Kreis Ebersberg:Bürgermeister halten Stichwahlen wegen Corona für unverantwortlich

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Die Briefwahlauszählung in Ebersberg vor gut einer Woche. Am kommenden Sonntag werden die Stapel noch viel höher sein. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Mehrere Amtsträger im Landkreis Ebersberg äußern Bedenken zur Durchführung.

Von Johanna Feckl, Ebersberg

Es war Freitagmittag, als Ministerpräsident Markus Söder (CSU) vor die Kameras der Journalisten trat und bayernweite Ausgangsbeschränkungen erklärte. Das erklärte Ziel: Die "Verlangsamung des Infektionsgeschehens" rund um die Corona-Pandemie, wie es in der Bekanntmachung des Gesundheitsministeriums heißt. Von den neuen Anordnungen unberührt bleiben die bevorstehenden Stichwahlen am Sonntag für das Bürgermeisteramt - im Kreis Ebersberg ist das in gleich sieben Gemeinden der Fall. "Unverantwortlich", nennt das Albert Hingerl (SPD), Noch-Bürgermeister in Poing. Er fordert, die angesetzten Wahlen zu verschieben. Stimmen aus anderen betroffenen Gemeinden teilen Hingerls Einschätzung: Die Stichwahlen wie geplant durchzuführen widerspreche im Kern dem, was Politik und Wissenschaft vehement in der Öffentlichkeit predigen: alles auf ein absolutes Minimum herunterfahren, keine Gruppenbildungen, räumliche Distanzierung.

"Man redet davon, dass künftig nicht mehr als zwei Leute zusammen sein dürfen, und dann macht man aber so etwas", sagt Albert Hingerl am Telefon, kurz bevor Söder die Ausgangsbeschränkungen erlassen hat. Hingerl äußerte sein Unverständnis über das Stattfinden der bayernweiten Kommunalwahlen bereits vor dem Wahltag am 15. März öffentlich. Auf seiner Facebook-Seite schrieb er einen Tag vor der Wahl: "Gesundheit ist wichtiger als Wahlen." Es folgten weitere Posts, in denen er Kritik daran übte, dass an den Wahlen festgehalten wird.

Und jetzt also die Stichwahlen. Zwar ordnete das bayerische Innenministerium an, die Stichwahlen am 29. März ausschließlich als Briefwahl zu organisieren. Für Hingerl ist das jedoch keine ausreichende Schutzmaßnahme. "Man will die Leute beruhigen, aber überall arbeiten Menschen seit Tagen zusammen, um die Briefwahlunterlagen herzurichten." Für die Gesundheit seiner Mitarbeiter könne er bei diesen Arbeiten einfach nicht garantieren. "Ich habe aber eine Verantwortung für sie!" Und es komme ja noch das Auszählen, wo viele der Helfer aufeinandertreffen werden.

In Vaterstetten etwa werden das etwa 80 Wahlhelferinnen und -helfer sein. "Es ist einfach schwierig", sagt Bürgermeister Georg Reitsberger (FW) am Freitag. All die Unterlagen in solch kurzer Zeit vorzubereiten und den Wahlberechtigten rechtzeitig zuzustellen - allein das sei nur mit großem Aufwand zu bewerkstelligen gewesen. Hinzu komme nun noch das gesundheitliche Risiko für die Beteiligten. Klar, es würden Vorkehrungen getroffen, so Reitsberger: Abstand halten, Desinfektionsmittel. Auch habe die Gemeinde Personen, die explizit zu einer der Risikogruppen zählen und eigentlich geholfen hätten, angesprochen und sie nicht zur Mithilfe herangezogen. Trotzdem werden am Sonntag nun 80 Menschen verteilt auf zehn Klassenzimmer in der Grundschule an der Wendelsteinstraße über mehrere Stunden beisammenstehen, um die Wahlzettel auszuzählen.

Scheint das vereinbar mit dem Leitsatz "Zuhause bleiben"? Eigentlich nicht, so Reitsberger. Eine "Diskrepanz" sei das, nämlich zwischen dem, was die Politik auf Pressekonferenzen von allen Bürgerinnen und Bürgern erwartet, und dem, was sie von den Gemeinden in Bezug auf die Stichwahl verlangt. Er habe sich Gedanken darüber gemacht, ob es nicht besser wäre, den Termin für die Stichwahl zu verschieben. Sicher sei er sich da aber auch nicht. "Mit so etwas haben wir es einfach noch nie zu tun gehabt", sagt Reitsberger. In jedem Fall glaube er, so der Bürgermeister weiter, dass sich die Lage noch zusehend dramatischer gestalten wird.

Ein Anruf bei Grafings Bürgermeisterin Angelika Obermayr (Grüne) zeigt, dass sie die Skepsis und Kritik ihrer Amtskollegen aus Poing und Vaterstetten teilt - auch in Grafing findet eine Stichwahl statt. Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten im Sitzungssaal so weit es eben möglich war voneinander entfernt die Wahlbriefunterlagen eingetütet und sich mit Desinfektionsmittel versorgt. "Aber sie sind halt trotzdem alle in einem Raum", sagt Obermayr, "und man kann bei der Arbeit auch nicht immer zwei Meter Abstand voneinander halten, das geht einfach nicht."

Ihrer Ansicht nach ist diese Wahl "absolut kontraproduktiv". Rathäuser seien geschlossen, überall achte man auf so wenig Kontakte wie möglich - aber die Wahlhelfer lässt man alle zusammen in einem Raum sitzen. Das sei doch genau eine solche Art von "Zusammenballung von Menschen, die man eigentlich verhindern will", so die Bürgermeisterin weiter.

"Mir geht es um die Gesundheit der Leute, und nicht um die Wahl", erklärt Albert Hingerl aus Poing. Er findet unter den von der SZ befragten Bürgermeistern der größeren Kreisgemeinden, in denen es zur Stichwahl kommt, wohl die klarsten Worte. "Eine Wahl kann nicht so wichtig sein wie die aktuelle Situation." Zumal die herrschende Situation die Wahlergebnisse "verfälscht", weil die Menschen aus Angst vor dem Covid-19-Virus nicht zur Wahl gegangen sind oder keine Briefwahl machen.

Hingerls Urteil nach dürfte die Stichwahl unter diesen Umständen nicht stattfinden. Aber keiner der verantwortlichen Politiker habe sich zu diesem Thema öffentlich geäußert, das "enttäuscht" den Bürgermeister. Es ergebe keinen Sinn, diese Wahl "durchzupeitschen", sie könne zu einem späteren Zeitpunkt, wenn die Situation sich entschärft habe, nachgeholt werden. "Wenn es kein Problem ist, Ausgangsbeschränkungen zu verhängen, wo ist dann das große Problem, die Wahl abzusagen?"

© SZ vom 23.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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