Jahrbuch des Historischen Vereins:So fern und doch so nah

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Nur wenige Zentimeter unter der Erde verbarg sich in Adelpolt ein jahrtausendealter Schatz. (Foto: Privat)

Im neuen Jahrbuch des historischen Vereins Ebersberg geht es um Spangenbarren, kurfürstliche Jäger und nationalsozialistische Euthanasie.

Von Merlin Wassermann, Ebersberg

Historische Ereignisse und Personen verfügen über die interessante Eigenschaft, zeitlich weit entfernt zu sein, räumlich aber sehr nah liegen zu können. Das erläutert Bernhard Schäfer, Erster Vorsitzender des Historischen Vereins für den Landkreis Ebersberg, im Vorwort zur neuen Ausgabe des Jahrbuchs des Historischen Vereins Ebersberg, das dort erhältlich ist. Er verweist dabei auf kupferne Spangenbarren - mehr dazu unten - die tausende Jahre alt sind, aber nur ein paar Zentimeter unter einer Wiese bei Adelpolt gefunden wurden.

In insgesamt sieben Beiträgen springen die Autorinnen und Autoren zeitlich mal 10 000 Jahre zurück, mal nur einige Jahrzehnte, machen in jedem Fall jedoch die Geschichte des Landkreises Ebersberg ein bisschen greifbarer.

Erd- und Siedlungsgeschichte von Lorenzenberg

Lorenzenberg macht heute vor allem als Ort auf sich aufmerksam, der durch den geplanten Brenner-Nordzulauf beeinträchtigt werden wird. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Den Anfang macht Rosalia Beham mit einem Beitrag zur Geschichte des Ortes und der Region Lorenzenberg bei Aßling. Sie betrachtet dabei sowohl die Erd- als auch die Siedlungsgeschichte.

Lorenzenberg liegt im sogenannten "Voralpentrog", ein Molassebecken, das sich vor einigen Millionen Jahren bildete, periodisch mit dem heutigen Mittelmeer verbunden und schließlich bis vor etwa 10 000 Jahren von einem Gletscher bedeckt war. Die verendeten Tiere und Pflanzen in diesem Becken wurden über die Zeit zu Öl.

1961 wurde dieses in einer Tiefe von 3550 Metern in der Nähe der Ortschaft entdeckt und ab 1963 gefördert. Das Öl wurde in einer Aufbereitungsanlage vom Gas getrennt, dann zum Bahnhof Aßling transportiert und schließlich zur Raffinerie nach Ingolstadt gebracht. Innerhalb von 20 Jahren wurden so zwei Millionen Tonnen Erdöl gefördert.

Ein paar tausend Jahre zuvor hatten sich in Lorenzenberg bereits Menschen angesiedelt. Sie kamen jedoch nicht wegen des Öls, sondern für Fische und die Jagd, da es viele Flüsse und Seen in der Region gab und gibt.

Mit den ältesten Nachweis einer Besiedlung ergibt ein archäologischer Fund aus dem Ortsteil Bach. 1913 wurde dort ein Grab aus der frühen Bronzezeit - circa 2300 bis 1200 vor der Zeitenwende - entdeckt. Für die letzte Reise wurden ein Randleistenbeil und Tongefäße mit Wegzehrung mitgegeben. Zuvor war bereits bei der Trockenlegung des Brucker Mooses eine Axt aus der Schaufel eines Elchs entdeckt worden, die von circa 2500 vor unserer Zeitrechnung und damit aus der Steinzeit stammte.

Auch aus jüngerer Zeit gibt es alle möglichen Hinweise auf Besiedlung: Befestigungswälle südlich der Burg Elkofen, eine Keltenschanze oder eine Villae Rusticae. Die Kelten waren in den fünf Jahrhunderten vor unserer Zeitrechnung hier präsent, die Römer die fünf Jahrhunderte danach.

Der Name entwickelte sich schließlich in Dokumenten von Perge (848) über "mons sancti Laurencii" (1315) zu "Larentzenperg" (1499) und schließlich "Lorentzenperg" (1671). Irgendwann ging dann das "t" verloren, bei Einheimischen heißt das Dorf aber weiterhin einfach "Berg".

