Inklusion in Markt Schwaben:"Wenn's klappt, dann klappt's"

Lesezeit: 4 min

Wirt Alexander Hoyer und Jasmin Demler im Schweiger Bräu in Markt Schwaben. Hoyer hat ohne lange zu überlegen zugesagt, Demler einzustellen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

13 Jahre lang war Jasmin Demler in einer Behindertenwerkstatt tätig. Dann wagte sie den Sprung in den ersten Arbeitsmarkt, heute ist sie beim Schweiger Bräu in Markt Schwaben angestellt. Über den Mut zur Inklusion, auf allen Seiten.

Von Merlin Wassermann, Markt Schwaben

Jasmin Demler ist eine behutsame Frau, sie wählt ihre Worte mit Bedacht. Die 38-Jährige sitzt vor einer Cola an einem Tisch des Schweiger Bräu in Markt Schwaben, ihre Arbeitsstelle seit nunmehr einem Jahr. Denn so behutsam Demler, die mit atypischem Autismus lebt, auch sein mag: Wenn sie etwas will, setzt sie sich dafür ein.

So etwa ihre gewohnte Umgebung zu verlassen und es nochmal auf dem ersten Arbeitsmarkt zu versuchen. 13 Jahre lang hatte sie in der offenen Behindertenwerkstatt (OBA) der AWO Ebersberg gearbeitet, ob in der Werkstatt, Küche oder andernorts. Zuvor hatte es die gelernte hauswirtschaftstechnische Helferin bereits ein paar Mal auf dem Arbeitsmarkt probiert, etwa in einer Wäscherei. So recht funktioniert hat es da aber nicht. "Ich brauche klare Strukturen", sagt Demler und die seien nicht überall vorhanden.

Das hielt sie aber nicht davon ab, es nochmal zu probieren. "Die Arbeit in der Werkstatt hat mir immer Spaß gemacht", sagt sie. Aber nach all der Zeit fand sie es dann doch etwas "eintönig". Also wandte sie sich an Marilies Huber - die damals in der OBA tätig war und jetzt mit am Tisch im Brauhaus sitzt - und bat sie um Hilfe.

Marilies Huber, Walentina Dahms und Alexander Hoyer halfen Demler, eine Anstellung zu finden

Was folgte, war eine Serie an beherzten "Jas", um Demler ihren Wunsch zu erfüllen. "Ich war sofort dafür", erzählt Marilies Huber, die in der AWO unter anderem dafür zuständig war, Menschen aus den Werkstätten und in den Arbeitsmarkt zu bringen. "Ich habe mich dann gleich mit Walentina in Kontakt gesetzt und sie um Rat gefragt."

Walentina Dahms (CSU) ist stellvertretende Bürgermeisterin, Bürgermeisterkandidatin bei den anstehenden Wahlen im Juni und nicht zuletzt Geschäftsfrau - oder um es anders auszudrücken: gut vernetzt. Sie sitzt neben Demler und war ebenfalls sofort Feuer und Flamme. Als Unternehmerin und Politikerin sei es ihr ein Anliegen, möglichst viele Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Also ging sie ihre Kontakte durch. "Ich hatte viele Leute auf meiner Liste, bei denen ich mir vorstellen konnte, dass sie dafür offen sind", sagt sie. "Aber ganz oben stand der Alex."

Das letzte "Ja" in der Reihe kam dann auch von Alexander Hoyer, dem Wirt des Schweiger Brauhaus, der neben Huber sitzt. Er hätte "keine Bedenken" gehabt, Demler einzustellen. "Es ist unsere Aufgabe als Gesellschaft, Inklusion zu betreiben und die richtigen Aufgaben für die Menschen zu finden." Kollektives Nicken am Tisch. Inklusion in den Arbeitsmarkt sei wichtig für Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, für die Selbstbestimmung und könne helfen bei der Bekämpfung des Fachkräftemangels.

Zu Jasmin Demlers Aufgaben gehört es auch, Zwiebeln zu schneiden. Tränen vergießt sie deswegen aber nicht, ihr mache die Arbeit Spaß. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

So kam es, dass Jasmin Demler nun täglich von 13 bis 18 Uhr im Schweiger Brauhaus in der Küche aushilft. Zu ihren Aufgaben gehört es, Ware einzuräumen, Gurken und anderes Gemüse zu schneiden, die Kühlräume zu säubern, Deko vorzubereiten und einiges mehr. Alle Aufgaben machen ihr Spaß, sofern sie in der für sie richtigen Struktur arbeiten kann: "Es hilft mir, genau zu wissen: Diese Woche muss ich den Kühlraum putzen, nächste Woche Ware verräumen, und so weiter."

