Projekt in Ebersberg:Zum Drüberstolpern

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"La Garaasch" soll neugierig machen auf zeitgenössische Kunst, hier die Arbeit des Graffiti-Künstlers Marcel Kovarik. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Der Kunstverein hat neuerdings eine Außenstelle: "La Garaasch" mitten in der Altstadtpassage. Dort geben wechselnde Gäste einen lebendigen Einblick in ihr Schaffen. Der Bildhauer Johannes Gottwald aus Herrmannsdorf feiert an diesem Freitag Midissage.

Von Anja Blum, Ebersberg

Übernachten ist leider nicht erlaubt. Trotzdem hat Johannes Gottwald eine bunte gestreifte Hängematte gespannt in jenem Raum, den er derzeit bespielt und belebt. "Das ist mein Sommerlager", sagt der Künstler aus Herrmannsdorf und lächelt.

Obwohl also keine echte Herberge, so ist "La Garaasch" doch irgendwie ein Artist-in-Residence-Programm. Der Kunstverein Ebersberg hat es aufgelegt, immer vier Wochen lang dürfen Kreative aller Sparten den Stellplatz in der Fußgängerzone der Kreisstadt für sich nutzen. Sie können und sollen sich und ihre Arbeit dort zeigen, gerne auch work in progress. Sogar nachts, wenn niemand da ist, kann man sehen, wie sich der Inhalt der Garage wandelt: Ein Tor aus Glas und Stahl aus der Kunstschmiede Bergmeister macht's möglich.

Lightpainting vor Projektbeginn: In einer unscheinbaren Garage am Rande des Einkaufszentrums will der Kunstverein Ebersberg Berührungsängste abbauen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Zur Außenstelle des Kunstvereins wurde die Garage 2021 im Zuge des Arkadien-Festivals, dessen Macher nämlich hatten Anja Uhlig und ihr legendäres "Klo-Häuschen" aus München nach Ebersberg eingeladen. Da fungierte der Raum am Rande des Einkaufszentrums als Mini-Kunsthalle: Zu sehen gab es Arbeiten von etwa 60 Künstlerinnen und Künstlern, Malerei, Zeichnungen, Fotografie, Skulpturen und Objekte en miniature. Hintergrund war freilich auch die Pandemie, die es nötig machte, Kunst vor allem unter freiem Himmel zu zeigen.

Doch den Verantwortlichen gefiel die Dependance des Kunstvereins nahe seiner Räume im Klosterbauhof dermaßen gut, dass die Idee nun eine Wiederbelebung erfährt. "Es geht ja auch immer darum, Berührungsängste abzubauen, Leute jenseits unserer Galerie zu erreichen", erklärt Luci Ott, die das Projekt zusammen mit Manuel Strauß und Andreas Mitterer betreut. Wichtig ist dem Team, dass "La Garaasch" keine starr konzipierte Ausstellung sein soll, sondern ein interaktiver Raum. "Einer, wo etwas entsteht. Wo man quasi drüberstolpert über die Künstler und ihr Werk", sagt Ott. Der Kunstverein Ebersberg möchte eine neue Schnittstelle zwischen zeitgenössischer Kunst und Gesellschaft anbieten. Insofern ist der Platz mit seinem regen Durchgangsverkehr ideal.

Das Team und sein erster Gast: Andi Mitterer, Marcel Kovarik, Manuel Strauss und Luci Ott. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die erste Runde von La Garaasch läuft seit April bis Oktober und ist in sechs Slots eingeteilt, insgesamt soll eine möglichst große Vielfalt an künstlerischen Positionen gezeigt werden. Das Projekt wird gefördert von der Stiftung Kunstfonds Bonn und unterstützt unter anderem von der Otter-Wamsler GmbH, Eigentümerin der Garage. Die eingeladenen Künstlerinnen und Künstler starten jeweils Mitte des Monats vor Ort mit ihrer Arbeit, nach zwei Wochen findet eine Midissage statt, danach metamorphiert die Raumgestaltung weiter. Mitte des Monats zieht ein Nachfolger ein, ihm wird jeweils ein kleines Stück der eigenen kreativen Arbeit hinterlassen. Ein Impuls, eine weitergegebene Idee.

Sophia Mainka liebt verfremdete Alltagsobjekte. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Johannes Gottwald, der aktuelle Garaasch-Bewohner, findet an der Wand ein kleines gesprühtes Herz vor, es stammt von Graffiti-Künstler Marcel Kovarik, der die schmucklose Garage als erster verschönerte. Auf dem Boden liegt außerdem noch ein verfremdeter Autospiegel: Gottwalds Vorgängerin Sophia Mainka platzierte diverse manipulierte Alltagsobjekte als Stolpersteine in der Altstadtpassage.

