Schienenverkehr im Landkreis:Die Feuerwehr als Hausmeister der Bahn?

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Mal wieder Überschwemmung: Die Nettelkofener Feuerwehr pumpt das Wasser aus der Fußgängerunterführung in Grafing-Bahnhof ab. (Foto: FW Nettelkofen/oh)

Immer wieder werden die Ehrenamtlichen aus Nettelkofen nach Grafing-Bahnhof gerufen, weil dort Überschwemmung herrscht oder ein Aufzug stecken geblieben ist. Von ärgerlichen Pannen, einem rätselhaften Konzern und streikenden Rettern.

Von Anja Blum, Grafing

30 Einsätze hatte die Freiwillige Feuerwehr Nettelkofen in diesem Jahr schon - "und unser bester Kunde ist die Bahn", sagt Stephan Mende und lacht. Doch eigentlich ist dem stellvertretenden Kommandanten gar nicht zum Scherzen zumute, ganz im Gegenteil. Er kann nicht verstehen, warum sich rund um die Gleise in Grafing-Bahnhof eine technische Panne an die andere reiht - ohne dass vonseiten des Schienenkonzerns dagegen etwas unternommen würde. Zumindest nicht konsequent.

Allein an den drei vergangenen Wochenenden gab es jeweils mindestens eine Alarmierung wegen eines Störfalls am Bahnhof. Zuletzt wurden die Feuerwehrler am vorvergangenen Samstagabend gerufen, weil in der Fußgängerunterführung wieder einmal das Wasser stand, und dann gleich erneut am Sonntagmorgen, weil der Aufzug an Gleis eins mal wieder die Tür zum Ausstieg nicht freigab. Eine Mutter und ihr Kleinkind hatten laut Mende eine Dreiviertelstunde in der kleinen Kabine ausharren müssen. Und auch der andere Aufzug stecke schon seit Tagen wieder zwischen den Geschossen fest. "Auch die Bauarbeiter fluchen, weil sie ihre Schubkarren über die Treppe tragen müssen."

Kaputte Aufzüge, überschwemmte Wege: In erster Linie ist dies freilich ärgerlich für die vielen Bahnkunden. Sie müssen immer wieder barfuß durch trübes Wasser waten, in dem sich möglicherweise Scherben befinden, und ihre Kinderwagen über viele Stufen schleppen. Dabei hatte die Bahn doch erst jüngst groß Werbung gemacht für den barrierefreien Ausbau der Gleise. "Und es geht hier ja nicht um irgendeine Provinzstation, das ist einer der größten P&R-Bahnhöfe im ganzen MVV-Gebiet", sagt Grafings Bürgermeister Christian Bauer. "Hier kommen täglich Tausende Menschen durch."

Wer kennt das nicht? Um auf den Parkplatz auf der Westseite des Bahnhofs zu gelangen, muss man oft die Schuhe ausziehen. (Foto: FW Nettelkofen/oh)

Insofern ist auch der Rathauschef fassungslos - und zugleich "ziemlich erbost" über die Pannenserie an dem Verkehrsknotenpunkt. "Den Ärger der Leute bekommen nämlich auch wir von der Stadt ab, nicht nur die Bahn." Doch auf seine bisherigen Interventionen habe vonseiten des Schienenkonzerns niemand reagiert, deswegen werde er sich nun an "eine Stufe höher" wenden.

Ja, von der DB einen Ansprechpartner, Auskünfte oder gar eine konkrete Reaktion zu erhalten, ist alles andere als einfach, davon kann der Nettelkofener Vizekommandant Mende ein Liedchen singen. Und nicht nur er. Wenn es nicht um Züge, Unfälle oder eine Störung auf der Strecke gehe, sondern um die Liegenschaften der Deutschen Bahn, gebe es im ganzen Landkreis immer wieder Probleme, berichtet der Ebersberger Kreisbrandrat Andreas Heiß. "Dann sind die Verantwortlichen nicht klar ersichtlich - und die Entscheidungswege lang." Womöglich seien zu viele Gesellschaften, Abteilungen und Subunternehmer beteiligt?

Laut Bahn hat ein Starkregen gleich beide Pumpen außer Gefecht gesetzt

"Für die Instandsetzung von Anlagen beziehungsweise kurzfristige Noteinsätze stehen Dienstleister zur Verfügung, die von uns gerufen werden, um zum Beispiel, wie in diesem Fall, das Wasser abzupumpen", erklärt die DB auf Nachfrage der SZ Ebersberg. In der Fußgängerunterführung des Grafinger Bahnhofs befinden sich - eigentlich - zwei unabhängige Schmutzwasserpumpen, die aber wegen Starkregens beide durchgebrannt seien, heißt es aus der Pressestelle. Und weiter: "Wir haben umgehend eine kurzfristige Instandsetzung der Druckleitung und eine Erneuerung beider Pumpen beauftragt." Doch was heißt schon umgehend? Laut Feuerwehr währt das Überschwemmungsproblem in Grafing-Bahnhof - mit teils längeren Pausen - bereits seit Jahren.

