Kultur in Ebersberg:Zauberhaftes zum Schluss

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Florian Tuercke bespielt die Galerie des Ebersberger Kunstvereins mit raumgreifenden Installationen, die Sound machen. (Foto: Christian Endt)

Florian Tuercke liefert mit seiner Ausstellung "what's left of tomorrow" in der Galerie des Ebersberger Kunstvereins den Soundtrack zum Weltuntergang. Ein so verstörendes wie betörendes Erlebnis.

Von Anja Blum, Ebersberg

Den Soundtrack zum Weltuntergang? Wer will den schon hören! Muss ja schrecklich sein. Oder? Mitnichten, wie die neue Ausstellung beim Kunstverein Ebersberg nun beweist. Florian Tuercke hat sie gestaltet, und zwar mit klingenden Installationen unter dem dystopischen Titel "what's left of tomorrow" - was von morgen übrig ist. Es geht um so schlimme Dinge wie Krieg, Klimaerwärmung und Artensterben, Tuercke legt den Finger also in viele Wunden. Und doch ist sein "Soundtrack zum Ende der Welt" keine Kakofonie, kein ohrenbetäubender Lärm, kein schriller Aufschrei. Sondern ein Erlebnis.

Verstörend und betörend zugleich. So könnte man diesen Klangteppich vielleicht beschreiben. Alle Installationen spielen ihren Sound gleichzeitig ab, von überall her dringen Geräusche, es bimmelt, zwitschert, gongt und tönt. Kaum ist zu unterscheiden, welcher Loop woher genau stammt, auch musikalische Muster sind nur schwer erkennbar. "Das ist Ausstellung und Konzert zugleich", sagt Tuercke, und dementsprechend solle man sich bitte auch dazu verhalten. Sprich: "Nichts anfassen und nicht herumschreien."

Florian Tuerckes Installationen machen nicht nur optisch was her, sondern auch akustisch. (Foto: Christian Endt)

Doch diese Sorge ist vermutlich unbegründet. Stumm staunend wandelt der Besucher durch die Räume der Alten Brennerei, getrieben von dem Wunsch, das intensive Geschehen zu verstehen. Sich hinsetzen, die Augen schließen, die Klänge in ihrer Vielschichtigkeit wirken lassen, das ist der zweite Impuls. Denn hört man dieser rätselhaften Symphonie lange genug zu, beschleicht einen das Gefühl, dass nicht nur jedem Anfang ein Zauber innewohnt, sondern vielleicht auch dem Ende.

Der in Nürnberg und Danzig lebende Künstler Florian Tuercke, geboren 1977, arbeitet stets "im Spannungsfeld von Raum, Klang und Kontext". 2021 war er schon mal zu Gast beim Ebersberger Kunstverein, nämlich während des Arkadien-Festivals mit seiner Aktion "Urban Audio", die Verkehrslärm in Musik übersetzt. Auch Instrumente baut er selbst, seine beeindruckende "Longboardharp" konnte man in der Kreisstadt ebenfalls mal erleben. Was dieses Feld angeht, arbeitet Tuercke, der einst in Nürnberg Kunst studiert hat, allerdings als Autodidakt. "Ich bin halt ein Tüftler", sagt er und grinst.

Diese mächtge Kugel trohnt als Klangkörper auf vier Saiten. "Time will tell" heißt die Arbeit, sie soll zeigen, dass der Mensch die Zeit mitnichten im Griff hat. (Foto: Christian Endt)

Und was für einer, muss man nach dem Rundgang durch die Galerie sagen, denn jede Skulptur kann als singuläres Meisterwerk gelten. Das Prinzip ist zwar fast immer das gleiche: gespannter Pianodraht wird durch Elektromagneten in Schwingung versetzt, die Frequenz ändert die Stimmung, also den Klang. Dazu gibt es stets einen Resonanzkörper und manchmal auch Lautsprecher. Doch jedes Mal ist diese Funktionsweise von Tuercke verschieden umgesetzt - und vor allem das Ergebnis ein anderes.

Weil, und das ist der springende Punkt: Diesem Künstler geht es nicht nur um Optik und Akustik, sondern stets auch um Inhalte. Bei der Installation "Crossfire" etwa werden die Saiten per Magnet "gefüttert" mit Gefechtslärm aus dem Gazastreifen und der Ukraine. "Jeder Ton, den wir hier hören, ist eigentlich ein Schuss", erklärt er. Die entsprechende Tonspur habe er aus Material der Youtube-Kanäle aller Beteiligten zusammengesetzt, "es kommen also alle zu Wort". In der Tuerckeschen "Übersetzung" klingen die Schüsse allerdings eher wie Glockenschläge.

Glockenschlag statt Gewehrschuss: Das "Crossfire" von Tuercke hört sich gar nicht so schlimm an. (Foto: Christian Endt)

Ein anderes Werk ist dem Thema "Fluchtursachen" gewidmet: An einem kleinen Boot hängt eine Cola-Flasche, jede Minute sendet die Installation ein SOS - dreimal kurz, dreimal lang, dreimal kurz. Die Erklärung liegt auf der Hand: Er wolle darauf hinweisen, dass viele Großkonzerne wie Nestlé und Co. einerseits die UN-Resolution für sauberes Trinkwasser frech unterminierten, sagt Tuercke, und andererseits mit ihren Wohlstandsversprechen die Hoffnung auf ein besseres Leben schürten.

Im nächsten Raum steht die Umwelt im Zentrum. Vier Stative sind um eine Schale gruppiert, in der ein Stück Ebersberger Wiese liegt. Alle 30 Sekunden fällt ein Tropfen Wasser auf eine Saite - Klong! - und von dort hinunter auf Löwenzahn und Klee. "Bei der Vorstellung von einer Zukunft mit indoor farming liegen für mich Utopie und Dystopie schon sehr nah beieinander", erklärt der Künstler. Voller Schrecken blickt er aber auch auf die globale Klimaerwärmung, der er sowohl eine stumme Wandarbeit als auch eine klingende Installation gewidmet hat.

Ob dieses Stück Ebersberger Wiese die Ausstellung wohl überleben wird? Für Wasser und Licht hat der Künstler jedenfalls gesorgt. (Foto: Christian Endt)

Ersteres ist ein abstraktes Bild: Man sieht lediglich eine wolkige, blau-braune Farbfläche à la William Turner. Kaum zu glauben, wenn man weiß, was dahintersteckt: Tuercke hat hundert Darstellungen zum Stichwort "global warming" - gefunden über Google - in transparenten Schichten übereinandergelegt, "vom brennenden Regenwald bis zum Eisbären auf der Scholle". Jedes Bild mache ein Prozent des Ergebnisses aus. Äußerst diffus. Die Installation wiederum heißt "0,5 Grad - requiem for a planet", und diesmal wird die Saite bespielt mit Klimadaten, mit der Temperaturkurve seit etwa 1850. Je größer die Hitze, desto höher der Klang.

Aber auch die tierischen Sänger hat Turcke nicht veregessen: Im nächsten Raum kann man Vögel und Wale hören. Wobei das Gezwitscher eine Imitation ist, der Künstler hat es mit seinen Instrumenten selbst erzeugt. "In den vergangenen 40 Jahren hat sich der Bestand an Singvögeln in Europa um 18 Prozent verringert", sagt er. "Das sind etwa 600 Millionen Exemplare weniger." Insofern müsse man sich schon fragen: "Sind unsere Wälder und Gärten irgendwann ganz still?"

In den Fässern singen Wale, aus der Lautsprecherkugel dringt gefaktes Vogelgezwitscher. (Foto: Christian Endt)

Auch zur Beziehung zwischen Mensch und Wal hat Tuercke vieles zu berichten, vor allem, dass sie sehr beeinflusst worden sei von der Entdeckung, dass die Meerestiere singen: Erst da sei das Image der "sanften Riesen" entstanden. Trotzdem seien sie nach wie vor immensen Belastungen durch den Menschen ausgesetzt. Eindrücklich umgesetzt hat der Künstler das Thema mit drei Fässern voller Altöl, die als Resonanzkörper dienen für die Klagen der Wale.

Wohin also könnte es in Zukunft gehen, wenn unser Planet endgültig am Ende ist? Ins Weltall? "Promised land - no water on mars" heißt eine Videoinstallation von Tuercke. Auf einer runden Leinwand, die zugleich als Lautsprecher dient, sieht man unwirtliches, totes Gelände. Nur braune Gesteinsbrocken und Sand, keine Farbe, kein Leben. Dazu erklingt ein schräger Soundtrack, gespielt auf der Longboardharp. Wenig einladend. Und so soll es auch sein. "Diese Aufnahmen stammen nicht vom Mars, sondern aus der Wüste in Israel", erklärt der Künstler. "Was wollen wir im Weltraum, wenn wir es nicht mal hier hinkriegen?" Dem ist nichts hinzuzufügen.

Ausstellung von Florian Tuercke beim Kunstverein Ebersberg, Alte Brennerei im Klosterbauhof. Eröffnung am Freitag, 12. April, um 19 Uhr. Am Samstag, 20. April, um 20 Uhr: "Feine Auflage" mit Musik und Bar in der Galerie. Finissage mit Künstlergespräch am Sonntag, 12. Mai, um 11 Uhr. Geöffnet donnerstags und freitags von 18 bis 20 Uhr, samstags 17 bis 20 Uhr und sonntags 11 bis 13 Uhr.

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