Frauennotruf Ebersberg:Nein sagen

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An der Bahnhofstraße, mitten im Ortszentrum, ist der Ebersberger Frauennotruf untergebracht. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Seit August gibt es in der Beratungsstelle zwei Beauftragte für Gewaltprävention. Das wichtigste sei, sagen Hanna Dott und Clara Hoiß, dass Frauen lernen, ihre Grenzen zu definieren und sie klar zu vertreten.

Von Alexandra Leuthner, Ebersberg

Zuerst sind es nur Worte. Dann vielleicht eine zufällige Berührung, eine Hand auf dem Knie. Am Ende kann es zur Katastrophe kommen, einer Vergewaltigung. Das kann, muss aber natürlich nicht sein. Doch besser ist es, in einer potenziellen Gefahrensituation rechtzeitig zu reagieren, wenn das Bauchgefühl nicht stimmt.

Hanna Dott und Clara Hoiß haben eine Mission. Sie wollen Frauen helfen, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, wann sie nein sagen müssen. Und auch dafür, dass sie das dürfen. Das ungute Gefühl, das sich einstellt, wenn eine Begegnung unangenehm ist, in der S-Bahn etwa oder auf einer Party, darauf sollten Frauen hören, erklären die beiden Beraterinnen vom Frauennotruf Ebersberg. Und wenn der Bauch sich meldet, sollten sie auch richtig darauf reagieren, dem Gegenüber klarmachen: "Bis hierher und nicht weiter. Hier ist meine Grenze."

In jeder Klasse können zwei Kinder mit Gewalterfahrung vermutet werden

Seit 2019 kümmert sich Hanna Dott beim Ebersberger Frauennotruf um Präventionsarbeit, um die Verhütung von körperlicher und sexualisierter Gewalt. In Carla Hoiß hat sie in diesem August Verstärkung bekommen. Die 30-Jährige hat eine Ausbildung zur Erzieherin gemacht, ein Studium der Kindheitspädagogik und eine Fortbildung zur systemischen Familientherapeutin absolviert, unter anderem in der Suchtberatung für Jugendliche gearbeitet, bevor sie sich auf die neu geschaffene Stelle in Ebersberg beworben hat. "Wir gehen davon aus, dass in jeder Schulklasse zwei Kinder sitzen, die Gewalterfahrungen gemacht haben", erklärt Hoiß.

Eine erschreckende Zahl, die auf Dunkelfeldstudien der Weltgesundheitsorganisation fußt und von statistischen Erhebungen zur Gewalt gegen Frauen ergänzt wird: Jede dritte bis vierte Frau in Deutschland wird in ihrem Leben Opfer körperlicher oder sexualisierter Gewalt. Wie das Bundesinnenministerium im Juli nach neuesten Untersuchungen mitgeteilt hat, erleiden in jeder Stunde mehr als 14 Frauen Gewalt in ihrer Partnerschaft.

Dass sich hier etwas ändern muss, darin sind sich die beiden Ebersberger Präventionsbeauftragten einig, und so wollen sie im kommenden Jahr ihr vielfältiges Angebot für Kinder wie die "Starke-Kinder-Kiste" für Kindergärten mit Wochenend-Selbstbehauptungskursen für Frauen ergänzen. Diese Kurse übernehmen die beiden Beraterinnen nun selbst, nachdem in Vor-Coronazeiten noch Externe mit ähnlichen Angeboten betraut worden waren. Dott und Hoiß hoffen, die steigende Nachfrage nach Prävention zu zweit überhaupt befriedigen zu können. Zumal schon die Kurse für Kinder von Schulen, Elternbeiräten aber auch Kindertagesstätten stark nachgefragt würden, oder auch Kampagnen wie "Luisa ist hier", gegen sexuelle Belästigung in der Partyszene, bei Gastronomen gut angenommen werde, wie sie berichten.

Hanna Dott (rechts) ist seit 2019 beim Ebersberger Frauennotruf tätig, in diesem Sommer hat sie Verstärkung von Carla Hoiß bekommen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

"Wir sind hier eigentlich sehr gut ausgestattet", sagt Dott. Der Landkreis sei schon vor Jahren mit seiner Förderung des Frauennotrufs und der dort geleisteten Präventionsarbeit über den bayerischen 3-Stufen-Plan "Bayern gegen Gewalt" hinausgegangen. Jetzt habe er mit der Finanzierung der neuen halben Stelle, die von Carla Hoiß neben ihrer halben Stelle als Beraterin ausgefüllt wird, noch mal aufgestockt.