Zwischen Kovarik und Mainka allerdings war die Garaasch zeitweise verwaist: Mit Maria Kulykivska, einer Ukrainerin, sollte das Projekt zu einem politischen Statement werden. Die Künstlerin musste bereits zwei Mal fliehen, erst von der Krim, dann aus Kiew. Im Mai ist die junge Mutter zwar in Sicherheit, versucht aber gerade verzweifelt, ihren Mann und ihre Werke aus der zerbombten Heimat zu retten. Da ist keine Zeit für Ebersberg. Zur Midissage allerdings kommt Kulykivska und zeigt eine Performance, für die sie einst in St. Petersburg verhaftet wurde: Wie ein getöteter Soldat mit der ukrainischen Fahne bedeckt, liegt sie auf dem Boden vor der Garaasch. Nur dass sich der Körper unter dem gelb-blauen Stoff in diesem Fall minimal bewegt. "Da hatten die vorbeieilenden Passanten schon was sehr Bedrückendes", sagt Ott. "Die Menschen nehmen die Toten gar nicht mehr wahr."

Die ukrainische Künstlerin Maria Kulikovska legt sich unter eine Fahne - wie ein gefallener Soldat. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Klar ist: Viele gehen vorbei, ohne Notiz zu nehmen von der künstlerisch besetzten Garage. Manche reagieren aber auch mit Verwunderung: "Man erntet schon viele irritierte Blicke", erzählt Ott. "Und beim nächste Mal siegt vielleicht die Neugier, dann schauen sie rein oder fragen manchmal sogar nach." Dann ergäben sich Gespräche, meist mit positiven Reaktionen. "Gut, dass ihr das macht!", sagt eine Oma mit Kinderwagen, während Gottwald die Wände der Garage bemalt. Ott weiß sogar von zwei Männern zu berichten, die ihre Mitwirkung angeboten hätten. "Mal sehen, ob sie nochmal wiederkommen."

Johannes Gottwald, der an diesem Freitagabend Midissage feiert, hat schon ziemlich viel Zeit in der Garaasch verbracht. "Abends ist die Stimmung lockerer, da steigt das Interesse", sagt er, in seiner bunten Hängematte sitzend. "Vom Lagerleben - Neoromantische Betrachtungen in barbarischen Zeiten", so hat der Bildhauer aus Herrmannsdorf sein Projekt überschrieben, es geht um die großen aktuellen Themen. Um Klimawandel, Energiekrise, Migration und Diskriminierung bezüglich sexueller Orientierung. Gottwald ist eine Art sanfter Aktivist, in diesem Moment philosophiert er darüber, wo wir alle stehen - "nämlich meistens dazwischen".

Johannes Gottwald probt in der Garage das Lagerleben. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Auf dem Dach der Garage thront wie ein Wetterhahn eine Metallskulptur aus großen Buchstaben, "Fußabdruck" und "Energiewende" sind da zu lesen. Auf den Boden hat Gottwald Botschaften in Form von Fußabdrücken gesprüht, "Gesundheit" steht da zum Beispiel. Zentrum seiner Arbeit aber sind unzählige Begriffe rund ums Thema "Lager", die er in bunten Farben auf die Mauern der Garage - die ja üblicherweise selbst ein Stauraum ist - schreibt. Lagerfeuer, Rohstofflager, Notlager, Lagerhaft, Lagerkoller, Waffenlager, Belagerung - Gottwalds Fundus scheint unerschöpflich.

Das Bemerkenswerte daran: Es ergeben sich unfassbar viele Assoziationen und Bezüge, fast wie bei einer Mindmap. Dem gibt der Künstler auch bildlichen Ausdruck, er versieht jedes Wort mit einem Strich, der Anfang und Ende an der Aufhängung der Hängematte findet. So entsteht ein buntes Netz, das es zu erkunden gilt, aber auch ästhetisch sehr ansprechend ist. Wohin genau sich sein Sommerlager noch entwickeln wird, darauf ist Gottwald selbst gespannt. Sicher aber ist: Er hat viel zu sagen und zu fragen, ein Besuch lohnt also allemal.

Anstatt eines Katalogs wird es am Ende übrigens einen Film über "La Garaasch" geben, hier dokumentiert Valentin Winhart den Besuch von Marcel Kovarik. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

"La Garaasch" ist ein Experiment, der Versuch, zeitgenössische Kunst mal auf anderen Wegen an den Mann, die Frau zu bringen. Und das erste Fazit des Teams lautet: "Rauszugehen, ist auf jeden Fall erstrebenswert!" Wie gut die Publikumsansprache funktioniert, ist laut Ott allerdings sehr davon abhängig, wie viel der jeweilige Gast in dem Raum präsent ist. "Das haben die ersten Monate deutlich gezeigt." Insofern werde man bei einer möglichen Wiederholung sicher darauf achten, Künstler zu akquirieren, die gerne interaktiv arbeiten und vor allem die Möglichkeit haben, oft vor Ort zu sein. "Ideal wäre natürlich, wenn wir, wie bei Residenzen eigentlich üblich, eine Unterkunft stellen könnten", sagt Ott. Denn eine Hängematte ist zwar schön, aber eben noch kein echtes Sommerlager.

"La Garaasch", Außenstelle des Ebersberger Kunstvereins in der Altstadtpassage, Midissage mit Johannes Gottwald an diesem Freitag, 29. Juli, um 19 Uhr. Von 15. August bis 14. September: Anja Uhlig; von 15. September bis 14. Oktober: Klasse Schirin Kretschmann von der Kunstakademie in München.

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