Bildung im Landkreis Ebersberg:Von der Schul- an die Werkbank

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Die beiden Gymnasiasten Fabian (links) und Hjalmar absolvieren ein Schupperpraktikum bei der Grafinger Schreinerei Buberl. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Neuntklässler des Gymnasiums Grafing dürfen sich selbst eine Praktikumsstelle suchen, um einen Einblick in den Berufsalltag zu erhalten. Zum Beispiel in einer Kita, einem Architekturbüro oder einer Schreinerei.

Von Louis Menzel, Grafing

"Das ist jetzt schon eine richtige Leidenschaft von mir." Bruna steht auf dem Spielplatz einer Grafinger Kita und wird von einer Schar Kinder umzingelt. In einer Situation, in der viele andere bestimmt schon die Nerven verloren hätten, bleibt sie ganz gelassen. Doch das scheint nicht immer so zu sein: "Wenn die Kinder in der Früh ankommen, geht es ganz schnell von Null auf Hundert", erzählt die Neuntklässlerin. Und wenn das dann erstmal ein paar Stunden so gegangen sei, brauche sie auch mal eine Pause.

Bruna arbeitet gerade in der Kita "Der gute Hirte", täglich von 8 bis 14 Uhr ist sie dort. Die Woche Schnupperpraktikum in der neunten Jahrgangsstufe gehört zum Pflichtprogramm des Grafinger Gymnasiums. Allerdings dürfen oder müssen - je nach Perspektive - sich die Schülerinnen und Schüler selbst eine Stelle dafür suchen. Trotz anfänglicher Unsicherheit, ob der Kindergarten das Richtige für sie sei, scheint Bruna jetzt doch sehr zufrieden zwischen all den Kleinen. Ihre zweite Option wäre das Eventmanagement gewesen, erzählt sie, in dieser Branche sei es jedoch schwierig, ein Praktikum für nur eine Woche zu finden.

Der Kita-Chef sieht in den Praktika eine sinnvolle Eigenwerbung für seine Branche

Auch Kai Wedekind, der Leiter der Grafinger Kita, sieht die Problematik eines so kurzen Praktikums: Für manche Kindergartenkinder sei es schwierig, sich auf ständig neue Bezugspersonen einzulassen, erklärt er. Zwei weitere Praktikumsanfragen habe man deswegen abgelehnt, zudem teile man Kurzzeitpraktikanten eher den älteren Kindern zu. Diese nämlich hätten meist keine Probleme mit den Neulingen - ganz im Gegenteil: Viele freuten sich, wenn sie von Schnupperpraktikanten betreut werden, die jünger als das pädagogische Kernteam sind.

Ganz allgemein findet Wedekind die Schülerpraktika "gut und wichtig", vollkommen unabhängig von ihrer Länge. Schließlich gehe damit immer ein wenig Eigenwerbung für den Beruf einher, das sehe er nicht nur an den positiven Rückmeldungen der Kinder, sondern auch an denen der Schulen aus der Umgebung. "Und selbst wenn sich später nur einer von 20 tatsächlich für den Beruf entscheidet, ist doch schon etwas gewonnen."

Back to the roots: Bruna macht einwöchiges Schülerpraktikum im Kindergarten. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Wichtig ist dem Kita-Chef in der Woche vor allem, Qualitätsstandards zu vermitteln, trotz der zeitlichen Beschränkung. Denn auch wenn Bruna hier sehr viel Freiheiten in ihrer Arbeit mit den Kindern bekommt: Es ist immer jemand mit genug Erfahrung in der Nähe, der sie unterstützen kann, wenn es beispielsweise mal an der nötigen Strenge mangelt. In manchen Bereichen darf Bruna aber auch gar nicht helfen: Wo es um sensible Bereiche wie die Pflege der Kinder geht, hören die Befugnisse einer Schnupperpraktikantin auf. Windeln zu wechseln und die Kinder auf die Toilette zu begleiten, das übernehmen dann doch lieber die ausgebildeten Kolleginnen.

Ein paar Straßen weiter muss sich Schulkameradin Helena um ganz andere Probleme kümmern: Sie versucht gerade, die Fenster, die sie auf ein großes Papier gezeichnet hat, einheitlich anzuordnen. Helena macht ein Praktikum im Architekturbüro Aschauer-Betz. Anders als Bruna in der Kita kann sie dort leider nicht im Alltagsgeschäft mitarbeiten - dafür fehlten einer Praktikantin einfach sämtliche Vorkenntnisse, erklärt Michael Aschauer, Helenas Chef für diese Woche. Deswegen vergebe er immer kleine Projekte, die zwar nicht relevant seien, den Schülern aber einen Einblick in den Berufsalltag eines Architekten geben sollen. So werde auch meist schnell deutlich, ob jemand geeignet sei für den Beruf oder nicht.

