Neu in der Kreisstadt:Wahr? Oder wahnsinnig gut gelogen?

Lesezeit: 4 min

Wolfgang Oppler, Stadtführer aus Ebersberg, hat auch viel über Sankt Sebastian zu erzählen. Aber aufgepasst: Nicht alles davon stimmt. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Wolfgang Oppler aus Ebersberg hat eine sehr unterhaltsame Stadtführung ersonnen: Das Publikum darf raten, welche historischen Geschichten stimmen - und welche nicht.

Von Anja Blum, Ebersberg

"Lügenführung". So klar benennt Wolfgang Oppler selbst, worum es bei seinem neuen Konzept geht. Normalerweise sollen die Teilnehmer der verschiedenen Reisen durch die Geschichte Ebersbergs ja etwas lernen. Doch Oppler möchte sein Publikum nun ganz offiziell hinters Licht führen. Er werde es "schamlos anlügen", sagt er mit einem feinen Lächeln im Gesicht und verspricht: "Das wird mir überhaupt nicht schwerfallen." Seinen Zuhörern fällt dann die ehrenvolle Aufgabe zu, die wahren von den erfundenen Geschichten zu unterscheiden.

Stets ist das Team der Ebersberger Stadtführer um Thomas Warg bemüht, neue Themen und Formate anzubieten. Es gibt zum Beispiel eine Zeitreise "Von Kirchturm zu Kirchturm", Führungen zu Hexenglaube, Archäologie, Heldenallee oder auch Wildkräutern, im Ebersberger Forst kann man etwas erfahren über Hügelgräber, die Kelten und Römer oder über den geheimnisvollen alten Brunnen. Für all diese Veranstaltungen gibt es regelmäßig offizielle Termine, doch wer mag, kann auch individuell eine Zeitreise für eine beliebige Gruppe buchen. Zum Beispiel, um sich von Oppler mal so richtig schön veräppeln zu lassen.

Durch München führt Turmschreiber Oppler unter anderem als Nachtwächter

Der 67-Jährige war Jurist bei einer großen Bank und pflegt vor allem zwei große Leidenschaften: Literatur und Historie. Er schreibt Gedichte, Kurzgeschichten sowie Theaterstücke und fungiert derzeit als Präsident der illustren Münchner Turmschreiber. 2012 absolvierte er beim "Weis(s)en Stadtvogel" eine Ausbildung zum Stadtführer in der Landeshauptstadt, "und seitdem lerne ich ständig etwas dazu, vor allem auch, weil mein Vater mir mindestens 200 Bücher zur bayerischen Geschichte hinterlassen hat". Rund zehn Touren durch München habe er im Repertoire, sagt Oppler, unter anderem führe er als Nachtwächter durch die Altstadt. Teil des Ebersberger Teams ist er seit 2016, also quasi von Beginn an.

Das Konzept der Lügenführung ersann Oppler bereits vor ein paar Jahren, allerdings als rein privaten Spaß: "Zu meinem 60. Geburtstag habe ich meine Freunde eingeladen, mit mir eine solche Rätseltour durch München zu machen." Und siehe da: Die Idee kam so gut an, dass Oppler immer wieder um Wiederholung gebeten wurde. Dann aber bremste Corona auch die Stadtführer-Branche aus - und Oppler begann, sich auch für Ebersberg spannende Mythen und Legenden auszudenken. "Mir macht das nämlich unbandigen Spaß", gesteht er. Und die Kreisstadt mit ihrer langen, bewegten Geschichte biete schier zahllose Anknüpfungspunkte.

An jeder Ebersberger Station gibt es drei Geschichten - zwei wahre und eine falsche

Zehn Stationen mit jeweils drei Geschichten hat Oppler insgesamt erarbeitet: Immer zwei sind wahr, eine dritte nicht. Startpunkt der Lügenführungen ist am Rathaus, von dort geht es über den Maibaum und die Pfarrkirche bis zur Jesuitengasse. "Allerdings werde ich das Programm wahrscheinlich je nach Bedarf straffen", sagt er, denn länger als zwei Stunden dürfe eine Tour nicht dauern. "Sonst lässt erfahrungsgemäß die Aufmerksamkeit deutlich nach." Bei dem Rätselformat allerdings hörten die Menschen generell ganz besonders gut zu, gerade weil sie am Ende ja eine Entscheidung treffen müssten.