Die größte Herausforderung beim Einstieg war dann auch die Zeiteinteilung. Wird Demler zu sehr unter Druck gesetzt, stößt sie schnell an ihre Grenzen. Eine App, die im Schweiger Bräu benutzt wird, half ihr dabei, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. "Und im Zweifelsfall frage ich einfach", sagt Demler. Auch aufgrund dieser Selbständigkeit lautet das Fazit nach einem Jahr: Es läuft gut.

Demler bevorzugt es, von "Menschen mit besonderem Förderbedarf" zu sprechen

Wieso nicht öfter so? Derzeit gibt es in Bayern circa 37 000 Plätze in Werkstätten für Menschen mit Behinderung, die Wartelisten sind lang, wie Huber erzählt. Doch obwohl begehrt, würde die Arbeit dort die Menschen auch als abgesondert von der Gesellschaft ausweisen. Außerdem liege die Bezahlung trotz teilweise harter Arbeit weit unter dem Mindestlohn. Demler freut sich über das deutlich höhere Gehalt, das sie trotz Teilzeitarbeit erhält und das ihr mehr Spielräume gibt, etwa, wenn sie sich mit Freundinnen in München trifft.

Aus diesen Gründen gibt es mittlerweile stärkere Bemühungen, Inklusion in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen, doch das ist oft leichter gesagt als getan. Noch immer gebe es bürokratische Hürden, erzählt die Runde, hier sei die Politik gefragt, gibt Dahms zu. Darüber hinaus müssten die Menschen in den Werkstätten den Schritt auf den Arbeitsmarkt wagen wollen, was nicht immer der Fall ist. "Von sich aus kommen sie da oft nicht drauf", erzählt Huber. Und schließlich sei die Skepsis bei den Arbeitgebern ebenfalls oft groß, eine Person mit Behinderung einzustellen - meist unbegründet, wie alle am Tisch übereinstimmen.

Sie finden, dass der Begriff "Menschen mit Behinderung" zu abwertend klinge. Besser fänden Demler und die anderen "Menschen mit besonderem Förderbedarf". Das erlaube es, die Gemeinsamkeiten zwischen allen Menschen zu betonen. "Jede und jeder meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat bestimmte Besonderheiten", sagt Hoyer. Man müsse deswegen stets im Team den richtigen Umgang miteinander finden und aufeinander Rücksicht nehmen. Dahms und Huber fügen hinzu, dass sie es wichtig finden, die Stärken der Menschen mit besonderem Förderbedarf mehr zu betonen, um Stigmata abzubauen.

Toughe Frau in einem toughen Ort: Jasmin Demler in der Küche des Schweiger Brauhaus. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Was nicht bedeutet, dass Menschen mit besonderem Förderbedarf - nun ja - besonderen Förderbedarf benötigen. "Die Küche ist ein tougher Ort", sagt Alexander Hoyer. "Manchmal muss ich meinen Kollegen sagen, dass sie einen Gang runterschalten müssen." Nicht zuletzt deshalb, weil Demler die einzige Frau an diesem "toughen Ort" ist. "Das macht es nicht weniger herausfordernd", sagt sie und lächelt.

Doch Hoyer betont abermals, dass sich Demlers Anstellung nicht übermäßig stark unterscheide von der seiner anderen Mitarbeiter. Sein Betrieb sei ein kleiner, deswegen müsse er sich genau überlegen, wen er anstelle, damit niemand untergehe. Insbesondere größeren Betrieben empfiehlt er jedoch, es auszuprobieren, Menschen aus den Werkstätten heraus anzustellen.

Jasmin Demler wiederum empfiehlt diesen, es auch einfach mit dem ersten Arbeitsmarkt zu probieren. "So habe ich das auch gemacht", sagt sie. "Und wenn's klappt, dann klappt's."

Ansprechpartner für Menschen mit Förderbedarf, die einen Job auf dem ersten Arbeitsmarkt suchen und für Arbeitgeber

Integrationsfachdienst München-Freising (IfD); Bundesagentur für Arbeit (BA)/ Reha-Abteilung; Deutsche Rentenversicherung (DRV), unter dem Stichwort: "Berufliche Rehabilitation" oder Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA); Inklusionsbeauftragte des Landkreises Ebersberg; Sozialverband VdK; Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB); VbA - Selbstbestimmt Leben; Arbeiterwohlfahrt (AWO);

Infos in leichter Sprache gibt es bei den Rehadat Werkstätten.

Arbeitgeber können sich beim Bezirk Oberbayern, beim Zentrum Bayern Familie und Soziales (ZBFS) und bei der einheitlichen Anlaufstelle für Arbeitgeber (EAA) informieren.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusBrauereien im Landkreis
:"Wir befinden uns in einem der brutalsten Biermärkte überhaupt"

Julian Schweiger und Gregor Schlederer sind die jungen Gesichter in ihren Familienbrauereien. Welche Visionen die beiden mit ihren Ebersberger Biermarken verfolgen, erzählen sie im SZ-Interview.

Interview von Saladin Salem

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: