Bilanz von EBE-Jazz 2023:Schlussakkord in Dur

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Das Ebersberger Jazzfestival vereint stets Internationalität mit Lokalkolorit, unter anderem dank der hauseigenen Big-Band. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Das Ebersberger Jazzfestival war wieder ein voller Erfolg, es konnte mit Stars, tollen Newcomern und besonderen Formaten wie einem Talk oder Fotografien begeistern. Nur in einem Punkt sehen die Macher selbst noch deutlich Luft nach oben.

Von Anja Blum, Ebersberg

Glücklicherweise sind die Initiatoren des Ebersberger Jazzfestivals nicht nur allesamt sehr ambitionierte Amateurmusiker, sondern viele zugleich - in einem anderen Leben - Kaufmänner. Nur so nämlich ist es erklärlich, dass die finanzielle Kalkulation dieses Veranstaltungsreigens immer wieder gelingt. Trotzdem sie stets auf Kante genäht ist. Trotz vorwiegend ehrenamtlicher Organisation. Trotz eines nicht gerade kleinen Budgets. Und trotz zahlreicher Unwägbarkeiten.

Klar ist: Wer ein mehrtägiges, internationales Festival auf die Beine stellen will, muss tief in die Tasche greifen. Ausgaben in Höhe von rund 80 000 Euro wollten heuer erwirtschaftet werden, aus Ticketverkäufen, mit Zuschüssen und Sponsoring. "Da haben wir schon wieder ein bisschen gezittert, ob das aufgeht", sagt Frank Haschler, Sprecher des Vereins Jazz Grafing, der das Festival einst initiierte und bis heute die Kernmannschaft stellt. Aber das Fazit fällt gut aus: "Wir werden ziemlich genau bei der schwarzen Null landen" - und damit sei man durchaus zufrieden, denn: "Würden wir ein Plus einfahren, müssten wir Fördergelder zurückzahlen." Die Überschüsse als Polster für die nächste Ausgabe zu nutzen, sei leider nicht möglich.

Frank Haschler aus Grafing ist "Head of Jazz" und an den Percussions Teil der EBE-Jazz-Big-Band. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Doch nicht nur über die positive finanzielle Bilanz freuen sich die Festivalmacher, sondern freilich auch über das generelle Gelingen: "Es war großartig", schwärmt Drummer Haschler. Einen guten Teil zum Erfolg beigetragen hat auch der große Zuspruch: Die Auslastung lag insgesamt bei etwa 80 Prozent. Mehr als 2000 Besucherinnen und Besucher habe man bei 20 Veranstaltungen in zehn Tagen gezählt, sagt Haschler. Viele davon seien treue Fans, gerade die Stammgäste mit Festivalpass eine sichere Bank. 80 Prozent der Gäste stammten aus dem Landkreis Ebersberg, aber auch aus Berlin, Memmingen oder Augsburg seien Menschen angereist. "Verwunderlich ist nur, dass wir offenbar niemanden aus Rosenheim und Wasserburg begrüßen durften. Da müssen wir noch aktiver werden."

Markenzeichen des Festivals ist die Vielfalt, man möchte nicht nur eingefleischte Jazzfans ansprechen, sondern Musikbegeisterte aller Genres und Altersklassen. Die Stilrichtungen reichten heuer deshalb von Bebop über Swing und Brazil bis hin zu experimenteller Weltmusik und unerhörtem Techno-Jazz. "Vor allem auch die kleinen Formate sind in unseren Augen sehr lohnenswert", sagt Haschler. Man wolle nicht nur Konzerte mit großen Namen bieten, sondern eben auch Kinoabende, Konzertlesung, Performances und Workshops.

Besonders fruchtbar war heuer die Kooperation mit dem Kunstverein

Um das alles bewerkstelligen zu können, arbeiten die Jazzer in Ebersberg und Grafing mit diversen Partnern zusammen. Besonders fruchtbar sei heuer die Kooperation mit dem Kunstverein gewesen, sagt Haschler. Unter dem Motto "Vote for Jazz" hatte dieser ausgediente Wahlplakatständer mit stilvoller Musikfotografie bestückt. "Dazu gab es Reaktionen aus allen erdenklichen Richtungen", erzählt Haschler: von "dürfen die das überhaupt?" bis hin zu "großartig!". Und alle, die die dazugehörige Ausstellung in der Alten Brennerei gesehen hätten, seien begeistert gewesen. Außerdem habe das Projekt sämtliche Jazzfotografen aus München angelockt. "Die waren alle die ganze Woche da, wir haben im Nachgang etwa 800 Bilder bekommen."

Magische Musikmomente statt politischer Konterfeis: Der Kunstverein überklebt die Wahlplakate in Grafing und Ebersberg. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Als wertvoll erachten die Veranstalter auch ihre langjährige Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Rundfunk: "Dessen Aufzeichnungen sind eine große Anerkennung für uns", sagt Haschler. Außerdem haben die Radioleute das Festival heuer mit einer Premiere beglückt: Die Sendung "Hören wir Gutes und reden darüber", ein Musik-Talk, wurde das erste Mal nicht in den BR- Studios aufgezeichnet, sondern dort, wo der Jazz lebt - und zwar in Ebersberg, im Café Mala. Technisch habe es zwar noch ein wenig gehapert, doch dieses neue, sehr sympathische Format sei gut angenommen worden und eine echte Bereicherung gewesen, berichtet Haschler.

Als "Honigmilch" gar bezeichnet der Grafinger das Gastspiel von Gitarrenlegende John Scofield: "Das war ein Held meiner Jugend, meine erste Platte habe ich in den 70ern gekauft. Und jetzt hören wir ihn live und sitzen sogar mit ihm in der Pizzeria!" Überhaupt sei das eine wichtige Erkenntnis aus inzwischen fünf Festivals: Selbst die größten, verehrtesten Musiker seien immer noch Menschen zum Anfassen.

"Dumbledore" an der Gitarre titelte die SZ nach dem Konzert von John Scofield im Alten Speicher. (Foto: Thomas J. Krebs/oh)

Besonders gut angekommen sei auch das Konzert eines internationalen Bebop-Tentetts samt dem Baldhamer Pianisten Claus Raible und dem Saxofonisten Brad Leali aus New Orleans, erzählt Haschler. "Das Alte Kino war ausverkauft, die Leute sind gerast." Ganze fünf Zugaben habe die Band gespielt, und danach seien alle zehn Musiker noch zur Jam-Session ins Café Mala gegangen. "Da war was los!"

Immer ein gewisses Experiment ist der Nachwuchsabend, ein Doppelkonzert: "Da wissen wir meist nicht so genau, was uns erwartet, aber uns ist es wichtig, auch dem jungen Jazz eine Bühne zu geben", erklärt Haschler. Traditionell lädt EBE-Jazz jeweils den Gewinner des Förderpreises des Bayerischen Jazzverbands ein, in diesem Fall das Trio Renner. Hinzu kam heuer Narcis, ein Septett rund um den Leipziger Pianisten Jonas Timm. "Und das lief überraschend gut!" Der Saal des Alten Speichers sei gut gefüllt gewesen und das Publikum begeistert. "Die Leute haben stehend applaudiert und Zugaben eingefordert. Es freut uns sehr, dass Ebersberg bereit ist für sowas."

Auch der italienische Startrompeter Paolo Fresu war zu Gast, mit einer ungewöhnlichen Hommage an David Bowie. (Foto: Hermann Will/oh)

Doch die Festivalmacher wollen nicht nur schwärmen, sondern ihre Arbeit auch kritisch hinterfragen. Ein junges Publikum zu erreichen zum Beispiel sei auch diesmal kaum gelungen, sagt Haschler. Sogar zu dem Abend im Ebersberger Jugendzentrum, das das erste Mal als Location dabei war, seien quasi nur ältere Leute gekommen. Sehr schade, denn der Drummer Gerwin Eisenhauer und die gerade mal 18-jährige Rapperin Layla Carter lieferten dort eine tolle Hip-Hop-Show ab. "Aber vielleicht ist es besser, wenn die Jugendlichen das nächste Mals selbst entscheiden, welchen Act sie einladen wollen", sagt Haschler.

"Boom!" nennen Gerwin Eisenhauer und Layla Carter ihre improvisierte Groove-Performance. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Sehr dankbar zeigt er sich für den bestens bewährten Support des Alten Kinos: Dessen Team sei dank seiner Locations, seiner Infrastruktur und großen Erfahrung ein großartiger Mitstreiter. "Überhaupt ist da über die Jahre eine sehr schöne Gemeinschaft gewachsen." Ein gutes Dutzend Ehrenamtlicher kümmere sich um so viele nur scheinbar banale Aufgaben: "T-Shirts verkaufen, Roll-Ups aufstellen, Stühle schieben, Gema-Listen einsammeln: Das alles ist wichtig. Und wenn es nicht läuft, bricht Chaos aus." Mit anderen Worten: "Eigentlich spinnen wir." Bilanziert Haschler und grinst. Allein 3000 E-Mails seien während der Festivaltage eingegangen. Und jetzt flatterten bereits Bewerbungen rein für Oktober 2025. "Gut möglich also, dass dann wieder was geht."

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