Konzert in Gut Sonnenhausen:Von keltischer Kriegstrompete bis E-Gitarre

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Der Fund eines Litophons im Sudan hat Gabi Sabo und Carlton Bunce aus Grafing zu ihrem Großprojekt "Organon" inspiriert. (Foto: Christian Endt)

Ein Grafinger Künstlerpaar arbeitet an einer fiktiven Geschichte des Rock'n'Roll, die mit dem Homo Sapiens beginnt. Im Rahmen des Projekts "Organon" lässt ein internationales Ensemble nun Instrumente erklingen, die man sonst kaum hört. Echte, erfundene und solche, die Jahrhunderte verschollen waren.

Von Michaela Pelz, Glonn

Ein lauschiger Spätnachmittag in einem grünen Grafinger Refugium mit Blick auf ein verwunschenes Teilstück des Urtelbachs. Und während man hier auf einem ganz gewöhnlichen Gartenstuhl sitzt und der einschmeichelnden Stimme von Carlton Bunce lauscht, ist man plötzlich ganz, ganz weit weg. Mitten in der Wüste. Am Ufer des Nils.

Töne und Geschichten gehören zu den frühesten Mitteln, um Menschen in Gemeinschaft zusammenzubringen und friedlich am Lagerfeuer zu fesseln. Nichts anderes - und gleichzeitig sehr viel mehr - haben Bunce und seine Partnerin Gabi Sabo vor: Am Sonntag, 11. September, kann man auf Gut Sonnenhausen erleben, wie sie sich das vorstellen.

Seit 17 Jahren wohnen der Musik- und Schauspiel-Allrounder und die Regisseurin, Dramaturgin und Kultur-PR-Expertin in Grafing, engagieren sich für die unterschiedlichsten künstlerischen Projekte. "Organon" ist ihr wohl persönlichstes - in das sie seit 2016 jede Menge Herzblut, Hingabe, Zeit und in erster Linie privates Geld gesteckt haben.

Alles begann mit einem Lithophon

Ursprung des Ganzen war ihr ehrenamtliches Engagement für den in Oberbayern basierten Verein " Freunde von Hilat Al Bir", der sich um Menschen im Sudan kümmert. Daher wurde Bunce hellhörig, als er von Ausgrabungen unweit des namensgebenden Dorfes erfuhr, bei denen ein Team der Arizona State University ein Lithophon, also einen Felsengong oder Klangstein, gefunden hatte. Dem ersten folgten weitere Exemplare - alle am Nilufer.

Tausende Jahre habe das dreieinhalb Meter breite und genau so viele Tonnen schwere Ding im Sand gelegen, berichtet Bunce, und Sabo ergänzt lachend: "Aufgrund der Vertiefungen rundherum dachten sie zunächst, man habe damit Getreide gemahlen!"

Ausgehend von diesem polyphonischen Instrument kam dem Paar eine Idee: Wäre es nicht möglich, dass es bereits in der Steinzeit eine Art Vorläufermusik des Rock'n'Roll gegeben hatte? Und was, wenn sich diese Musikrichtung, die auch eine ganz klare politische Konnotation hat, im Lauf der Jahrtausende immer wieder auf die eine oder andere Art Bahn gebrochen hätte? Könnte man diese Geschichte der Musik und der Ereignisse, die sie verursacht haben, nicht im Rahmen eines Großprojekts für das Publikum sichtbar machen? Mit einer Performance, die Musik, Schauspiel, Tanz und, nicht zu vergessen, Bildende Kunst vereint? Denn der gebürtige Waliser Bunce ist nicht nur Schauspieler, Sänger, Regisseur und Fotograf, sondern auch gefragter Bildhauer und Modellbauer, der sich nichts weniger zum Ziel gesetzt hat, als den Nachbau eines Lithophons aus Fiberglas.

Internationales Musiker-Kollektiv

Schnell war ein Name gefunden: "Organon" - nach Aristoteles das "Instrument des Verstehens". Und dank der guten Vernetzung des Duos konnte bald auch die erste Stufe der Umsetzung des ambitionierten Projekts erfolgen: eine Reihe aus vier Konzerten mit einem Kollektiv aus Musikerinnen und Musikern internationaler Provenienz. Durch eine Kooperation mit dem Kulturreferat München wurden einige von ihnen sogar als Stipendiaten des "Artist in Residence Programms" in die Villa Walberta eingeladen. So konnten sie gemeinsam improvisieren, dabei neue Klänge und Rhythmen entstehen lassen. Ihr Spiel umfasst Mikrotöne, Skalen, mit denen die meisten Menschen nicht sehr vertraut sind, völlig neue Quintenzirkel, "um die Ohren zu öffnen", wie Sabo erklärt.

