Spiegel-Bestsellerliste:Mehr als nur ein Bapperl

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Die Liste gibt es weit mehr als ein halbes Jahrhundert - Verlage und Autorenschaft lieben sie, manche Lesenden ebenfalls, der Buchhandel ist gespalten. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Seit Anfang des Jahres hat der Zusammenschluss unabhängiger Buchhändler "eBuch" die Federführung bei der Spiegel-Bestsellerliste übernommen. Was das bedeutet, erklärt Sebastian Otter aus dem Team der Genossenschaft. Doch wie sehen die Buchhandlungen im Landkreis Ebersberg das 60 Jahre alte Ranking?

Von Michaela Pelz, Ebersberg

Im Prinzip ist es nur ein Bapperl. Und doch bringt die weiße Schrift auf rotem Grund Menschen zum Jubeln und Weinen, begründet Karrieren, zerstört Illusionen oder sorgt für wirtschaftlichen Aufschwung. Denn der unscheinbare Aufkleber adelt das Produkt, auf dem er klebt, als "Spiegel-Bestseller".

Wer sich damit besonders gut auskennt, ist Sebastian Otter. Bis er Ende 2021 seinen gleichnamigen Buchladen übergab, informierte sich seine Kundschaft auf diesem Weg über die meistverkauften Titel. Nun spielt eBuch, der Zusammenschluss von inhabergeführten Buchhandlungen, in dem der Ebersberger sechs Jahre lang Aufsichtsrat war und dessen Team er nun im Vertrieb angehört, eine maßgebliche Rolle für den Erhalt der Liste, den Otter sehr begrüßt.

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Das seit 1961 existierende Ranking wurde zwischen 1971 und 2023 im Auftrag des Magazins Spiegel von der Redaktion des "Buchreport" aus dem Dortmunder Harenberg-Verlag ermittelt. Nach dessen Insolvenz im vergangenen Dezember ging die Federführung an die Redaktion des Fachmagazins BuchMarkt, das seit 2022 der eBuch Service GmbH & Co. KG gehört. "Die Genossenschaft wird in der Branche nach Thalia und Hugendubel als dritte Kraft gesehen. Bei der Datenerhebung war sie immer schon involviert", sagt Otter.

Die Daten stammen aus über 9000 Verkaufsstätten

Basis der Spiegelliste bilden die vom Marktforschungs-Dienstleister Media Control elektronisch aus den Warenwirtschaftssystemen, also Kassen und Bestellprogrammen, ausgelesenen Daten der beteiligten über 9000 Verkaufsstätten. Sie umfassen Sortiments- und Bahnhofsbuchhandel, eCommerce, Kaufhäuser sowie Elektro- und Drogeriemärkte. Nach eigener Auskunft verfügt Media Control über eine Marktabdeckung von 88 Prozent und damit über das "aussagekräftigste Buch-Handelspanel im deutschsprachigen Raum".

Laut Otter hat sich seit Beginn des Jahres jedoch für die Mitglieder deutlich mehr geändert als für Käuferinnen und Käufer, denen der Wechsel vielleicht gar nicht bewusst sei.

Viele Jahre betrieb Sebastian Otter den "Buch-Otter" in Ebersberg. Nun ist er Teil des Teams der Genossenschaft eBuch. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die angeschlossenen Einzelhändler bekämen nun die Listen schon vor dem Erscheinen im Spiegel - kostenfrei, im Gegensatz zu vorher. So könnten sie frühzeitig ihre Bestseller-Wand bestücken und neu sortieren. "Vorher nutzten es vielleicht nur 100 - jetzt über 850 auf einen Schlag", erklärt Otter und ergänzt: "Plötzlich haben die ,kleinen Fische' wieder Zugriff auf das große Aushängeschild."

Doch das Verzeichnis der Top-Titel aus Sachbuch und Belletristik in den Kategorien Hardcover, Paperback oder Taschenbuch (der Unterschied liegt in Größe, Umschlag und Verarbeitung), ist alles andere als ein reines Reklame-Instrument. Vielmehr, so Otter, erfahre es in der Branche große Wertschätzung und Glaubwürdigkeit. Denn: "Die Erhebung der Daten ist verlässlich und nicht von undurchsichtigen Algorithmen generiert. So haben die Endkunden nach wie vor mit der Liste eine unabhängige Größe, die nicht anderen Interessen gehorcht."

Wobei das Label "Bestseller", so eine Sprecherin des Börsenvereins, nicht etwa mit einer, wie es oft heißt, magischen Grenze von 100 000 Exemplaren korrespondiert, sondern lediglich mit den Vergleichsgrößen: "Im Weihnachtsgeschäft werden viel mehr Bücher verkauft als im Januar, das heißt, im Dezember sind mehr verkaufte Titel nötig als im Januar, um es auf die Bestsellerliste zu schaffen."