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Abgestimmt wird dabei übrigens ganz unbürokratisch: Jeder dürfe sich zu Wort melden oder anderweitig seine Meinung kundtun, oft entwickele sich spontan eine kleine, rege Diskussion unter den Teilnehmenden, erzählt Oppler. "So ein Quiz macht einfach Spaß, gerade auch Menschen, die sich mit der lokalen Historie schon ein wenig auskennen." Die nämlich hätten dann ein sehr schönes Erfolgserlebnis. Gerate er allerdings mal an einen besonders vorlauten Schlaumeier, sagt Oppler, so wisse er den schon einzubremsen.

Kam der berühmte Götz von Berlichingen tatsächlich mal ins hiesige Kloster?

Die Kunst beim Entwerfen einer solchen Führung sei, die Legenden alle möglichst gleichwertig klingen zu lassen, erklärt Oppler. "Die wahren sollten eher unglaubwürdig sein - die falschen stark unterfüttert mit echten historischen Begebenheiten." Nur mit Phantasie darf der Stadtführer also hier nicht arbeiten, gerade die Lüge muss spitzfindig und bestens recherchiert sein, um die Zuhörer auf eine falsche Fährte zu locken. Insofern stecke durchaus einiges an Arbeit in dem neuen Angebot, sagt Oppler.

Bei einer seiner historischen Geschichten zum Ebersberger Kloster zum Beispiel geht es um einen Landshuter Erbfolgekrieg zwischen Ruprecht von der Pfalz und Albrecht IV., Herzog von Bayern-München, in den auch der berühmte Götz von Berlichingen verwickelt war. Als Ritter wurde eben dieser nach Ebersberg gesandt, um dort im Kloster ein Waffenlager auszuheben, das eigentlich dem Sturm auf München hätte dienen sollen. Oder etwa nicht?

Auch wenn so manches Detail nicht stimmt, lässt sich anhand der Lügengeschichten viel lernen

Schön auch, was sich Oppler über das alte Rathaus in München ausgedacht hat: Im Mittelalter hätten auf dem Marienplatz Ritterturniere stattgefunden, unter anderem mit Lanzenstechen, erzählt er. Und oben, auf jenem Balkon, von dem inzwischen siegreiche Sportler ihren Fans zuwinken dürfen, seien die Burgfräulein gestanden und hätten am Ende jeweils dem Ritter ihrer Wahl ein Tuch an die lange Waffe gebunden. Doch diese Legende ist natürlich herrlicher Quatsch: "Das Rathaus wurde erst 1908 fertig gestellt - im Mittelalter standen dort nur niedrige Bürgerhäuser", erklärt Oppler. "Doch viele Menschen halten dieses neugotische Gebäude eben für viel älter."

Auflösungen wie diese gibt der Stadtführer an jedem der Ebersberger Standorte. "Die Menschen wollen nämlich immer sofort wissen, welche Geschichte erlogen ist - und auch, welche Details genau daran nicht stimmen." Also: Bei diesem Quiz gibt es zwar nicht wirklich etwas zu gewinnen - aber es verspricht seinen Teilnehmern viel Freude und durchaus neues Wissen. "Denn selbst anhand der erlogenen Geschichten kann man jede Menge lernen, weil ja doch das Meiste an ihnen wahr ist."

"Lügenführung" durch Ebersberg mit Wolfgang Oppler am Sonntag, 21. Mai, und Sonntag, 28. Mai, jeweils um 14 Uhr. Anmeldung bei Thomas Warg unter (08092) 33 66 01 oder per Mail an thomas.warg@t-online.de . Weitere Termine individuell buchbar.

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