Der Spangenbarrenhort von Adelpolt

In Adelpolt, in der Nähe von Aßling, wurden 38 kupferne Spangenbarren aus der Bronzezeit entdeckt. Jetzt haben sie im Museum Grafing eine neue Heimat gefunden. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Sabrina Kutscher, Jörg Stolz und Claudia Sarkady widmen den nächsten Beitrag dem bereits erwähnten frühbronzezeitliche Spangenbarrenhort von Adelpolt. Dort beschreiben sie den Fundhergang durch den Sondengänger Franz Huber, dessen vorbildliches Verhalten bei der Meldung des Fundes sowie die anschließende Bergung.

Spangenbarren stellten eine Art Proto-Währung dar, da sie in hohem Maße standardisiert waren und so einen mehr oder weniger stabilen Wert hatten. Durch die Form der Barren konnte beispielsweise auf das Gewicht geschlossen werden.

Bereits beim Fund der Spangenbarren war vermutet worden, dass sie nicht wieder geborgen werden sollten. Das lässt darauf schließen, dass sie für einen Ritus im Moor versenkt wurden. Darauf deuten auch paläobotanische Untersuchungen hin: "Die vegetationskundlichen Untersuchungen der Pflanzenreste aus der direkten Umgebung des Hortfundes belegen, dass die Fundstelle in einer von Menschen unbewirtschafteten Waldlandschaft lag", schreiben die Autoren.

Gräber für Priester und Kinder

Ferdinand Steffan sieht in diesen Flecken am Oberschenkel des Knaben auf dem Grabstein für die "jungen Pienzenauer" einen Hinweis auf die Todesursache der Kinder: Die Pest. (Foto: Privat)

Gleich zwei Beiträge zur Einordnung von Gräbern hat Ferdinand Steffan geliefert. Beim ersten handelt es sich um "Anmerkungen zu zwei spätgotischen Priestergrabmälern in der Pfarrkirche Steinhöring". Deren Epitaphe waren aufgrund schwerer Lesbarkeit in der Vergangenheit nur wenig behandelt worden. Steffan versucht sich an einer eigenen Rekonstruktion und verweist dabei beispielsweise auf das mütterliche Wappen der Höhenrainer bei einem der Priester.

Der zweite Beitrag widmet sich dem Grabstein für die "jungen Pienzenauer" in der ehemaligen Klosterkirche Ebersberg, der vermutlich für mehrere Kinder von Hanns von Pienzenau und Magdalena von Seiboltstorf errichtet wurde. In ihm sieht Steffan "ein Zeugnis für eine frühe Pestepidemie".

Auf dem Grabstein befindet sich ein nackter Knabe, der ein Wappen hält. Die Inschrift verweist auf die Pienzenauer von Hartmannsberg. Dessen Abbildung enthält jedoch "noch einen versteckten Hinweis auf die mögliche Todesursache. Am rechten Oberschenkel befindet sich ein 0,5 bis 1 Zentimeter erhöhter, unregelmäßiger Fleck, der an die Pestbeule erinnert".

Der Grabstein wäre damit sowohl "ein seltenes Beispiel für einen spätgotischen Kindergrabstein" als auch "der Hinweis auf eine bis dato unbekannte Epidemie, der die Kinder zum Opfer gefallen sind". Der Grabstein ist von 1496, eine große Pestwelle kam jedoch erst zwischen 1518 und 1525 nach Ebersberg. Allerdings wurde München zwischen 1349 und 1690 wohl um die 25 Mal von der Pest heimgesucht. Gut möglich also, dass sich die Kinder in einer dieser Epidemien ansteckten.

