Jugend und Ukraine-Krieg:"Frau Scharfenberg, kommt der Krieg jetzt auch zu uns?"

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Kinder und Jugendliche demonstrieren Anfang März in Ebersberg für Frieden in der Ukraine. (Foto: Christian Endt)

Was bewegt Schulkinder? Kann ihre Teilnahme am bevorstehenden Grafinger Friedensmarsch ein Zeichen der Selbstermächtigung sein? Ein Gespräch mit einer der beiden Organisatorinnen.

Von Michaela Pelz, Grafing

Stephanie Scharfenberg unterrichtet Kunst und Religion an der Realschule Ebersberg. Aktuell rufen sie und Diana Kühnlein, Religionslehrerin an der Grundschule Ebersberg, zum zweiten Mal zu einer Protestveranstaltung gegen den Krieg in der Ukraine auf. Zum Friedensmarsch in Grafing am Freitag, 29. April, Beginn um 18 Uhr, werden vor allem Kindergarten- und Schulkinder erwartet, sowie Jugendverbände. Mit und ohne Angehörige. Aber natürlich sind alle Bürgerinnen und Bürger willkommen.

Stephanie Scharfenberg, eine der beiden Organisatorinnen des Friedensmarschs in Grafing am 29. April. (Foto: Christian Endt)

SZ: Frau Scharfenberg, wie viele Demos haben Sie bisher organisiert?

Stephanie Scharfenberg: (lacht) Gar nicht so viele. Aber einen Katholikentag in Berlin - mit Großveranstaltungen kenne ich mich also aus.

Ihre erste Veranstaltung dieser Art war die Lichterkette vom 11. März in Ebersberg. Wie kam es dazu?

Ich habe direkt nach Kriegsbeginn die Angst und das Entsetzen der Kinder gespürt. Im Unterricht fragten sie: "Frau Scharfenberg, kommt der Krieg jetzt auch zu uns?" Dann rief mich Diana Kühnlein an und fragte: Sollen wir nicht eine Lichterkette zwischen deiner und meiner Schule machen?

Es wurde dann ein bisschen mehr als eine Menschenkette zwischen Grund- und Realschule in Ebersberg. Die Menschen drängten sich am Marktplatz, in der Fußgängerzone, in der Bahnhofstraße und vor dem S-Bahnhof.

In der Tat wurden wir förmlich überrollt. Wir gingen von 300 potenziellen Teilnehmern aus, manche sagen, dass mehr als 3500 Leute dabei waren. Das hat uns gezeigt, dass die Kinder und Jugendlichen praktisch nur darauf gewartet haben, sich zu artikulieren und etwas zu tun.

Am kommenden Freitag nun findet ein Friedensmarsch durch Grafing statt. Warum dort?

Die Kinder haben schon bei der ersten Veranstaltung gesagt: Wann gehen wir denn jetzt los? Sie wollen sich bewegen. In Grafing muss man dafür keine Staatsstraße sperren. Außerdem wird so auch die Kooperation zwischen den beiden Städten deutlich.

Warum sind solche öffentlichen Protestveranstaltungen für Kinder und Jugendliche wichtig?

Sie haben das große Bedürfnis, etwas auf den Weg zu bringen, aber sonst kaum Möglichkeiten - außer da sein und laut sein. Hinzu kommt das beeindruckende Gefühl, als Gemeinschaft auf die Straße zu gehen, um dort zusammen die Stimme zu erheben. Das haben wir ja schon bei Fridays for Future gesehen.

Da gab es anfangs bei einigen Institutionen Vorbehalte. Jetzt hingegen lassen Sie im Unterricht Plakate malen und die Kinder kommen klassenweise zur Demo.

