Fledermäuse:Flattern unterm Dachboden

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Fledermäuse wohnen gerne weiter oben, auf einem Dachboden, wie hier im alten Niederseeoner Forsthaus, ist die Wahrscheinlichkeit groß, einigen zu begegnen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Für eine Bestandsaufnahme sucht ein Biologe im Auftrag der Unteren Naturschutzbehörde im alten Forsthaus in Niederseeon nach Fledermäusen. Zwischen Spinnweben, verstaubten Balken und Gerümpel geht es auch um die Frage der Infektionsgefahr.

Von Nathalie Stenger, Moosach

Als sich die Augen an die schummrige Dunkelheit gewöhnen, fallen zunächst einmal die Spinnweben auf. Zahlreiche sind es, groß und schon grau vom Staub hängen sie von der Decke und den Balken. Wer nicht aufpasst, verfängt sich schnell einmal in ihnen. Die Luft ist stickig und liegt schwer auf den Schultern, es ist gut warm auf dem Dachboden des alten Forsthauses in Moosach.

"Da ist sie", sagt Ralph Hildenbrand leise, geht voran und leuchtet mit seiner Stirnlampe den Weg. Er zeigt auf einen kleinen, behaarten Körper schräg über sich, dort hängt der Grund seines Besuchs - eine Fledermaus. Kopfüber hat sie sich an dem tiefbraunen Holz festgekrallt und scheint sich nicht zu stören an dem aufgeregten Gemurmel der Anwesenden.

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:Fledermäusen im Landkreis Ebersberg auf der Spur

Biologen wollen herausfinden, wie viele heimische Arten es in der Region gibt - und hoffen dabei auf Unterstützung aus der Bevölkerung.

Hildenbrand, Diplombiologe aus der Nähe von Starnberg, ist im Auftrag der Unteren Naturschutzbehörde Ebersberg unterwegs. Er soll für eine Bestandsaufnahme gemeldete Fledermausquartiere untersuchen und herausfinden, welche Arten und vor allem wie viele Tiere jeweils im Landkreis Ebersberg zu Hause sind. "Damit man sie besser schützen kann", hat Auftraggeberin Roswitha Holzmann erklärt. Denn Fledermäuse, so wird in den folgenden zwei Stunden beim Besuch in Moosach deutlich, sind "ökologische Schlüsselfaktoren".

Zurück zur Fledermaus an der Decke: "Ein Männchen", verrät Hildenbrand, zumindest sei dies sehr wahrscheinlich, Weibchen würde man eher in Gruppen antreffen. Die Art? Ein Blick zum Boden gibt erste Hinweise auf das Große Mausohr. Diese Gattung ernährt sich vorwiegend von Laubkäfern, deren chitinhaltiges Panzermaterial für die trockenen Exkremente sorgt, die sich nun auf einem Haufen unterhalb der Fledermaus angesammelt haben. Der Forscher kann sie mit den Fingern zu einem glänzenden Pulver zerdrücken. "Da eine ganze Menge davon herumliegt", erklärt er weiter, "gehe ich davon aus, dass das Mausohr schon seit mehreren Jahren hier schläft." Wichtig zu wissen ist aber auch: Das ist nicht bei allen Fledermausarten so. "Manche sind nicht so traditionsgebunden, sondern wechseln alle drei Tage ihr Quartier", sagt Hildenbrand.

Es ist Spätnachmittag unter der Woche, sommerliche Temperaturen locken die Menschen ins Freie. Nur die neugierige Gruppe, die sich beim etwa 120 Jahre alten Haus in Niederseeon bei Moosach zusammengefunden hat, ist sichtlich angetan von dem Gedanken, in der Hitze des Speichers herumzukrabbeln. So eine offensichtliche Bleibe der nachtaktiven und winterschlafhaltenden Säugetiere wie hier sieht man nicht alle Tage. Neben Auftraggeberin Roswitha Holzmann, die sich intensiv für Fledermausschutz im Landkreis einsetzt, sind ihr Kollege Norbert Probul von der Unteren Naturschutzbehörde sowie Kirsten Joas, Försterin und Miteigentümerin des Forsthauses nahe dem Steinsee, dabei. Joas hat das Quartier gemeldet.

Um die Tiere zu beobachten, nutzen die Forscher erstaunliche Methoden

"Die letzten Biotopkartierungen im Landkreis waren vor mehreren Jahrzehnten", erzählt Norbert Probul. Auch damals ging man hier im Forsthaus schon von dem Mausohr aus. Doch heute scheint es noch mehr Arten auf dem Speicher zu geben. "Das könnte eine Breitflügelfledermaus gewesen sein", mutmaßt Hildenbrand, als er über altes Gerümpel auf die andere Seite des Raumes steigt, und die Ausscheidungen an den Wänden und am Boden begutachtet.

Hier befindet sich auch eine faustgroße Lücke in der Wand, das sogenannte Einflugloch. "So kommen die Tiere auf den Dachboden", so der Biologe weiter, "gut erkennbar an den braunen Verfärbungen am Holz, das kommt vom Bauch des Mausohrs". Manche Arten, erklärt der Fledermausforscher, können sich gar durch fingerbreite Lücken zwängen und dort schlafen. Das sind die ganz kleinen, etwa die Zwergfledermaus.

Letztere vermutet Hildenbrand hinter den blauen Fensterläden des Forsthauses. Mittlerweile ist die gesamte Truppe andächtig wieder hinuntergeklettert und steht mit starrem Nacken im Garten vor der östlichen Hausfassade. Unter vereinzelten Läden zeichnen sich dunkle Verfärbungen ab. Hildenbrand sucht zwischen den darunter stehenden Tomatenpflanzen und wird tatsächlich fündig: Ganz kleine Kotkrümel. Doch ob sich hinter den Läden wirklich einige der kleinsten Vertreter der Fledermäuse, ein paar "Zwerge", verstecken?

