Von Ebersberg zum Nordkap:Ein Mann, zwei Räder und 3300 Kilometer

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Nach sechs Wochen und 33 Etappen hatte er es geschafft - der damals 50-Jährige war am Nordkap angekommen. (Foto: privat)

Sechs Wochen lang ist Stefan Kühnlein im Jahr 2021 mit dem Fahrrad quer durch Europa unterwegs, heute bringt er mit seiner Geschichte Menschen zum Staunen.

Von Pia Hitzer, Ebersberg

"Ich bin eigentlich eher ein Schönwetterradler", erklärt Stefan Kühnlein, wenn man ihn zu seiner momentanen Radsportroutine fragt. Daher sei er im Winter auch gar nicht mit dem Fahrrad unterwegs gewesen, ergänzt der 53-Jährige. Gut also, dass das Wetter im Sommer besser ist. So gut sogar, dass der Softwarearchitekt aus Ebersberg 2021 knapp 3300 Kilometer von seiner Haustür bis ans Nordkap mit dem Fahrrad zurücklegte. Damals erfüllte er sich damit einen großen Traum, heute bringt er mit seiner Geschichte Menschen zum Staunen.

Am 17. Juni 2021 war es so weit, der damals 50-Jährige verabschiedete sich von seiner Frau und den zwei Kindern, um von seiner Haustür in Ebersberg aus seine Reise zu starten. Die insgesamt 35 Kilogramm Gepäck hatte er auf drei Radtaschen verteilt, das Fahrrad wog noch zusätzlich zwölf Kilogramm. Schwer bepackt war er also, als er die erste von insgesamt 33 Etappen begann, die ihn letztendlich innerhalb von sechs Wochen an das Nordkap führten.

Auf dem vollbepackten Fahrrad hatte er sogar noch ein Solarpanel installiert, um sein Handy immer mit genug Strom versorgen zu können (Foto: privat)

Die kürzeste pro Tag zurückgelegte Strecke betrug dabei knapp 65 Kilometer, während die normale tägliche Streckenlänge bei 110 bis 115 Kilometern lag. Ruhetage legte Kühnlein nur insgesamt drei Stück ein, auch Pannen gab es nur wenige. Zweimal habe er einen Speichenbruch und einmal einen Platten gehabt, erzählt er. "Aber insgesamt ist alles wie am Schnürchen gelaufen". Nur einmal sei er in Finnland auf einen kürzeren Weg ausgewichen, einen sogenannten Singletrail , der aber leider schlecht befestigt war. "Dann musste ich 24 Kilometer schieben", berichtet er.

Als seine Eltern ihn mit 15 fragten, ob er ein Mofa oder ein Fahrrad wolle, entschied er sich für letzteres

Dass man das Fahrradfahren wirklich lieben muss, um sich auf solch eine Tour zu begeben, muss wohl kaum erwähnt werden. Stefan Kühnlein war schon immer gerne mit dem Rad unterwegs. Als ihn seine Eltern mit 15 fragten, ob er lieber ein Mofa oder ein neues Fahrrad haben wolle, entschied sich der Junge für letzteres. Mit 18 kaufte er sich ein eigenes Rennrad. Schon in jungen Jahren radelte er mit den Franziskanern von München bis nach Santiago de Compostela. Dreimal sogar. Auch von Monaco bis Marseille haben ihn seine Räder schon als Jugendlichen getragen. Später ging es mit der eigenen Familie immer wieder auf lange Radtouren.

Im Sommer 2019 dann verbrachte der Radsportler die Ferien in Norwegen, zusammen mit der Familie. Allerdings nicht mit dem Fahrrad, sondern dem Camper. Vielleicht kam auch gerade deshalb die Idee auf, dass man das Land ja auch einmal mit dem Fahrrad bereisen könnte. Stefan Kühnlein fing daraufhin an, zu recherchieren. "Irgendwann meinte ich zu meiner Frau: Das ist toll. Wenn ich in Rente bin, mach ich das mal", erzählt er. Diana Kühnlein-Spielmannleitner allerdings war der Meinung, dass man solche Träume nicht aufschieben sollte und so war der Grundstein für die große Fahrradreise gelegt.

Fast ein ganzes Jahr dauerten die Vorbereitungen auf die Tour

Im Herbst 2020, also mitten in der Coronapandemie, begann Kühnlein dann mit den Vorbereitungen. Großartig trainiert habe er aber nicht, berichtet er, schließlich wusste er von früher, dass er etwas mehr als 100 Kilometer am Tag gut schaffe. Aber ein neues Fahrrad musste her. Einige Gepäcktaschen wurden neu gekauft und sogar eine Drohne legte der Radfahrer sich zu. Auch die Route musste überlegt sein, schließlich gibt es im Norden mehrere EuroVelo Strecken, also Radwege, die vom Europäischen Radfahrerbund genehmigt wurden. Kühnlein entschied sich für die Route 10, durch Schweden, an der Ostsee entlang. Im Vorhinein gebucht habe er aber nur die Unterkünfte in Deutschland berichtete er, der Rest ergab sich auf dem Weg.

