Deutsch-französische Jumelage:Freunde statt Feinde

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Die Grafinger Stadtkapelle spielt auf dem Marktplatz von St.Marcellin. Die französischen Spieler in Zivil hatten sich beim damaligen Besuch spontan dazu gesellt. (Foto: privat)

Mit einem Festwochenende feiern Grafing und St. Marcellin das 30-jährige Bestehen ihrer Städtepartnerschaft. Durch einen Zufall entstanden, steht sie heute beispielhaft für den Wandel in den Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg.

Von Thorsten Rienth, Grafing

Ein Foto wie aus Bilderbuchbayern: Im Vordergrund die Abordnung einer Stadtkapelle in Tracht mit ihren Instrumenten, dahinter ein festlich geschmückter weiß-blauer Maibaum, der wiederum vor dem Hintergrund aus sattgrünen Bäumen steht. Alles angestrahlt von einer tiefstehenden Abendsonne. Die Musiker der Grafinger Stadtkapelle kneifen ihre Augen zu oder neigen ihren Kopf nach vorne, damit die Hüte ihre Schatten über die Augen werfen.

Aber das Bild ist nicht in Grafing aufgenommen, wie ganz klein rechts im Bild eine Markise mit der Aufschrift "Bar Le Boulevard" verrät. Stattdessen steht der Maibaum auf dem Stadtplatz von St. Marcellin, dem Camp du Mars. Er ist ein Geschenk aus Grafing, wo die beiden Städte an diesem Wochenende das 30. Jubiläum ihrer Städtepartnerschaft feiern.

Adalbert Mischlewski, der im Januar gestorben ist, war Initiator der Städtefreundschaft. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Zustande kam sie durch einen Zufall: Der frühere Lehrer am Grafinger Gymnasium und spätere Ehrenbürger, der im Januar verstorbene Adalbert Mischlewski, hatte sich im Ruhestand in die Antoniterforschung gestürzt. Der Orden behandelte Kranke, die sich eine sogenannte Antoniusfeuer-Vergiftung zugezogen hatten. Die Erkrankung war im Mittelalter weit verbreitet und so spannte der Orden mit Beginn des 13. Jahrhunderts ein ganzes Netz von Niederlassungen durch Europa - eine Art Vorläufer der europäischen Idee. Regelmäßig besuchte Mischlewski das Stammkloster Saint-Antoine-l'Abbaye in Südostfrankreich. Für die Übernachtungen buchte er sich in der nächst gelegenen Stadt ein, St. Marcellin.

Der frühere Lehrer Mischlewski trug die Idee von einer Partnerschaft dem damaligen Grafinger Bürgermeister vor

Irgendwann hieß es: Der Deutsche ist wieder da, und die Tourismusbeauftragte wollte wissen, ob er nicht eine deutsche Kleinstadt kenne, die Interesse an einer Städtepartnerschaft in Frankreich hätte? Mischlewski trug die Idee dem damaligen Bürgermeister und heutigen Ehrenbürger Alois Kleinmeier vor. In Udo Helmholz, auch er ein ehemaliger Lehrer am Grafinger Gymnasium, hatten die beiden einen Mitstreiter mit ebenfalls persönlichen Verbindungen in die Gegend zwischen Rhône und italienischer Grenze: Ende der 1950er Jahre hatte Helmholz als Student ein Semester in Grenoble verbracht.

Der Rest ist Geschichte - und die hat viel mit der deutsch-französischen zu tun: Die Initiative wäre ohne den knapp 30 Jahre zuvor geschlossenen Elysee-Vertrag, den Freundschaftsvertrag zwischen den beiden Ländern, nicht möglich gewesen. Und sie markierte Anfang der 1990er Jahre für die beiden beteiligten Kommunen den Start in ein Europa ohne Eisernen Vorhang.

Schon 1997 haben die Grafinger in St. Marcellin einen 26 Meter hohen Maibaum aufgestellt. 500 Grafinger waren angereist. (Foto: Otto Hartl/oh)

Die Grafinger fühlten sich ob des französischen Interesses geschmeichelt. Auf der anderen Seite des an St. Marcellin vorbeifließenden Flusses Isère liegt der Vercors. Der von tiefen Tälern durchschnittene Gebirgsstock im äußersten Westen der französischen Alpen diente im Zweiten Weltkrieg als wichtiges Zentrum der französischen Résistance gegen die deutschen Truppen. Die rächten sich, brannten zum Beispiel im Sommer 1944 das Dorf La Chapelle-en-Vercors nieder. In Vassieux-en-Vercors richteten sie über 70 Zivilisten hin, erschossen 19 Verwundete und zwei Ärzte im Höhlenlazarett Saint-Martin und deportierten die Krankenschwestern ins Konzentrationslager Ravensbrück. Kein Wunder, dass gerade die Älteren in St. Marcellin die Partnerschaft zunächst mit einer gewissen Skepsis sahen.

Generationen von Schülern lernen ihre Nachbarländer aus der Familienperspektive kennen

Wer sich kenne, der schieße nicht aufeinander, das war immer das Credo von Mischlewski und Helmholz. Generationen von Grafinger Gymnasiasten und St. Marcelliner Schüler lernen seither ihre Nachbarländer aus der Familienperspektive kennen. Aber nicht nur die familiären Beziehungen führen dazu, dass überkommene Klischees größtenteils aufgegeben werden: Fußballmannschaften kicken gegeneinander, Künstler musizieren miteinander. Auch zwischen den Judoka beider Städte sind die Beziehungen eng.

Für Jugendliche gibt es ein Sommerferienlager. Immer zum dritten Adventswochenende reisen St. Marcelliner Nussbauern mit ihrer Ernte nach Grafing und verkaufen ihre Nuss- und Käsespezialitäten. Beim Frankreich-Stammtisch des Partnerschaftskomitees treffen sich frankophile Grafinger. Was für ein Glück auch, dass mit der im Sommer 2020 verstorbenen Maximiliane Dierauff über Jahre eine engagierte Managerin der Städtepartnerschaft im Rathaus wirkte.

Den ersten St. Marcelliner Maibaum übrigens stellten im Jahr 1997 die Atteltaler Trachtler auf. Längst machen das die Franzosen inzwischen selbst. Beim vergangenen Mal hat jemand einen Wegweiser unter die Zunftschilder gehängt: Grafing, 840 Kilometer.

Das Programm des Wochenendes:

Samstag, 29. April, 19 Uhr: Festakt in der Stadthalle mit musikalischer Umrahmung und Unterhaltung

Sonntag, 30. April, 9.30 Uhr: Stadtführung in München oder Ausflug zum Chiemsee. Eventuell Bildung von zwei Gruppen am Treffpunkt am Hans-Eham-Platz.

Sonntag, 30. April, 19.30 Uhr: International Jazz Day in der Stadtbücherei

Montag, 1. Mai, 11 Uhr: Maibaumaufstellen in Oberelkofen

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