Naturschutz:Belties ziehen um ins Brucker Moos

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Sebastian Tristl mit Orlando: Weil die Galloways ruhig und friedfertig sind, kann der Landwirt sogar zu den fünf Stieren auf die Weide gehen. Nachmachen sollte das aber keinesfalls irgendwer. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Schon seit 2009 hält die Familie Tristl am Kastensee die robusten Galloway-Rinder, die sonst vor allem im schottischen Hochland zu finden sind. Nun sollen sie in einem oberbayerischen Moor dazu beitragen, Lebensräume für seltene Tiere zu schaffen.

Von Barbara Mooser, Glonn/Bruck

Orlando fragt sich gerade, warum die Leute am Rand seiner Weide so eine Unruhe reinbringen. Der rot-braune Stier mit dem charakteristischen breiten weißen Streifen um den Bauch stupst mit seinem massigen Schädel sanft gegen Landwirt Sebastian Tristl und schaut ihn fragend an. Tristl hat Orlando und seine Mitbewohner gerade vom Waldrand hergelockt, um sie den Besuchern jenseits des elektrischen Zauns zu zeigen. An diesem wunderbaren Frühlingsnachmittag ist hier am Kastensee nicht viel los, zwischen Wiesen voller Gänseblümchen und Löwenzahn glitzert die Wasserfläche, Vogelgezwitscher liegt über dem Idyll. Orlando, Odeon, Oregon, Ontario und Onko dürfen auch vorerst noch an diesem wunderbaren Platz bleiben - doch ein großer Teil ihrer Verwandtschaft zieht an diesem Freitag ins Brucker Moos um. Sie soll helfen, das Hochmoor ökologisch noch wertvoller zu machen und dazu beitragen, Lebensräume für Insekten, Vögel und andere Tiere zu schaffen.

Christina, Sebastian und Magnus Tristl kümmern sich gemeinsam um den Hof und seine gut 50 Galloways. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Sebastian Tristl, 68, seine Frau Christina, 60, und ihr jüngster Sohn Magnus, 24, haben sich gemeinsam entschieden, Pionierarbeit zu leisten und einen Teil ihrer Galloways ins Moos zu schicken. Schon seit 2009 gehören die stämmigen, wuscheligen Tiere, wie sie sonst vor allem in schottischen Hochmooren weiden, zum Hof der Tristls in Kastenseeon. Der Betrieb mit dem Hausnamen "Beim Grill" wird nun schon in vierter Generation von der Familie bewirtschaftet. Dabei hatte es vor ein paar Jahren gar nicht so ausgesehen, als ginge es mit der Landwirtschaft dort überhaupt weiter. Früher war es ein klassischer Milchviehbetrieb, 35 Kühe, 30 Hektar Fläche. Doch die Technik war veraltet, viel Geld hätte man in die Hand nehmen müssen, um weiterzumachen - weshalb 2003 die Familie entschied: dann eben nicht.

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Landwirt Sebastian Tristl arbeitete zuerst in einem anderen Betrieb mit und sattelte dann auf eine ganz andere Branche um: Er arbeitete bei einem Bestattungsunternehmen, "von Abholung über Bergung bis hin zur Beerdigungsleitung habe ich alles gemacht", erzählt der heute 68-Jährige. Sehr zur Zufriedenheit von Chef und Kunden, auch er selbst machte den Job gern.

Ganz ohne Viecher, das ist auch nichts, dachte sich die Familie

Doch ganz glücklich war er nicht, auch seiner Frau Christina, die sich nach dem Ende der Landwirtschaft außer um die fünf eigenen auch noch um zwei Pflegekinder kümmerte, ging es ähnlich. "Ein leerer Stall - das ist immer schrecklich", sagt Sebastian Tristl und lächelt. Dazu kam, dass die Wiesen rund um den Hof ja trotzdem gepflegt werden mussten, auch wenn keine Kühe mehr mit dem Gras gefüttert wurden. "Ein paar Viecher wären nicht verkehrt." Da waren sich die Tristls also einig. Die Wahl fiel auf Belted Galloways, diese Rasse mit der charakteristischen gürtelartigen Fellfärbung hatte Christina Tristl einmal in einem Buch entdeckt. Auch dem Rest der Familie gefiel sie - und mit Syndia und Helga begann die Geschichte der "Belties" auf dem oberbayerischen Hof. Heute leben auf den Weiden der Tristls etwa 50 dieser Tiere.

