heißt. Dazu soll etwa der stark mit Schwermetallen belastete Bereich im Osten der Fläche komplett versiegelt werden. Dort plant die ECE Group derzeit ein Parkhaus zu errichten. An anderen Stellen soll je nach Verunreinigung die Erde ausgehoben und gereinigt werden.

Das Areal ist laut Wilfried Seidelmann "eine Wundertüte"

Für Seidelmann ist das zu wenig, denn auf der Fläche gebe es eine unheimlich hohe Konzentration an Schadstoffen. Lagerten diese vor einigen Jahrzehnten noch näher an der Erdoberfläche, hätte sich das Gift inzwischen deutlich weiter nach unten abgesetzt. Der Freie-Wähler-Kreisrat fordert deshalb, in den besonders betroffenen Bereichen die Erde bis zu 16 Meter tief auszuheben und zu reinigen. Nur so könne man auf Nummer sicher gehen, dass die Fläche wirklich frei von Schadstoffen ist, noch aber sei das Areal "eine Wundertüte".

Wie wichtig eine umfassende Sanierung des Bodens ist, weiß Seidelmann als Mediziner. Die Stoffe, mit denen einst die Bahnschwellen haltbar gemacht wurden, seien allesamt krebserregend. Vor allem die Quecksilbersalze seien "hochgiftiges Zeug", so Seidelmann, der auch auf die künftigen Generationen verweist, die später auf der Fläche leben sollen: "Wir haben eine Verantwortung." Diese müsse man nun wahrnehmen, denn ist das Gelände erst einmal bebaut, sei der Boden "unwiederbringlich verloren".

In der Stadt Dachau läuft derzeit ein ganz ähnliches Vorhaben

Dass das Areal vor Baubeginn gereinigt werden muss, ist auch den Planern der ECE Group bewusst. Noch sei dieses eine "nicht nutzbare Brachfläche", wie es in dem Sanierungskonzept heißt. Man wolle sich deshalb nun mit Gemeinde, Landratsamt und Wasserwirtschaftsamt abstimmen, um einen konkreten Sanierungsplan zu erarbeiten. Mit dieser Herausforderung steht die ECE Group im Übrigen nicht alleine da. Ein ganz ähnliches Vorhaben beschäftigt derzeit die Stadt Dachau, wo auf dem rund 17 Hektar großen Gelände der ehemaligen MD Papierfabrik ebenfalls ein Wohnquartier geplant ist. Auch dort muss der mit Schadstoffen belastete Boden gereinigt werden, bevor 2024 die ersten Bagger anrollen sollen. Ein ähnlicher Zeithorizont dürfte auch der ECE Group vorschweben, schließlich soll das neue Kirchseeoner Wohngebiet einer ersten Grobschätzung zufolge bereits im Jahr 2032 komplett fertig sein.

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