Historische Rarität:Die Zeit zurückgedreht

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Uhrenbauer Michael Münch begutachtet die sogenannte innere Uhr im Ebersberger Kirchturm. Auch sie soll nun wieder ihren Dienst aufnehmen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Das Herz der Kreisstadt schlägt wieder: Die Uhr im Ebersberger Kirchturm, ein mechanisches Unikat, wurde umfangreich restauriert. Das ambitionierte Projekt verlief reibungslos - und brachte eine Überraschung.

Von Anja Blum, Ebersberg

"Als sie dann tatsächlich wieder zu ticken angefangen hat, ist mir schon ein großer Stein vom Herzen gefallen", sagt Kurt Strehlow, "denn eine gewisse Restunsicherheit bleibt ja immer." Der Uhrmacher aus Pliening steht an diesem Vormittag mit seinem Kollegen Gernot Dürr im Turm der Ebersberger Pfarrkirche - wieder einmal. Die beiden sind dabei, einen großen, hochemotionalen Auftrag zu beenden: die etwa 300 Jahre alte, mechanische Kirchturmuhr fit zu machen für viele weitere Generationen.

Die Ebersberger nämlich hängen sehr an ihrer Pendeluhr hoch oben. Oft hat sie in den vergangenen Jahren die falsche Zeit angezeigt oder nicht richtig geschlagen - was stets zu vielen besorgten Nachfragen im Pfarrbüro von Sankt Sebastian führte. "Und zuletzt wurde ihr Schlagen schon schmerzlich vermisst", erzählt Heimatforscher Robert Bauer. Auch wegen dieser Zuneigung zu der Turmuhr hatten er und seine Kollegen vom Verschönerungsverein Ebersberg im vergangenen Jahr beschlossen, das historische Unikum reparieren zu lassen. Und nun kann man sagen: Es ist gelungen.

Diese Kirchturmuhr zeigt in Ebersberg seit 1784 die Zeit an - und sollte nun auch wieder zuverlässig funktionieren. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

In Dürr und Strehlow nämlich fand der Verein zwei engagierte Spezialisten, die keine Mühe scheuten, das Schmuckstück endlich einmal professionell instand zu setzen. Kleinere Reparaturen vor Ort hatte es nämlich immer wieder gegeben, durch den mittlerweile verstorbenen Kreisheimatpfleger Markus Krammer, aber auch von anderer Seite, wie sich nun herausstellte: Beim Auseinandernehmen der Mechanik entdeckten die Uhrenbauer eine Reparaturmarke aus dem Jahr 1901, versehen lediglich mit den Initialen "S.B.". Bauer aber konnte recherchieren, dass diese für den Ebersberger Sebastian Birkmaier stehen, der die Uhr damals schon mal aus dem Turm ausgebaut und repariert habe.

Ob er dabei wohl auch so viel Unterstützung hatte wie die heutigen Akteure? Die Teile des 460 Kilogramm schweren Uhrwerks aus dem Turm erst nach unten und später wieder hinauf zu transportieren, ist nämlich alles andere als ein Kinderspiel. Der Weg führt über einen schmalen Steg quer durch den Dachstuhl der Kirche, außerdem sind viele Stufen zu nehmen und Stolperschwellen zu beachten. Doch Strehlow und Dürr hatten beide Male zahlreiche Helfer: "Ganz viele Ebersberger Vereine haben diese Unternehmung im wahrsten Sinne des Wortes mitgetragen", freut sich Georg Schuder. Und gleich noch eine gute Nachricht hat der Chef des Verschönerungsvereins dabei: Angesichts des geplanten Budgets von 30 000 Euro liege man voll im Plan.

Dieses Hemmrad musste neu gegossen werden. Es ist nun aus Bronze statt Stahl und trägt die Signatur der beiden Restauratoren Gernot Dürr und Kurt Strehlow. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Außerdem ist nun klar: Es war wirklich allerhöchste Zeit, das Uhrwerk zu restaurieren. Ein Lager nämlich war bereits derart verschlissen, dass nur noch ein zwei Millimeter dünnes Metall die Mechanik zusammenhielt. Hätte es nicht mehr standgehalten, wäre die entsprechende Trommel samt Gewicht durch den Schacht im Turm drei Stockwerke nach unten gerauscht. "Bei dem Verschleiß wäre das nicht mehr lange ohne größere Schäden oder gar ein Unglück gutgegangen", sagt Gernot Dürr.

Zu mehr Sicherheit tragen nun auch neue Gewichte bei: die Behälter sind aus Eichenholz, im Inneren liegen je nach Bedarf Steine von einem Feld. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Wie gut also, dass er und Strehlow die Uhr Anfang November von einer dicken schwarzen Schmierschicht gesäubert, auseinandergebaut und dann in Dürrs Werkstatt im mittelfränkischen Rothenburg ob der Tauber gebracht haben. Dort haben sie alle Teile penibel auf Schäden untersucht und sie, wenn nötig, repariert. Sie haben Risse nachgeschweißt, Hebel gerade gebogen, alles wieder festgeschraubt. "Die meiste Arbeit steckt in den Zahnrädern, Achsen und Lagern", erklärt Dürr.