Doch "je mehr Angebot wir schaffen, desto größer wird auch die Nachfrage", sagt Dott. Im Jahr 2018 waren es noch 475 Beratungsgespräche, die im Frauennotruf geführt wurden, 2022 dann mehr als zweieinhalbmal so viele, 1280. Was nur bedingt Rückschlüsse darauf zulasse, dass die Fälle von Gewalt zugenommen haben könnten, sondern auch damit, dass die Beratungsstelle inzwischen den ganzen Tag über erreichbar sei - ein weiterer Schritt, um das Angebot möglichst niederschwellig zu gestalten.

"Das Thema gehört in die Mitte der Gesellschaft", sagt Hanna Dott

Und während das Team - fünf Beraterinnen und eine Verwaltungskraft - noch 2019 zum 30. Jahrestag der Einrichtung verwunderte Blicke geerntet habe bei der Vorstellung seiner Arbeit, sei man damit mittlerweile in der öffentlichen Wahrnehmung angekommen, erklärt Dott. Wozu auch der Umzug in die neuen Räumlichkeiten an der Bahnhofstraße und damit mitten ins Zentrum der Kreisstadt beigetragen habe. "Das Thema gehört in die Mitte der Gesellschaft und darf nicht versteckt werden."

Dass Sprache, sexuelle Anspielungen, unmittelbarer Sexismus den Nährboden für Gewalt bieten, ist Dott und Hoiß dabei ganz wichtig zu betonen. Natürlich hänge es immer vom eigenen Empfinden ab, ob etwa ein dahergesagter Spruch als harmlos oder schon als Belästigung empfunden werde. Und oft bekämen sie selbst etwa im Rahmen ihrer Aufklärungsarbeit bei Volksfesten wie in Grafing von Männern Sätze zu hören wie: "Darf man jetzt denn gar nichts mehr sagen?", oder "Nun habt Euch doch nicht so." Aber es sei einzig und allein an den Betroffen, in dem Fall eben meistens den Frauen, die Grenze des Sagbaren zu definieren.

Und diese müssten genauso lernen, diese Grenze klar zu signalisieren, im privaten Umfeld und auch in der Öffentlichkeit, wie sie lernen müssten, sich nicht selbst schuldig zu fühlen. "Wir erleben das oft, dass Frauen aber auch Kinder, die von Gewalt betroffen sind, die Verantwortung bei sich selbst suchen", sagt Hoiß. "Nur eine von 20 Frauen zeigt an." Bei Polizei und Justiz müssten sie dann oft genug erleben, dass ihnen nicht geglaubt werde, weil sie beispielsweise den Hergang des Erfahrenen, traumatisiert wie sie seien, nicht schlüssig schildern könnten.

Eine Tatsache, die ihrem Gerechtigkeitsempfinden total widerspreche, sagt Dott. Während ihres Studiums - der Sozialen Arbeit und der Bildungswissenschaften - sei ihr immer bewusster geworden, dass es selbst in unserer Gesellschaft trotz aller Errungenschaften des Feminismus immer noch viel Ungleichheit zwischen den Geschlechtern gebe, weshalb sie sich auch für den Job in Ebersberg entschieden habe. Immer noch patriarchalisch geprägte Strukturen schafften die Voraussetzungen für sexualisierte Gewalt. "Wir greifen gesellschaftlich ja immer erst ein, wenn es zu spät ist. Da müssen wir vorbeugen."

Bei aller Freude über die gute Ausstattung des Hauses, die einladenden Beratungsräume und die vergleichsweise üppige Personallage, könne also immer noch viel mehr zur Vorbeugung getan werden. "Wir könnten ein ganzes Präventionszentrum brauchen", nicht nur im Hinblick auf die Frauen, auch "um jedem Kind im Landkreis ein Präventivangebot machen zu können."

Der Frauennotruf Ebersberg lädt am Freitag, 24. November, zu einem Tag der offenen Tür in die Räume an der Bahnhofstraße 13a. Anlass ist der Internationale Tag zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen am Samstag, 25. November. Erreichbar ist die Beratungsstelle zwischen 8.30 und 16.30 Uhr unter (08092) 88110, und per E-Mail unter info@frauennotruf-ebe.de.

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