Helena arbeitet beim Architekten viel am Schreibtisch, darf aber auch mal mit auf die Baustelle. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Helena scheint zufrieden mit ihrem kleinen Arbeitsauftrag, kommt aber mit einer anderen Sache nicht so gut zurecht: "Es ist hier im Büro immer so still." Als Ausgleich begleitet sie deshalb Michael Aschauer zu seinen Außenterminen, heute steht eine Baustelle in Grafing Bahnhof auf dem Programm. Zwar hält sich auch hier die Verantwortung der Praktikantin in Grenzen, trotzdem sei es interessant, sagt sie, wie die Vorstellungen auf dem Papier hier zu Realität würden.

Wie Bruna hat sich auch Helena für mehrere Praktikumsstellen interessiert: Nachgefragt hat sie nicht nur beim Architekten, sondern außerdem bei einem Immobilienhändler und einer Werbeagentur; von letzterer aber eine Absage erhalten. Die Auswahl der Betriebe ist für viele Schülerinnen und Schüler die erste große Hürde, ein großer Teil der Neuntklässler nämlich hat noch keine klaren Vorstellungen davon, in welche Richtung es später gehen soll.

Ein wenig einfacher hatten es da Helenas Mitschüler Fabian und Hjalmar: Sie kommen jeweils aus leidenschaftlichen Heimwerkerfamilien, daher fiel ihnen die Wahl einer Praktikumsstelle nicht schwer: Beide arbeiten diese Woche in der Schreinerei Buberl. Die zwei Schüler möchten gerne viel Verschiedenes ausprobiert haben, bevor es für sie in Ausbildung oder Studium geht. Und ausprobieren können sie hier jede Menge: Jeder von ihnen hat sich gerade zwei Tage lang mit Fräse, Handsäge und Schleifpapier an einem Brotzeitbrettchen versucht. Ziel dieser Aufgabe war es vor allem, den zwei Schülern die Arbeit hinter alltäglichen Dingen zu verdeutlichen. Denn auch wenn man mit der Maschine nur vier Minuten für die Brettchen gebraucht hätte: Vieles in diesem Betrieb geschieht nach wie vor per Hand.

Der Schreinermeister erzählt von einem deutlichen Stadt-Land-Gefälle

Damit dabei nichts passiert, haben Schreinermeister Wilhelm Buberl und Lehrling Beni immer ein Auge auf die Praktikanten. Dass das nicht selbstverständlich ist, erklärt Annemarie Buberl, die im Büro arbeitet: Das Kernteam habe gerade alle Hände voll zu tun, immerhin absolvierten zwei der vier Azubis gerade ihre Meisterprüfung und die übrigen Gesellen müssten abwechselnd in den Blockunterricht der Berufsschule. Anderen Schreinereien aus der Umgebung fehlten aus ähnlichen Gründen die Kapazitäten, viele böten gar keine Praktika mehr an. Dass man hier bei Buberl trotzdem weiterhin die Chance auf einen Einblick in den Berufsalltag gibt, sei aber auch im eigenen Interesse: Immerhin hätten bisher alle Beschäftigten auf diese Weise ihren Weg in die Firma gefunden, erzählt Annemarie Buberl.

Als Praktikanten habe man hier Schüler aller möglichen Schularten, sagt Chef Wilhelm Buberl. Die Erfahrungen seien "vom Menschlichen her richtig gut". Körperlich anwesend und interessiert zu sein, sei aber nur die halbe Miete, so der Schreinermeister, er setze schon ein bisschen Vorwissen voraus. Dabei nehme er ein deutliches Stadt-Land-Gefälle wahr, vor allem körperlich und bei den handwerklichen Fähigkeiten. Verschärft würde diese Situation zudem dadurch, dass sich die Ansprüche extrem verändert hätten: "Unser Aufgabenbereich hat sich exorbitant erweitert, wir müssen uns mittlerweile neben der normalen Schreinerarbeit auch noch um Dinge wie Edelstahl und Elektrik kümmern", erzählt Buberl. Davon bekommen Fabian und Hjalmar aber kaum etwas mit: Die beiden sind froh, noch nicht mehr Verantwortung tragen zu müssen. Gestern sei dem Lehrling die Schleifmaschine kaputtgegangen, erzählen sie, deswegen seien sie jetzt doch ganz erleichtert, das große Gerät nicht nutzen zu dürfen.

Von der Idee "Praktikum" generell sind die beiden Schüler überzeugt, sie haben auch schon Pläne für ihre nächsten Bewerbungen: In der elften Jahrgangsstufe möchte Fabian gerne zum Architekten oder Landschaftsgärtner, Hjalmar interessiert sich vor allem für etwas Betriebswirtschaftliches. Das Motto könnte lauten: Jede Erfahrung bringt die Schülerinnen und Schüler ein Stückchen weiter. Denn auch, wenn ein paar nach der Woche wissen, welchen Beruf sie ganz sicher nicht ergreifen wollen, so hat das Praktikum ja doch etwas gebracht. Und mit Blick auf vier weitere Jahre Schule muss man sagen: Genügend Zeit zum Entscheiden haben sie ja noch.

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