Am Weltfrauentag:"Es gibt keinen Award fürs Alleineschaffen"

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Auf den Tischen des Cafes einer Grafinger Gärtnerei hat der Verein "Frauen helfen Frauen" jede Menge Infomaterial ausgelegt. (Foto: Christian Endt)

Bei einer Gesprächsrunde des Ebersberger Vereins "Frauen helfen Frauen" zum Weltfrauentag in Grafing wird klar: Die Herausforderungen sind nach wie vor so groß wie vielfältig. Trotzdem herrscht Aufbruchstimmung.

Von Anja Blum, Grafing/Ebersberg

Es ist zwar ein Gewächshaus, doch man könnte glatt meinen, in einer exotischen Voliere gelandet zu sein. Die Luft steht warm unter all dem Glas, zwischen den vielen Palmen und Kakteen flattern zwitschernde bunte Wesen umher. Aber nein, das sind keine Vögel. Es ist Weltfrauentag. Überall leuchtend-farbige Kleidungsstücke, angeregte Gespräche, herzliche Fröhlichkeit. Ist das der Frühling? Ein Aufbruch gar?

"Frauen helfen Frauen" - unter diesem Motto hatte der gleichnamige, landkreisweit aktive Verein eingeladen zum Austausch in das Café der Grafinger Gärtnerei Köstler. Hauptaufgabe des Vereins ist eigentlich der Frauennotruf in Ebersberg, der Hilfesuchende in ein Leben ohne Gewalt begleitet. "Aber heuer wollten wir ganz bewusst mal das Schwere außen vor lassen, mal positive Impulse geben", erklärt Vorstandsmitglied Karin Huyer mit Blick auf das neue Format an diesem Weltfrauentag 2024. Ziel der Veranstaltung ist die Vernetzung von Frauen in Politik, Wirtschaft und Kultur.

Ein Frauentreffen am Freitagvormittag - kann das gut gehen?

Freitags um 9.30? Ja, man habe schon hin und her überlegt, heißt es aus dem Verein, aber einen idealen Termin für ein Frauentreffen zu finden, sei eben einfach schwierig. Schließlich ist bei den meisten tagsüber der Job dran, abends die Familie. Trotzdem sind der Einladung mehr als 50 Frauen gefolgt, allerdings darunter kaum junge. 50 plus und plusplus haben sich in dem Café versammelt. Die Vaterstettenerin vom Nebenstuhl rechts erzählt, für sie sei die Veranstaltung eine schöne Gelegenheit, mal Überstunden abzubauen. Die Dame links wiederum hat das Erwerbsleben schon lange hinter sich gelassen.

"Überwältigt" von der unerwartet großen Resonanz zeigen sich die Veranstalterinnen. "Offenbar ist der Wunsch nach Austausch sehr groß", sagt Huyer. Auf dem Podium sitzen an diesem Vormittag laut Ankündigung fünf "starke Frauen" aus dem Landkreis, solche, die es trotz vieler Hindernisse geschafft haben, erfolgreich ihr eigener Chef zu sein. In einigen Fällen kommt auch noch politisches Engagement hinzu. Lakhena Leng und Petra Rawe arbeiten jeweils selbständig in der IT-Branche, Petra Behounek führt einen Spielwarenladen, Josefine Deml betreibt eine Künstleragentur und Doris Rauscher ist Landtagsabgeordnete.

Spannende Gesprächsrunde: Violetta Ditterich, Petra Behounek, Petra Rawe, Lakhena Leng, Josefine Deml und Doris Rauscher. (Foto: Christian Endt)

Im Gespräch mit Moderatorin Violetta Ditterich von der Kleinkunstbühne Altes Kino erzählen diese fünf Frauen nun freimütig und authentisch von ihren Lebensläufen. Von Brüchen, Tränen und Schmerz, aber auch von Neuanfängen und Erfolgen. Manche hat ihre Karriere "einfach passieren lassen", andere wurden aus eigener Not heraus aktiv, andere haben ganz bewusst entschieden. Als Casus knacksus erweist sich - Überraschung! - die Familienplanung. Um Kinder und Beruf unter einen Hut zu bringen, müssen gute Lösungen gefunden werden. Oft kommt Unterstützung von privater Seite, vom Ehemann, der eigenen Mutter oder anderen Frauen.

"Es gibt keinen Award fürs Alleineschaffen", so lautet einer der Sätze, die hängen bleiben. Aktiv um Hilfe zu bitten, das falle vielen Frauen schwer, sei aber immens wichtig - da ist man sich einig. Ein anderer Merksatz lautet: "Als Frau ist man entweder zu jung, zu alt oder zu gebärfähig für eine gute Stelle." Das hat nicht nur eine der Damen auf dem Podium bereits erlebt. Ein echtes Bonmot ist aber auch dieser erinnerte Ratschlag einer Mutter: "Pass auf, denn an ein Kind kommt man schneller als an fünf Mark!"

Mehr als 50 Frauen sind der Einladung zum Vernetzungstreffen im Gewächshaus gefolgt. (Foto: Christian Endt)

Die vielen Zuhörerinnen dürfen nicht nur frühstücken, sondern auch Fragen stellen, und machen von dieser Möglichkeit regen Gebrauch. Außerdem geht allenthalben wissendes Nicken und Kichern durch das Glashaus. Es ist offensichtlich: Frau zu sein - diese Erfahrung verbindet. Der Austausch tut gut, macht Mut. Und doch dauert es an diesem Vormittag nicht allzu lange, bis die weibliche Wohlfühlblase Risse bekommt: Nicht nur die mangelhafte Kinderbetreuung wird als große Herausforderung benannt, nein, da ist noch viel mehr - und kurze Kita-Öffnungszeiten sind für viele tatsächlich ein Luxusproblem.

Häusliche Gewalt, Altersarmut: Es gibt viele Frauen, die hatten oder haben keine Chance

"Wir sind doch lauter Frauen, denen es ganz gut geht", sagt Angela Rupp vom Frauennotruf. "Und die anderen, denen es nicht so gut geht? Die sind einfach gar nicht hier." Aus ihrer Arbeit in der Beratungsstelle nämlich wisse sie, dass es viele schlimme Schicksale gebe, denn oft sei häusliche Gewalt - als wäre die allein nicht schon schlimm genug - verbunden mit Armut, mit Arbeitslosigkeit oder Teilzeit zu einem sehr niedrigen Lohn. "Viele dieser Frauen haben überhaupt keine Chance", sagt Rupp. "Deswegen muss da sozialpolitisch noch ganz viel passieren."

Auch Elke Bunzeit vom Ebersberger Seniorenbeirat meldet sich zu Wort. Sie sagt: "Ganz viele Frauen hatten früher diese Chancen nicht". Einen Beruf ausüben zu können, das sei nämlich vom Einverständnis des Mannes abhängig gewesen, und - angesichts mangelnder Kinderbetreuung - von der Unterstützung der restlichen Familie. "Deswegen leben heute sehr viele Rentnerinnen am oder unter dem Existenzminimum." Sehr gerne wolle der Seniorenbeirat hier unterstützen, doch viele der Betroffenen lebten in Einsamkeit, seien leider nicht zu erreichen.

Und so macht dieses Treffen deutlich: Kinderbetreuung, familienfeindliche Unternehmen, häusliche Gewalt, Rentenlücke - die Herausforderungen, denen Frauen gegenüberstehen, sind auch heute noch groß und vielfältig. All diese schönen Vögel sollten daher unbedingt zusammenhalten. Nicht nur am Weltfrauentag.

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