Was Mende beim jüngsten Einsatz besonders schockiert hat: "Da waren plötzlich beide Pumpen ausgebaut - aber niemand hatte für eine Übergangslösung gesorgt." Deswegen hatte schon ein bisschen Regen ausgereicht, die Unterführung erneut zu fluten. Doch von der Bahn sei das Problem an dem Abend auch auf Nachfrage nicht angepackt worden. Also wurden die Nettelkofener Feuerwehrler selbst tätig, die Ehrenamtlichen investieren gut drei Stunden, um eine sogenannte "Flutbox" der Stadt zu installieren und das Problem so zumindest vorübergehend zu beheben. "Aber so langsam kommen wir uns vor wie die Hausmeister der Bahn", sagt Mende, merklich angefressen.

Die Pumpenanlage der Unterführung: Weil die Techniker der Bahn keine Übergangslösung eingebaut hatten, schuf die Feuerwehr Nettelkofen ein Provisorium. (Foto: FW Nettelkofen/oh)

Denn an diesem Punkt sieht der Feuerwehrler noch ein weiteres Problem, nämlich das der Haftung. "Wir helfen wirklich gerne - aber wir brauchen dann jemanden von der Bahn, der da einen Stempel drunter macht." Andernfalls nämlich könne er als ehrenamtlicher Einsatzleiter persönlich belangt werden, wenn etwas passiere. Einfach einen Steg aus Holzpaletten durch das Wasser bauen? "In der heutigen Zeit: unmöglich!"

Was Mende neben der offensichtlich mangelhaften Wartung der Pumpen nicht versteht, ist der Umgang des Hausherrn mit dem Pannen-Aufzug an Gleis eins. "Der ist doch relativ neu, der wurde erst 2021 eingebaut - wieso nutzt man dann nicht die Gewährleistung?", fragt der Feuerwehrler, der selbst im Hauptberuf Techniker ist. Sprich: Wieso lasse die Bahn den offensichtlich kaputten Aufzug nicht endlich vom Hersteller durch einen neuen ersetzen? "Das müsste ja dann nicht einmal bezahlt werden."

Mal wieder kaputt: der Aufzug an Gleis eins. (Foto: FW Nettelkofen/oh)

Apropos Geld: Die Stadt Grafing stellt der DB die technischen Hilfseinsätze der Nettelkofener Feuerwehr durchaus in Rechnung. "Aber das ist für die offenbar immer noch einfacher oder günstiger, als das Problem selbst zu beheben", sagt der Bürgermeister. Zumal die Ehrenamtlichen jedes Mal nur zwei-, dreihundert Euro kosteten. "Mehr können wir leider nicht verlangen, da uns die Gebührensatzung an die Gleichbehandlung bindet."

Wie groß der Ärger bei der gar nicht so kleinen Nettelkofener Wehr mit ihren 50 Aktiven ist, lässt sich an einer Art Streikaktion ablesen: Kürzlich war die Unterführung erneut überschwemmt, doch die Retter pumpten diesmal nicht ab, sondern trennten lediglich den im Wasser stehenden Fahrkartenautomaten vom Strom und sperrten den Weg zum Pendlerparkplatz im Westen beidseitig mit Flatterband ab. Das war's. "Die nächsten Regenwolken sind ohnehin schon am Himmel gestanden", so Mende, "und es strömte bereits deutlich sichtbar Wasser in die Unterführung nach. Somit: Abpumpen zwecklos."

Der Kreisbrandrat hat den Kollegen empfohlen, die Situation eskalieren zu lassen

Streikende Feuerwehrkräfte? Ein Verhalten, für das der Kreisbrandrat mehr als Verständnis hat: "Wenn die Probleme so krass sind wie in Nettelkofen, fühlt man sich einfach ausgenutzt - und das ist gerade für Ehrenamtliche sehr frustrierend", sagt Heiß. Außerdem habe er den Kollegen ausdrücklich dazu geraten, die Situation mal auf diese Weise eskalieren zu lassen, schließlich sei bei den Überschwemmungen ja keine Gefahr in Verzug. "Man muss einfach das Beschwerdepotenzial durch die Bahnkunden erhöhen, in der Hoffnung, dass dann endlich etwas passiert."

"Wir bedauern, dass es bei den Reisenden zu Einschränkungen gekommen ist. Ebenso bedauern wir, falls es in diesem Zusammenhang bei der FFW zu Unmut gekommen ist", schreibt eine Sprecherin der Bahn. Leider seien Starkregenfälle auch für die DB-Anlagen oftmals eine Herausforderung. "Wir sind daher dabei, die vorhandenen Anlagen zu inspizieren und nach Optimierungsmöglichkeiten zu suchen."

Das wird auch Mende und seine Mannschaft freuen zu hören. "Es wär' doch so einfach", sagt er. Man könnte mit allen Beteiligten einen Termin vor Ort ausmachen, sich gemeinsam die Probleme anschauen und nach langfristigen Lösungen suchen." Da wäre zumindest die Feuerwehr aus Nettelkofen jederzeit dabei.

Übrigens: Bei akuten Einschränkungen oder Problemen an Bahnanlagen wie zum Beispiel Aufzügen bittet die Deutsche Bahn darum, unter (089) 13081055 die "3-S-Zentrale" zu kontaktieren. Diese sei rund um die Uhr erreichbar und "kümmere sich umgehend um die Behebung des Schadens".

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