Da diese Künstler alle aus ganz unterschiedlichen Stilrichtungen stammen, von Klassik über Jazz und Weltmusik bis hin zu Neuer Musik, "hätten sie sich andernfalls in einer Million Jahren nicht getroffen", unterstreicht Bunce die Singularität des Ensembles. Eine erste Kostprobe lieferten die Stipendiaten, kaum angekommen, beim Sommerfestival der Pasinger Fabrik. Die Reaktionen auf die teilweise experimentelle Musik waren indes sehr unterschiedlich: "Manche waren völlig begeistert, andere verstört", erzählt Bunce.

Auch zu hören: eine Carnyx, der Römer-Schreck

Auf Gut Sonnenhausen stoßen nun weitere Musiker dazu, teils sehr kurzfristig, weswegen dem Konzert keine lange Probenzeit vorangehen wird. Äußerst spannend auch die Vielfalt der Instrumente, einige davon sind höchst ungewöhnlich und nur selten zu hören. Etwa das zweieinhalb Meter lange Carnyx, eine keltische Kriegstrompete, Asterix-Lesern als "Römer-Schreck" wohlbekannt.

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Gespielt wird es vom Ausnahmemusiker John Kenny. Der Posaunist und Experte für antike Instrumente war 1993 der erste, der nach Jahrtausenden einer, mit Hilfe von Darstellungen rekonstruierten, Nachbildung des wildschweinköpfigen Deskford-Carnyx wieder Töne entlockte. Ein vollständiges Instrument konnte nie geborgen werden, einzelne Teile und eine weitere Rekonstruktion finden sich im Schottischen Nationalmuseum in Edinburgh.

Auch andere seltene Instrumente sind zu hören: Der französisch-amerikanische Komponist Etienne Rolin bringt neben einer Bansuri-Flöte auch ein Glissotar mit, eine Art Holzsaxophon, das es erst seit kurzer Zeit gibt. Der belgische Freejazzer Peter Jacquemyn wiederum, Bassist und Holzbildhauer, hat ein Dungchen dabei, ein tibetisches Langhorn. Pianist Michael Wehmeyer hingegen kennen viele sicher als langjähriges Mitglied von Embryo. Weltmusik macht auch Schlagwerker Michael "Bidi" Setz aus Berlin. Auch dabei: Udo Schindler, der neben Saxophon und E-Gitarre auch Tubax spielt.

Politischer Aspekt wichtig

Hornistin Robyn Blair aus Schottland schließlich beherrscht nicht nur Wald- und Alp-, sondern auch das Muschelhorn. Dieses wurde auf den karibischen Zuckerrohrplantagen immer dann geblasen, wenn ein Sklave geflohen war. So wird auch der eingangs erwähnte politische Kontext deutlich, der vom Sklavenhandel, durch den die Schwarze Musik in den USA landete, bis hin zu den Rolling Stones reicht. Denn, so Sabo: "Auch wenn sich Elvis Presley bemühte, Chuck Berry die Türen zu öffnen, war es kulturelle Aneignung, was bis dahin geschah. Erst die Rolling Stones sagten klar und deutlich: We will give your music back to you!"

Diese Schädelnachbildung gehörte einer jungen Journalistin, inhaftiert und ermordet von den chinesischen Behörden. Für ihre Verdienste um die freie Meinungsäußerung wurde ihr der Ehrentitel "Queen of Bavaria" verliehen. (Foto: Carlton Bunce/oh)

Auch die Namensgebung des Konzerts, "Songs for the Queen of Bavaria", ist bewusst politisch. Laut Veranstalter als Tribut an eine von chinesischen Behörden ermordete Journalistin, im Projekt Dania genannt. Ihre Knochen wurden an ein Unternehmen verkauft, das Modelle für Medizinstudenten produziert. Die Nachbildung ihres Schädels ziert das Plakat, weil "Organon" als Werk der Völkerverständigung angelegt ist, das alle Formen der Musik und alle Kulturen vereint.

"Die Geschichte des Rock'n'Roll ist die Geschichte der Menschheit." Bei dem, was Carlton Bunce mit ansteckendem Enthusiasmus im Grafinger Garten erzählt, weiß man oft nicht genau: Was ist Wirklichkeit? Was gefühlte Wahrheit? Was Wunsch? Denn beim Klang seiner Worte lösen sich Zeit und Raum auf, werden eins, jede Wendung seiner 70 000 Jahre umfassenden, fantastischen Geschichte scheint mehr als glaubhaft.

Aber vielleicht sind Fakten und Zahlen ja auch völlig irrelevant, angesichts eines Projekts wie "Organon". Sollte sich eine entsprechende Finanzierung finden, ist in der nächsten Stufe die szenische Arbeit mit jeweils regionalen Gruppen geplant. Das könnten im Landkreis Tanz- und Theaterleute aus Grafing sein, und auf Tour Erwachsene und Kinder aus Südafrika. Oder aus dem Sudan.

"Music for the Queen of Bavaria" am Sonntag, 11. September, 20 Uhr, Reithalle Gut Sonnenhausen, Glonn. Infos und Tickets unter info@sonnenhausen.de oder (08093)57770.

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