Bis vor Kurzem war die ganze Mechanik der Uhr mit schwarzer Schiere überzogen. Nun glänzt alles wie neu. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Stahlseile wurden durch solche aus Hanf ersetzt, alle Metallteile mit Paraffin gewachst. Die Farbe des wunderschön geschmiedeten Gestells allerdings haben die beiden Uhrmacher, die irgendwann Unterstützung bekamen von ihrem Kollegen Michael Münch, einem gebürtigen Steinhöringer, nicht angetastet. "Sonst wären ja die ganzen Inschriften verschwunden, aber das sind doch wertvolle Zeitzeugnisse", sagt er.

Um zu überprüfen, ob die ausgefeilte Mechanik wieder funktioniert, haben die Restauratoren sogar ein vier Meter hohes Holzgestell in Dürrs Werkstatt aufgebaut, in dem das Pendel zu Testzwecken schwingen konnte. "Ganz wichtig war, dass wir genug Zeit hatten, das alles in Ruhe anzugehen", sagt Strehlow.

Kurt Strehlow (links) und Gernot Dürr bei der Arbeit. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Doch zumindest in einem wichtigen Punkt war die Rettung dieser historischen Turmuhr einfacher war als gedacht. Zunächst nämlich war man davon ausgegangen, dass das Hauptzahnrad ersetzt werden müsste durch einen neu geschmiedeten Doppelgänger. Die Zähne des alten Rads nämlich waren bereits allesamt überkront worden mit Metallkappen.

Interessantes Provisorium: So sah das Zahnrad des Hauptwerkes vor der Restaurierung aus. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Doch siehe da: In der Werkstatt stellte sich heraus, dass eben das Lager der Welle derart ausgeschlagen war, dass die Teile gar nicht mehr richtig ineinandergreifen konnten. Die Kappen waren also nur dazu da, die Zähne quasi zu verlängern - und boten darüber hinaus einen Schutz gegen Verschleiß.

Inzwischen ist das Hauptrad gereinigt und wieder einsatzbereit. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Der historische Charakter der Uhr blieb auch ansonsten weitestgehend erhalten. "Wo etwas nicht ganz so gut funktioniert hat, haben wir es dezent verbessert", sagt Dürr. Die Hoffnung ist nun, dass nicht mehr ständig jemand Hand anlegen muss an das gute Stück, wie es der Ebersberger Pfarrer Josef Riedel, ein offensichtlich sehr begabter Mechanikus, jahrelang regelmäßig getan hatte. "Eine Feinjustierung sollte jetzt nur noch bei starken Temperaturschwankungen notwendig sein", so Strehlow.

Nun also funktioniert die Ebersberger Kirchenuhr wieder - allerdings zeigen die Ziffernblätter außen am Turm noch nicht die richtige Zeit an. Denn erstens muss der elektrische Aufzug der Uhr, den Krammer einst eingebaut hat, noch justiert werden, und zweitens hat ein Sturm einen der Zeiger beschädigt. Wann genau das repariert werden könne, sei ungewiss, sagt Bauer. Bis zum avisierten Stichtag Mitte Juni, zur Feier der Stadterhebung Ebersbergs vor 70 Jahren, wird allerdings bestimmt auch dieser kleine Makel behoben sein.

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Doch auch darüber hinaus geht es weiter mit der Ebersberger Kirchturmuhr. Zum einen wollen Bauer und seine Mitstreiter die Entstehung dieses mechanischen Unikums, die nach wie vor im Dunkeln liegt, weiter erforschen. Die Uhr stammt auf jeden Fall aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, aus dem Spätbarock, Experten schätzen ihr Baujahr auf 1720. Ursprünglich handelte es sich dabei um eine Waaguhr, einen frühen Typ der mechanischen Uhr ohne Pendel. In den Ebersberger Turm eingebaut wurde sie nämlich erst später, nach einem verheerenden Brand. Laut Inschrift hat "Jo. Martin Artzt: Die Uhr durchaus verändert und zum langen Perpendikel gemacht in München: 1784".

Spannend ist, dass ihr Uhrwerk eine baugleiche Schwester hat: Sie stammt aus dem Kloster Fürstenfeld, befindet sich mittlerweile als Exponat im Deutschen Museum und wurde ebenfalls von Dürr und Strehlow restauriert. Die Ebersberger Uhr wiederum könnte laut ihnen einst für die Münchner Residenz geschaffen worden sein. Ob beide Gehwerke aber tatsächlich aus der Hand desselben Meisters stammen, ist noch ungewiss.

Fest steht aber bereits, dass es anlässlich der geglückten Uhren-Rettung im Herbst eine Feier im Stadtpark geben wird, auch am Tag des offenen Denkmals könnte die Rarität im Ebersberger Kirchturmuhr auf dem Programm stehen. "So viele dieser mechanischen Uhren hat ein schlimmes Schicksal ereilt", sagt Münch, "sie wurden stillgelegt, ausgebaut, verschrottet." Das Herz der Kreisstadt aber wird nun weiterschlagen. Womöglich für gleich nochmal 300 Jahre.

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