Bei Marina Ruoff wirken die Eindrücke vom Wochenende noch nach. "Es war echt krass, direkt vor der Grube zu stehen. Man fühlt sich erstmal komplett machtlos." Die Grube, das ist der ist der Braunkohleabbau beim nordrhein-westfälischen Dorf Lützerath. Am Wochenende versammelten sich Schätzungen zufolge zwischen 15 000 und 35 000 Aktivisten und Aktivistinnen, um für den Erhalt des Dorfes und gegen den umweltschädlichen Kohleabbau zu protestieren. Auch eine Delegation der Grünen Jugend Ebersberg war dort, um ihrer Empörung Ausdruck zu verleihen.
Marina Ruoff, 20, aus Vaterstetten und Arian Kunze, 20, aus Poing von der Jugendorganisation der Grünen im Landkreis sind unzufrieden mit den Entscheidungen ihrer Partei. Für sie ist es unverständlich, dass der Kohleabbau in Lützerath genehmigt wurde. Dass Kompromisse geschlossen werden müssen, sei klar, nur hätten sich die Grünen klarer gegen CDU und RWE stellen müssen. "Solche Deals gefährden nicht nur die Glaubwürdigkeit unserer Partei selbst, sondern auch die Deutschlands. Wir können nicht von anderen Ländern erwarten, mehr gegen den Klimawandel zu machen und gleichzeitig einen so großen Kohleabbau zulassen", sagt Arian Kunze. Der Kohleabbau sei schlichtweg nicht nötig gewesen, das belege auch eine Studie der TU Berlin, der Universität Flensburg und des Deutschen Instituts für Wissenschaftsforschung. Die ganze Partei sei innerlich gespalten, erzählen die beiden jungen Leute. Auch wenn Wirtschaftsminister Robert Habeck von einem "Deal für das Klima" spreche, sähen das vor allem die jungen Mitglieder anders. Die Folgen, die durch den CO2-Ausstoß entstünden, seien einfach zu groß.
Vor allem innerhalb der Grünen Jugend rumort es deshalb. Bereits im Herbst stellte die Organisation einen Antrag gegen den Tagebau. Nun haben viele von ihnen auch in Lützerath Flagge gezeigt, wie eben auch Marina Ruoff und fünf weitere Vertreter der Grünen Jugend im Landkreis. "Die Stimmung war durch die vielen Menschen sehr beeindruckend. Es hat mich motiviert zu sehen, wie vielen das Thema wichtig ist", erzählt die 20-Jährige. Auch deshalb sei es so wichtig gewesen, den Weg auf sich zu nehmen. Zwar halten Ruoff wie auch Kunze, der selbst nicht dabei war, auch die lokalen Proteste für notwendig. Direkt in Lützerath zu demonstrieren, habe dann aber nochmal eine viel stärkere Außenwirkung. "Genau wie der Hambacher Forst ist Lützerath zum Symbol für die Klimabewegung geworden", erklärt Kunze. "Es ist das letzte Dorf, das noch abgebaggert werden soll, seit zweieinhalb Jahren sind Aktivisten vor Ort und kämpfen für den Erhalt. Durch alles, was dort gerade passiert, konzentriert sich vieles jetzt auf Lützerath", berichtet Ruoff.
Den Frust der Demonstrierenden hält Marina Ruoff für nachvollziehbar - gewaltsames Vorgehen aber nicht
Sie selbst sei, wie sie erzählt, in Lützerath nicht zwischen die Fronten zwischen Polizei und Aktivisten gekommen, sie habe sich weitestgehend im friedlichen Teil der Demo aufgehalten. Zwar war sie zwischendrin an der Polizeilinie, zu dem Zeitpunkt sei es aber nicht zu Ausschreitungen gekommen. Erst im Nachhinein habe sie die Eskalationen gesehen, sagt Ruoff.
Was genau passiert ist, das lässt sich auch einige Tage nach dem Zusammenstoß nicht ganz rekonstruieren. Polizeikräfte berichten von Angriffen durch Demonstranten, andere Augenzeugen sprechen von unverhältnismäßiger Polizeigewalt. Für die beiden jungen Ebersberger ist klar, dass man die Schuld nicht einer Gruppe zuschreiben kann. "Ich halte nichts von Angriffen auf Polizisten, auch wenn ich die Frustration der Aktivisten gut nachvollziehen kann", stellt Ruoff klar. Radikalität halte sie für das falsche Mittel, es würde nur die Akzeptanz in der Gesellschaft für das Thema mindern. Das sei auch die generelle Richtlinie der Grünen Jugend Ebersberg.
Ziviler Ungehorsam und die Besetzung des Dorfes seien aber notwendig. "Ich habe Respekt vor allen, die sich so stark für den Erhalt einsetzen und sich dabei sogar selbst in Gefahr begeben", sagt Ruoff. Problematisch sei aber nicht nur die körperliche Gewalt von Seiten der Aktivisten, auch die Polizei habe so einiges falsch gemacht, da sind sich die Jung-Mitglieder einig. "Als Grüne Jugend setzen wir uns generell polizeikritisch auseinander und fordern deshalb eine Aufarbeitung. Dass der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul so wenig Einsicht zeigt, ist enttäuschend", kritisiert Kunze. Die Aufgabe der Polizei sei es, eine deeskalierende Rolle einzunehmen, es gebe keine Rechtfertigung für das "brutale Verhalten" der Beamten am Wochenende. Auch wenn es schwierig sei, rein über Videos die Situation zu beurteilen, sei manches absolut inakzeptabel. "Dass Sanitäter nicht durchgelassen werden oder auf die Köpfe von Demonstranten eingeschlagen wird, geht auf keinen Fall", sagt Kunze.
Nicht zu protestieren, das ist für Marina Ruoff jedenfalls keine Option. "Man sieht praktisch bis zum Horizont nur dieses riesige Loch und obwohl so viele Menschen auf die Straße gehen, ändert sich nichts", sagt sie. Umso wichtiger sei es, nicht aufzuhören und weiter gegen umweltschädliche Entscheidungen zu protestieren, auch wenn diese von der eigenen Partei getroffen würden. Für die beiden ist klar, Aufgeben ist keine Option: "Wenn wir nicht handeln, macht es keiner!"