Fledermausspezialist Ralph Hildenbrand. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Mit einem herkömmlichen Spiegel versucht der Fledermausexperte, die Sonne im richtigen Winkel einzufangen und ihre Strahlen auf die Fassade zu reflektieren. Und tatsächlich: Hinter einem der Holzbretter im ersten Stock scheint sich ein dunkler Körper zu bewegen. Um was für eine Art es sich handelt, lässt sich später jedoch selbst aus der Nähe - Hildenbrand lehnt sich dazu weit aus dem Fenster - noch nicht feststellen.

"Ich bin mir zu 99,7 Prozent sicher, dass ich in ein paar Stunden wieder in diesem Garten rumlungern werde", warnt der Biologe Miteigentümerin Kirsten Joas deshalb lachend vor, als er anschließend noch Balkon und Westseite des Hauses untersucht. "Das ist noch nicht das, wonach wir suchen." Bei so viel Kot und Hinweisen auf Tiere müsse es noch mehr Arten auf dem Grundstück geben.

Zuletzt stellt Ralph Hildenbrand seinen Batcorder auf. Das Gerät in Tarnfarben wird auf einem langem Metallstab befestigt und in den Boden gesteckt. Es nimmt das Echolot der kleinen Säugetiere auf, wenn sie nachts ihr Quartier verlassen, um Insekten zu jagen. Hintergrundgeräusche von anderen Tieren bleiben dabei unbeachtet. Mit einem speziellen Programm kann Hildenbrand dann die Ultraschallgeräusche der Fledermäuse, die Erwachsene im Normalfall nicht wahrnehmen, in hörbare Rufe umwandeln und den verschiedenen Arten zuordnen.

Als er den Aufbau nahe der Hecke im Garten betrachtet, spricht Hildenbrand ein Thema an, das insgeheim wohl allen Anwesenden auf der Zunge brennt. Fledermäuse und Corona. "Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass unsere Fledermäuse Corona-Überträger sein können." Soweit der aktuelle Stand der Wissenschaft, wie der Biologe sagt. Die Art, die mit Corona in Verbindung gebracht wird, sei die ostasiatische, also eine fruchtfressende Fledermausart, erklärt er weiter. Bei unseren handelt es sich um insektenfressende Arten. Außerdem sind die Quartiere der ostasiatischen Art viel größer - die Tiere leben dort in gigantischen Kolonien - das Höhlenmilieu ist somit anders, außerdem ist der Kot deutlich feuchter. "Aufgrund der unterschiedlichen Ökologie geht man davon aus, dass in unseren heimischen Quartieren keine Bedingungen bestehen, unter denen sich das Virus gut halten könnte", so Hildenbrand. Ob sich die Fledermaus allerdings bei einem Coronainfizierten anstecke, wenn dieser das Quartier betrete, ließe sich jetzt noch nicht sagen. "Wenn man die Tiere berührt, tragen wir natürlich Handschuhe und Maske", sagt der Fledermausexperte.

Die Verbindung zu Corona macht es der heimischen Fledermaus nicht gerade leichter. Sie habe ohnehin schon mit Vorurteilen als Blutsauger und Vampirbegleiter zu kämpfen, erzählt Roswitha Holzmann. "Was oft dazu führt, dass Quartiere negativ aufgefasst werden und man sie loswerden möchte, etwa bei einer Dachrenovierung". Dabei sei der Schutz keine große Sache, betont sie, man müsse nur auf die Untere Naturschutzbehörde zukommen und gemeinsam eine Lösung finden. Die Biologin weiß: Selbst Kleinigkeiten am Haus, wie eine Außenbeleuchtung, die nicht nach oben in mögliche Unterschlüpfe strahlt, sondern nur nach unten auf den Boden, kann den Säugetieren helfen.

Dass Fledermäuse geschützt werden müssen, liegt nicht zuletzt daran, dass sie je nach Art pro Nacht bis zur Hälfte ihres Körpergewichts an Mücken und anderen Insekten vertilgen. "Es geht um biologisches Gleichgewicht", betont Ralph Hildenbrand. "Wenn die Fledermaus durch mangelnden Schutz vertrieben wird, werden andere Arten ihren Platz einnehmen". Was für Arten, wisse niemand. "Es ist ein Spiel mit sehr hohem Einsatz."

Wie angekündigt, wird der Biologe nach einem weiteren Fledermauseinsatz in einer Kirche später am Abend noch einmal zum Forsthaus bei Moosach zurückkehren und sich erneut auf Artensuche begeben. Und Hildenbrand wird Erfolg haben, wie er im Nachhinein erzählt. Bei dem Tier hinter dem Fensterladen handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um eine Kleine Bartfledermaus. Gemeinsam mit dem bereits entdeckten Großen Mausohr vom Dachboden, zehn Zwergfledermäusen und zwei Fransenfledermäusen hat sie sich nach Sonnenuntergang auf Beutefang gemacht. Sie legen dabei in einer Nacht übrigens bis zu 30 Kilometer zurück. Hildenbrand: "Vier Arten an einem Haus! Das ist nicht gerade üblich".

Wer ein Fledermausquartier im Garten, Dachboden oder Keller hat und zum Schutz der Tiere beitragen möchte, kann sich unter 08092/823174 an Roswitha Holzmann von der Unteren Naturschutzbehörde Ebersberg wenden.

© SZ vom 01.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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