Doch wie sehr wurde der Kaufentscheid für die laut Börsenverein rund 500 Millionen Bücher im Jahr 2023 wirklich von der Spiegel-Liste beeinflusst und was bedeutet sie dem Buchhandel im Landkreis?

Björn Hartung muss oft Detektivarbeit leisten, um anhand weniger Informationen herauszufinden, was Kunden suchen, die nach einer Buchbesprechung im Radio den exakten Titel vergessen haben. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

"Meine Stammkunden sind nicht bestsellerlastig", sagt der Inhaber von Buch Otter in Ebersberg, Björn Hartung. Zwar gäbe es immer wieder konkrete Nachfragen oder es werde in den Aufstellern gestöbert, aber viel relevanter seien Besprechungen in den Medien, etwa im Radio. Gefragt nach seinen Verkaufsrennern landet Hartung aber doch wieder bei der Spiegel-Liste. Denn dazu gehört "Eine Frage der Chemie" (Bonnie Garmus), seit mehr als 90 Wochen ein Bestseller.

Auch sein persönlicher Favorit - "Der Trost der Schönheit" (Gabriele von Arnim) - hat den Aufkleber. "Ich bin gar nicht die Zielgruppe, wollte nur mal reinlesen. Aber dann fand ich die Sprache so wunderbar, dass ich nicht mehr aufhören konnte." Die berührende Mischung aus autobiografischen Elementen, Zitaten und Anekdoten schärfe das Bewusstsein für die kleinen Dinge, die diese schwierigen Zeiten erträglicher machen: das Lächeln eines Unbekannten oder die letzten Sonnenstrahlen über den Bergwipfeln.

Karen Schiöberg-Feys Kunden verlassen sich mehr auf ihre Empfehlungen als auf das Ranking der Bestsellerliste. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Karen Schiöberg-Feys Erfahrungen mit der Bestsellerliste sind sehr unterschiedlicher Natur. In ihrem Aßlinger Bücherladen habe sie Prinz Harrys Buch oder die Biografie von Britney Spears kein einziges Mal verkauft. "Fitzeks ,Elternabend' wiederum schon. Und Eberhoferkrimis sowieso, die sind immer gut dabei." Sie selbst schaue sich die Liste natürlich an, fände sie aber nicht sehr wichtig, obwohl die Aufkleber bei manchen schon kaufentscheidend seien. Die BookTok-Auswertung hingegen studiere sie aufmerksam: "Was dort gehypt wird, spiegelt sich bei uns auch wider."

Grundsätzlich gelte aber: "Bücher, hinter denen wir selbst stehen, verkaufen sich auch gut." Als Beispiel nennt sie "22 Bahnen" (Caroline Wahl) - das Lieblingsbuch der unabhängigen Buchhändler. Ebenfalls empfehlenswert: "Das Meer der endlosen Ruhe" (Emily St. John Mandel). "Eine Entdeckung, weil es in ganz verschiedenen Zeitebenen spielt, eine ganz wunderbare Sprache hat und eigentlich auch topaktuell ist. Es beginnt mit einem Adeligen, der auswandert und endet mit einer Autorin, die auf dem Mond wohnt und zur Erde reist." Ihr Favorit bei den aktuellen Neuerscheinungen ist "Selbe Stadt, anderer Planet" (Dominika Meindl), eine "coole, moderne Geschichte über Hallstatt in Tirol und das Pendant in China".

Krimifans lassen sich gerne von der Bestsellerliste inspirieren - zumindest in Poing

Wer sehr auf die Bestsellerliste achtet, sind Krimifans, hat Elke Knitter im Buchladen Poing beobachtet. Allerdings sagt die Fachfrau auch: "Bei uns geht wahnsinnig viel über Beratung. Wenn wir einen Titel empfehlen, spielt meist der Platz auf der Bestsellerliste oder das völlige Fehlen dessen keine Rolle." Zumal sie der Ansicht ist, Bestseller müsse nicht "best to read" sein. Auch findet sie, die roten Buttons auf den Büchern seien "ein bisschen inflationär. Da verschwindet das Besondere und wird zum Alltäglichen".

Ihre "absolute top Empfehlung" ist "Zauber der Stille" (Florian Illies), ein Sachbuch über Caspar David Friedrich, das "unglaublich viel Wissen vermittelt, extrem gut geschrieben und lesbar ist. Dieses Buch ist wie ein Eintritt in einen Raum, in dem wieder viele weitere Türen geöffnet werden". Absolut lesenswert sei auch "Violeta" (Isabel Allende), die Lebensgeschichte einer starken Frau in Lateinamerika.

Ein Buch übrigens, dem direkt nach seinem Erscheinen 2022 der Sprung auf die Spiegelbestsellerliste gelang. Wo sich - vor allem im Sachbuchbereich - manche Titel sogar jahrelang behaupten. "Das Café am Rande der Welt" (John Strelecky) etwa seit mehr als 450 Wochen. Da hat sich der Druck des Bapperl wirklich gelohnt.

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