Momentan wohnen die Galloways noch auf Weiden, die rund um den Hof liegen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)
An diesem Freitag werden aber die ersten Tiere ins Brucker Moos umziehen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)
Die Lebensbedingungen dort sind für die robusten Rinder mit dem wuscheligen Fell ideal - schließlich fühlen sie sich auch im schottischen Hochland wohl. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Vom Frühling bis zum Herbst sind sie draußen, nur im Winter, wenn sie nichts mehr zum Fressen finden auf den Weiden und das Wasser in der Tränke einfriert, kommen sie in den Stall. Dass die Tiere extrem genügsam sind, dazu nicht allzu groß, freundlich, ruhig und von Natur aus hornlos, das hat bei der Entscheidung für die Rasse eine große Rolle gespielt. Aber auch einen Beitrag zur Biodiversität habe man leisten wollen, sagt Christina Tristl - und Tiere halten, deren CO₂-Bilanz so niedrig wie möglich ist. Alles Futter werde selbst erzeugt oder in Bioqualität im nahen Umkreis gekauft, erzählt Magnus Tristl. Mais oder anderes Kraftfutter bekommen die Belties nicht.

Die Kunden schätzen das Fleisch - und seine nachhaltige Produktion

Inzwischen schätzen Kenner längst das Fleisch der Tiere, das dunkler ist als anderes Rindfleisch und kräftiger schmeckt. Drei Jahre, deutlich länger als sonst üblich, dürfen die Rinder bei den Tristls leben, bevor es zum Schlachten nach Ebersberg geht - und das auch erst dann, wenn es genügend Bestellungen für das Fleisch gibt. Sie habe sogar einige Kunden, die sonst weitgehend vegetarisch leben, erzählt Christina Tristl: Wenn schon Fleisch, dann eins, das so produziert werde, sagen die dann.

Dass die Tiere sich mit wenig begnügen, hat auch den Ausschlag für die Tristls gegeben, sich um das neue Beweidungsprojekt im Brucker Moos zu bewerben, gemeinsam mit der Familie Garnreiter vom Doimahof in Alxing, mit der man sich die anfallenden Arbeiten teilen wird. Sieben Mutterkühe, sechs Kälber, ein Zuchtstier und vier Ochsen werden die Vorhut im Brucker Moos bilden, mittelfristig werden wohl noch etliche andere Mitglieder der Herde dazu kommen, schließlich soll bis 2025 ein Areal von 50 Hektar beweidet werden. Die Tristls profitieren von der großzügigen Weidefläche für ihre Tiere - doch vor allem soll das Moor durch die Beweidung durch die robusten Rinder aufgewertet werden, wie Josef Rüegg vom Landschaftspflegeverband unterstreicht. Er begleitet das Projekt gemeinsam mit den Experten von der Unteren Naturschutzbehörde im Landratsamt fachlich.

Noch herrscht im Moos nicht so viel Leben wie erhofft

Denn das Brucker Moos, dessen Flächen zum großen Teil in öffentlicher Hand sind, wird zwar seit mehr als 20 Jahren extensiv bewirtschaftet und weder gedüngt noch gespritzt, dennoch haben sich bisher hier noch nicht so viele Tierarten angesiedelt, wie man es sich erhofft hatte. Durch die Beweidung soll ein größerer Strukturreichtum auf der Fläche entstehen, sagt Rüegg, die Rinder werden manche Stellen kurz halten, in anderen Ecken wird das Gras länger wachsen. "Dadurch bietet sich für Insekten die Möglichkeit, neuen Lebensraum zu finden", sagt Rüegg. Auch die Kuhfladen der Belties werden Futter für Insekten bieten - die dann wiederum Futter für Vögel und andere Tierarten sein können. "Der Wiedehopf etwa bevorzugt Großinsekten", erläutert der Fachmann. Im Landkreis ist der Vogel kaum mehr zu finden, vielleicht aber gelingt es den Belties, für ihn im Brucker Moos einen guten Lebensraum zu schaffen.

Auf fünf Jahre ist das Projekt zunächst angelegt, dabei wird ein Fachbüro genau die Erfolge dokumentieren und beobachten, welche Vögel, Schmetterlinge, Heuschrecken, Libellen und andere Tiere sich hier ansiedeln. Wenn es so läuft, wie erhofft, wird die Beweidung sicher auch über diesen Zeitraum hinaus fortgesetzt. "Wir freuen uns sehr darauf", sagt Rüegg über das Experiment - ebenso geht es den Tristls am Kastensee. Ein bisschen Nervosität sei vor dem Start zwar auch dabei, gibt Magnus Tristl zu: "Aber insgesamt sind wir sehr zuversichtlich."

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