Bildung und Berufsleben:Weg mit überholten Rollenbildern

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Julia Aschauer liebt, was sie bei Hofmann & Vratny tut - ihre Aufgaben unterscheiden sich dort nicht von denen ihrer männlichen Kollegen. (Foto: Christian Endt)

Beim Girls' und Boys' Day am 25. April geht es darum, junge Menschen mit Berufen vertraut zu machen, in denen der Anteil ihres jeweiligen Geschlechts bei unter 40 Prozent liegt. Auch Unternehmen aus dem Landkreis beteiligen sich. Noch sind Bewerbungen möglich.

Von Michaela Pelz, Ebersberg

Bei jeder Familienfeier fällt unweigerlich irgendwann diese eine Frage: "Und, was willst du einmal werden?" Mag der Fünfjährige noch mit Begeisterung "Fußballspieler" antworten, die Siebenjährige "Lehrerin" als künftigen Berufswunsch angeben - sobald das Teenageralter erreicht ist, werden meist sofort die Augen verdreht. Denn nur die wenigsten Jugendlichen haben eine klare Vorstellung davon, wohin ihr Weg sie nach dem Schulabschluss führen soll.

Eines allerdings ist klar: Selbst 2024 gibt es noch "typische" Männer- und Frauenberufe. 0,0 Prozent der Asphaltbauer sind weiblich, während Entbindungspfleger - so heißen die männlichen Hebammen - immerhin auf 0,2 Prozent kommen. So zu lesen in den "Berufelisten" des Boys' Day und Girls' Day. Beide tragen den Zusatz "Zukunftstag". Beide finden am 25. April statt. Und beide werden vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert - der Girls' Day zusätzlich noch vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.

Was die Aktionstage noch gemeinsam haben: Sie wollen Klischees aufbrechen. Mädchen und Jungen sollen einen praktischen Einblick in Berufsfelder erhalten, in denen der Anteil ihres jeweiligen Geschlechts unter 40 Prozent liegt. Bei Mädchen sind dies IT, Handwerk, Naturwissenschaften und Technik; "ihren" Tag gibt es bereits seit 2001.

Praktische Prüfung als Einzige mit Eins

So lange ist es nicht her, dass sich Julia Aschauer für eine Ausbildung als Industriemechanikerin entschied - und doch wurde die heute 20-Jährige immer wieder gefragt, ob sie nicht lieber etwas machen wolle, "wo es mehr Frauen gibt". Aber die junge Frau aus Schmidhausen ließ sich nicht aufhalten, "das zu lernen, was ich wollte." Mit Erfolg.

Dieser Fräser für die Aluminiumbearbeitung wird in der Fertigung kleiner Elektrodenbauteile eingesetzt. (Foto: Christian Endt)

"Bei der Gesellenprüfung war ich die einzige mit einem Einser in der praktischen Prüfung". Dann allerdings zeigte sich, dass Klischees längst nicht nur bei Fachfremden existieren. Trotz ihrer sehr guten Leistungen durfte Aschauer nach der Ausbildung lediglich Laserbeschriftungen machen. "Da war alles vorprogrammiert, ich musste nur auf den Knopf drücken." Eine Arbeit in der Fertigung, wie sie es sich gewünscht hatte, "traute man mir nicht zu".

Pech für den früheren Arbeitgeber, Glück für die Hofmann & Vratny OHG, wohin Aschauer im August 2023 wechselte und sich nun als Präzisionswerkzeugschleiferin jeden Tag auf den Arbeitsbeginn freut. "Ich sehe, was ich herstelle und ich weiß, was das Produkt machen kann." So ist sie etwa für die Fertigung von Fräsern zuständig, die zum Einsatz kommen, um Bauteile in den verschiedenen Produktionssektoren herzustellen. Das betrifft vor allem Automobilindustrie, Maschinen- und Anlagenbau sowie Luft- und Raumfahrttechnik.