Schulen sollen sich ja politisch neutral verhalten - darum halten Frau Kühnlein und ich als Privatleute unsere Köpfe für diese Aktionen hin. Wobei wir viele positive Rückmeldungen von Schulleitungen und Kollegen erhalten. Denn wir Lehrkräfte haben ja den Auftrag, auf aktuelle Situationen pädagogisch zu reagieren. Außerdem wollen wir die Kinder unterstützen, Krisen zu bewältigen und Widerstandskräfte zu entwickeln. Man darf nicht vergessen: Erst war da die Sorge um unsere Umwelt, dann um unsere Gesundheit, die angespannte Coronasituation, die noch längst nicht zu Ende ist. Nun kommt auch noch der Krieg dazu. Die Schülerinnen und Schüler brauchen dringend ein Gefühl der Selbstermächtigung. Dass sie nicht ohnmächtig sind. Sonst laufen sie Gefahr, mit der Situation nicht fertigzuwerden, wenn in ihrem späteren Leben ein persönlicher Bruch eintritt. Deswegen darf man sie nicht von allem fernhalten, muss sie einbeziehen.

Was erleben Sie in den Schulstunden?

Die Kinder spüren, dass das kein Computerspiel, sondern die Situation in den Kriegsgebieten ernst ist. Sie sehen, dass ukrainische Familien in ihr Nachbarhaus ziehen und Willkommensklassen eingerichtet werden.

Es gibt auch ukrainische und russische Schüler und Schülerinnen, die schon länger hier sind.

In der Tat. Deswegen müssen wir betonen, dass es nicht um die Verurteilung von Menschen geht, die aus Russland stammen. Wir wollen nicht vergessen, dass sie unter Umständen jemanden kennen, der ebenfalls um sein Leben fürchten muss, weil er gegen den Krieg Position bezieht. Insgesamt kann man sagen, dass die Kinder sehr fürsorglich miteinander umgehen - keiner wird gedisst, weil die Familie aus Russland stammt. Und wenn ein Kind kein Plakat für die Demo gestalten will, dann ist das für uns kein Problem. Niemand wird gezwungen. Zumal: Eine Friedenstaube geht immer, da sind sich alle einig. Ebersbergs Bürgermeister Ulrich Proske hat bei einer der Besprechungen gesagt: Mir ist es ganz wichtig, dass alle Kinder, deutsche, ukrainische und russische, auch hinterher noch zusammen Fußball spielen können.

Was sagen Sie Eltern auf die Frage, ob sie mit ihren Kindern zu so einer Veranstaltung gehen sollen?

Das muss jeder selbst entscheiden. Aber ich finde es gefährlich, Kinder so zu erziehen, als würden sie in einer Wolke leben und ihnen alle unangenehmen Dinge vorzuenthalten. Wer mit den Eltern zusammen da hingeht, wird das wahrscheinlich im Leben nicht vergessen und später vielleicht sogar stolz darauf sein, das gemeinsam gemacht zu haben.

Sollten die Eltern dabei sein?

Ab der achten Klasse können die Kinder sicher schon alleine hingehen - sie treffen ja auch Schulkameraden und Lehrer. Deswegen haben wir auch verschiedene Plätze festgelegt, damit sie sich dort finden. Es war uns wichtig, dass die Gruppen geschlossen hingehen, wir haben sogar gehört, dass manche sich Schilder gemacht haben, aus welchem Kindergarten oder welcher Schulklasse sie kommen.

Man darf aber auch ohne Kind kommen?

Natürlich, wir freuen uns über jeden. Ein paar Studenten haben mir gesagt, wie froh sie sind, dass es hier draußen was gibt und sie für eine Demo nicht nach München fahren müssen.

Der Ablauf der Demo in Grafing:

18.00 Uhr Volksfestplatz: Treffpunkt für die Schulfamilie des Max Mannheimer Gymnasiums Grafing und Zugstart. Vorweg gehen die 'HotStix', Drumline des Grafinger Jugendorchesters.

18.10 Uhr S-Bahnhof Grafing Stadt: Hier stoßen alle Teilnehmenden aus Ebersberg und Kirchseeon dazu.

18.30 Uhr Marktplatz: Vom Sammelplatz für die Mitglieder aller anderen Grafinger Schulen bewegt sich der Zug zum Volksfestplatz

18.45 Uhr Volksfestplatz: Abschlusskundgebung

Unter anderem sprechen die Bürgermeister aus Grafing und Ebersberg, Christian Bauer und Uli Proske, sowie die Landtagsabgeordneten Thomas Huber (CSU) und Doris Rauscher (SPD). Eine ukrainische Dolmetscherin ist ebenfalls anwesend.

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