35 Kilogramm wog das Gepäck insgesamt, weil an alles gedacht werden musste - Kleidung, Campingausrüstung, kleiner Werkzeugkasten und und und (Foto: privat)

Manchmal war das auch genau, was den Radfahrer auf der Tour antrieb. Immer wieder planen zu können, die Campingplätze für die kommenden Nächte zu buchen und sich die Stecke für die nächsten Tage vor Augen zu führen, kann sehr motivationsfördernd sein. Wirklich ans Aufgeben habe er aber so oder so nie gedacht, berichtet der 53-Jährige. "Natürlich hätte ich mich bei dem Singletrail in Finnland hinsetzen können und verzweifeln, aber das bringt ja nichts. Da kommt ja trotzdem niemand, um einen abzuholen", erzählt Kühnlein und lacht dabei.

Auch die 2000 Kilometer entlang der Ostseeküste in Schweden waren, laut dem Radfahrer, ein hartes Stück. Die Landschaft habe sich kaum verändert und auch der Streckenfortschritt war kaum ersichtlich. Da kann leicht Langeweile und Motivationslosigkeit aufkommen. Kühnlein allerdings hat das nicht so empfunden. "Man hat im Endeffekt durchgehend drei Fragen im Kopf: Fahre ich auf der richtigen Route? Habe ich noch genug Wasser und wo bekomme ich sonst welches? Und, wo kann ich als Nächstes etwas essen?" Mit diesen Gedanken sei er während der Reise gut beschäftigt gewesen, berichtet er.

Hell, sonnig und warm - dem Extremwetter in Deutschland fuhr er einfach davon

Sonst habe er die viele Zeit einfach genutzt, um den Moment zu genießen und die Natur zu bewundert. Die Landschaft bestaunen konnte er auch mehr oder weniger die ganze Zeit, denn die Sonne verschwindet in den Sommermonaten im Norden nie wirklich. Auch was das Wetter angeht, hatte Kühnlein großes Glück. Während in Deutschland Sturmfluten und Hagelschauer ihr Unwesen trieben, konnte er bei strahlend blauem Himmel seine Kilometer zurücklegen. Nur vier Regentage insgesamt zählte er und bis zum Polarkreis Temperaturen von etwa 26 Grad. Erst über dem Polarkreis sei es kühler geworden, berichte er.

Zwei Uhr nachts an der finnischen Grenze - ganz dunkel wurde es nie. (Foto: privat)

Besonders im Gedächtnis geblieben ist dem Radsportler der letzte Tag der Route. Nach etwa 100 Kilometern Strecke sei er am Campingplatz kurz vor dem Nordkap angekommen und habe das Zelt aufgeschlagen. "Dann habe ich überlegt - soll ich die letzten Kilometer nicht doch heute noch fahren?" Kurzerhand sei er also erneut aufs Fahrrad gestiegen und das letzte, extrem anspruchsvolle Streckenstück bis zum Nordkap geradelt. "Ich war durch das Adrenalin so in meinem Tunnel", berichtet er. Er habe diese Strecke gar nicht mehr als so anstrengend in Erinnerung, dabei war diese im Endeffekt sogar 145 Kilometer lang und von großen Höhenunterschieden gezeichnet. "Da habe ich extrem gemerkt, was der Körper alles leisten kann. Was geht, wenn es gehen muss." Schlafen allerdings habe er die ganze Nacht danach nicht können, berichtet der Radfahrer.

Stefan Kühnlein hat schon eine neue Herausforderung im Blick: quer durch die USA

Erholung allerdings hätte er nach diesem Tag und seiner langen Tour sicherlich gebrauchen können, denn als Urlaub lässt sich Kühnleins Reise kaum betiteln. Ein normaler Reisetag habe gegen sechs Uhr begonnen, aufs Rad geschwungen habe er sich dann zwischen neun und zehn Uhr, berichtet er. Angekommen am nächsten Stopp sei er zwischen fünf und halb acht abends. Müde in die Isomatte gefallen sei er aber oft erst zwischen zehn und elf Uhr abends, sagt er, denn meistens habe er abends noch einige Zeit mit der Reisedokumentation verbracht. Der 53-Jährige schrieb während der Tour nicht nur ein grobes Reisetagebuch, sondern teilte seinen Weg auch auf seiner Routenplaner-App und den sozialen Medien.

Dank dieser Dokumentation war es ihm auch möglich, im Februar einen Vortrag über seine Reise bei der Kolpingfamilie zu halten. Dass zu diesem über 100 Leute kamen, hat den Radfahrer selber positiv überrascht. Dass viele gekommen sind, ist vor allem aus einem Grund sehr schön: Kühnleins Geschichte inspiriert dazu, Träume nicht aufzuschieben, sondern umzusetzen. Nicht auf einen vermeintlich besseren Zeitpunkt zu warten, sondern die Zeit jetzt zu nutzen und in das eigene Abenteuer zu starten. Stefan Kühnlein selbst hat schon wieder eine neue Idee. "Amerika von Ost nach West mit dem Fahrrad, das wäre schon was."

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