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Doch die Palette des Aßlinger Mittelständlers ist noch weit größer, unter anderem werden Medizintechnikunternehmen beliefert. "Die Branche ist männerdominiert, in unserem Unternehmen liegt der Frauenanteil im technischen Bereich bei 15 Prozent", berichtet Sprecherin Isabell Bodmayer. Am Girls' Day beteilige man sich mittlerweile zum dritten Mal, habe sehr gute Erfahrungen gemacht.

"Viele waren überrascht, weil sie meinten, in der Produktion müsse man großteils sehr schwer anpacken. Das ist nicht der Fall, bei der Programmierung unserer Maschinen braucht es nicht viel körperliche Kraft", erläutert die Marketing-Leiterin.

Am Girls' Day dürften die Teilnehmerinnen Schleifmaschinen mit Rohlingen bestücken, Maschinen einstellen, bedienen und am Ende die Qualitätskontrolle vornehmen. Wenn Bodmayer dann später, etwa bei einer Berufsmesse, hört: "Vielleicht kommen wir ja nochmal zusammen", freut sie sich besonders. Ihr Resümee: "Selbst wenn es nur ein Tag ist, reicht das, um den Mädchen zu zeigen, dass der Beruf nicht nur für Männer geeignet ist."

Weil Jungen in Pflege, Erziehung, Dienstleistungssektor oder Sozialer Arbeit oft unterrepräsentiert sind, wurde 2010 der Boys' Day eingeführt. Häufig dürfen sie dabei im Kindergarten, Alten- oder Pflegeheim hospitieren, Einsatzgebieten also, die ihnen nicht gänzlich unbekannt sind.

Weibliche Teenager hingegen können ganz neue Terrains erobern. Bei der Agrokomm Maschinenring GmbH zeigt man ihnen, wie ein Sportplatz oder eine Grünfläche gepflegt wird. Mit passenden Maschinen dürfen sie mähen, vertikutieren, düngen oder Rollrasen verlegen.

Auch der Winterdienst gehört zu den Aufgaben der Straßenmeisterei. Schneeräumfahrzeuge sind dann im Dauereinsatz. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Ebenfalls im Freien, nämlich auf oder neben einer der vom Staatlichen Bauamt Rosenheim betreuten Straßen, spielt sich das Angebot der Straßenmeisterei Ebersberg ab. Es heißt: "Ein Tag als Straßenwärterin". Zu diesem Beruf gehören Inspektion und Wartung von Fahrbahnen, Brücken und Verkehrsschildern, das Mähen von Grünstreifen oder das Sichern von Gefahrenstellen.

Im Innenbereich hingegen findet der "Tag als Kfz-Mechatronikerin" im Autohaus Richard Wagner in Kirchseeon statt. In der Werkstatt winkt eventuell eine Reifenwechsel-Assistenz, in der Spenglerei "wurde letztes Jahr gemeinsam eine Frontscheibe gewechselt", sagt Pressesprecherin Philine Friesinger. Auch sei es dem Betrieb wichtig, "dass sie bei einem Blick unters Auto auch die verschiedenen Antriebe kennenlernen, speziell den Elektromotor". Das kommt an, zumindest meist.

Beim Reifenwechsel muss ein Kfz-Mechatroniker auch den Reifendruck überprüfen. (Foto: Catherina Hess)

In der Vergangenheit sei, so Friesinger, "die Hälfte fantastisch und sehr interessiert" gewesen. Beim Rest habe man spüren können, "dass sie den Girls' Day als Alternative zum normalen Schulalltag begrüßten". Grundsätzlich wolle man definitiv den Frauenanteil im Betrieb nach oben bringen, der aktuell bei rund 40 Prozent liege. Mit drei Automobilkauffrauen in spe sei man auf einem guten Weg. Bei den technischen Berufen freilich dürften es noch mehr werden, wenngleich es auch schon Vorstellungsgespräche gegeben habe, bei denen die Mädchen sofort in die Werkstatt wollten.