Hieronymus Mayr und die Geschichte der Jagd

Ein Aquarell des Pöringer Unterförsters Hieronymus Mayr, gemalt von Johann Georg von Dillis. Es zeigt den Jäger in der typischen "hechtgrauen" Tracht. (Foto: Privat)

Den längsten Beitrag liefert Georg Weilnböck, zum "kurfürstlichen Jäger Hieronymus Mayr von Pöring". Mayr wurde 1731 geboren und wurde mit 36 Jahren Unterförster in Pöring. Mit viel Liebe zum Detail erzählt Weilnböck nicht nur Mayrs Lebensgeschichte, sondern auch die seines Vaters, seiner Frau und deren Verwandtschaft. Dabei zeigt er die komplizierten Verflechtungen verschiedener Familien dieser Zeit auf und erklärt, wie es zu bestimmten Eheverhältnissen kam. So war es beispielsweise üblich, dass die Venatores Electorales, die kurfürstlichen Jäger, oft Töchter aus Gastwirtsdynastien heirateten. In der Region um München gehörten sie zur High Society.

Immer wieder erläutert Weilnböck außerdem die soziale und wirtschaftliche Rolle, welche die Jäger innehatten und wie sie sich wandelten. Im späten 18. Jahrhundert wurde durch Philosophen der Aufklärung beispielsweise kritisiert, dass die Jäger, die auch Förster waren, das Waldmanagement zugunsten der Jagd sträflich vernachlässigten, da diese mit mehr Ruhm und Reichtum verbunden war. So dankte die Landbevölkerung den Jägern etwa, wenn sie wilde Raubtiere wie Wölfe und Bären erlegten. So groß war die Angst vor den Tieren, dass sie schließlich ausgerottet wurden. "Bayerns letzter Bär" wurde 1835 erlegt, wenn auch nicht von Hieronymus Mayr.

Die Kommende Taufkirchen und ihr Komtur

Johann Baptist von Flachslanden, der Kommtur der Malteserkommende Taufkirchen. (Foto: Privat)

Thomas Freller widmet sich ein letztes Mal in einem Jahrbuch der Geschichte von Malteserkommenden, die aus ehemaligen Besitztümern des Klosters Ebersberg geformt wurden. Dieses Mal geht es um Taufkirchen und den Kommtur Johann Baptist von Flachslanden.

Freller zeichnet die Geschichte der Kommende nach - ein kirchliches Amt, das zwar ein Gehalt, aber keine Amtsverpflichtungen beinhaltet - und zwar im Lichte großer politischer Umbrüche gegen Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts, wie etwa die Französische Revolution, die Besatzung Bayerns durch französische Truppen, und die Säkularisation. Er sieht die Kommenden ebenso wie die Errichtung des Bayerischen Großpriorats des Malteserordens im 18. Jahrhunderts als "'barocke' Momente beziehungsweise Echos absolutistischer Kirchen- und Innenpolitik in einer Zeit, als sich diese Regierungsform im nationalstaatlichen Kontext der politischen Umbrüche vor und um 1800 schon überlebt hatte".

Zwangssterilisation und Euthanasie im Landkreis Ebersberg

Zum Tode verurteilt: Die Euthanasie-Akte Josef Schechners. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Den Abschluss des Jahrbuchs stellt das wenig erfreuliche Thema der nationalsozialistischen Zwangssterilisation und Euthanasie im Landkreis dar. Bernhard Schäfer hat hierzu 2023 eine Ausstellung kuratiert und gibt in seinem Beitrag neben einer kurzen historischen Einleitung, wie es zu dem Vernichtungsgedanken und -willen kam, vor allem mehrere Biogramme von sterilisierten und ermordeten Ebersbergern.

So etwa Konrad Simmel, der 1898 als Sohn von Tagelöhnern in Neuorthofen, Gemeinde Egmating, geboren wurde. 1923 kam er in die Psychiatrische Klinik München, anschließend nach Gabersee bei Wasserburg in eine der sogenannten "Heil- und Pflegeanstalten". Er erhielt die vorläufige Diagnose "Dementia praecox", wurde in die Reichsanstalt Hartheim deportiert und dort mit Gas getötet.

Wie Simmel erging es 19 weiteren Ebersbergerinnen und Ebersbergern, 160 von ihnen wurden zwangssterilisiert. Die meisten von ihnen litten an einer psychischen Störung.

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