"Ich denke, die berufliche Präferenz ist keine Frage des Geschlechts, sondern, ob jemand ein sprachlicher oder ein naturwissenschaftlich-technischer Typ ist", sagt dazu Edith Herrmann, zuständig für Nachwuchsförderung bei der Herrmann CNC-Drehtechnik GmbH.

In der hauseigenen Azubi-Werkstatt der Herrmann CNC-Drehtechnik wird die ersten anderthalb Lehrjahre der Beruf von der Pike auf gelernt. Gerne würde man hier auch Mädchen begrüßen. (Foto: privat)

Rund 100 Beschäftigte hat der Hohenlindener Betrieb, der in erster Linie für die Luftfahrtindustrie tätig ist. "Fast jeder Airbus enthält Teile, die bei uns gefertigt wurden." Dabei geht es um Komponenten wie Fahrwerk, Triebwerk oder Frachtladesystem.

Angeboten wird ein "Tag als Zerspanungsmechanikerin". Zusammen mit den derzeit nur männlichen Azubis dürfen die Girls nach einem Betriebsrundgang Material feilen, bohren, senken, schleifen, "kurzum alles, was man händisch macht, ausprobieren". Dann folge ein Blick auf die großen CNC-Maschinen. Herrmann hebt hervor, dass es auch dem Betriebsklima guttue, wenn nicht nur Männer im Team arbeiteten. "Übrigens ist auch unsere Qualitätsmanagementbeauftragte eine Frau."

Vorbilder zu treffen, ist ein weiteres Ziel des Girls' Days. Das ist schon deswegen wichtig, weil Studien immer wieder zeigen, dass manche Berufswege schlicht deswegen nicht eingeschlagen werden, weil man sie nicht kennt oder automatisch einem bestimmten Geschlecht zuordnet.

Vorbilder schaffen Nachahmerinnen

Eindrücklichstes Beispiel dafür ist ein zum Weltfrauentag 2016 entstandener Film. Die Organisation Inspiring The Future bat Kinder zwischen fünf und sieben Jahren, Personen zu zeichnen, die bei der Feuerwehr arbeiten, am OP-Tisch stehen oder einen Kampfjet steuern. Auf insgesamt 61 Bildern gab es am Ende gerade mal fünf weibliche Figuren. Großes Erstaunen bei den Kleinen, als sich die anschließend eintretenden Angehörigen der jeweiligen Berufe unter ihrer Montur als Frauen entpuppten.

Damit Beruf und Studium wirklich nur nach Neigung und Talenten gewählt werden, müssen junge Leute ihre Chance zur Orientierung allerdings auch nutzen. Dazu noch einmal Herrmann: "Wir würden Mädchen unsere Ausbildungsmöglichkeiten sehr gern via Girls' Day nahebringen. Leider hat sich noch niemand gemeldet."

Laut Pressemitteilung des Kompetenzzentrums Technik-Diversity-Chancengleichheit, das die Aktionstage organisiert, gaben rund zwei Drittel der befragten Jugendlichen an, der Girls' Day und Boys' Day habe ihnen konkret dabei geholfen, eine bessere Vorstellung davon zu bekommen, was sie später beruflich machen wollen.

"Traut euch, auch wenn es heißt: Ein Mädchen kann das nicht!"

Julia Aschauer hat ihren Traumberuf schon gefunden. Für den braucht es ihrer Meinung nach ein gutes Auge, technisches Verständnis und "ganz wichtig: den Willen, etwas zu lernen". Mit Zahlen umgehen zu können, sei gut - "aber auch, wenn man nicht so super ist in Mathe, ist das kein Weltuntergang". Ihre Botschaft an alle: "Traut euch, es zu probieren, auch wenn es heißt: Ein Mädchen kann das nicht!"

Zukunftstag für Mädchen und Jungen am Donnerstag, 25. April. Freie Plätze finden sich unter girls-day.de sowie boys-day.de .

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