Ausbildung im Landkreis:Da geht noch mehr

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Ist alles an seinem richtigen Platz? Auch darum geht es in der Gastronomie. (Foto: Christian Endt)

Das Berufsförderungswerk in Kirchseeon erweitert sein Spektrum: Im Hotel Bildungsblick kann man bald "Fachkraft für Gastronomie" werden. Besonderes Augenmerk gilt jenen jungen Menschen, die es "bisher im Leben nicht leicht gehabt haben".

Von Michaela Pelz, Kirchseeon

"Hier fehlen noch zwei Gläser und eine Serviette", merkt Jochen Kunert an, nachdem er einen Blick in den Besprechungsraum im neunten Stock des Berufsförderungswerks (BFW) in Kirchseeon geworfen hat. Seitdem auch das "Hotel Bildungsblick" in seine Zuständigkeit falle, habe sich sein Gespür für solche Details merklich geschärft, sagt er: Es seien oft Kleinigkeiten, die den Unterschied machten.

Genau solche Aspekte werden auch beim jüngsten Vorhaben von Kunert, Bereichsleiter Berufliche Bildung, und Hotelleiter Sascha Kurzawa eine Rolle spielen, wollen sie doch dem Ausbildungsportfolio des BFW eine ganz neue Sparte hinzufügen: Von September an wird man hier den Beruf einer "Fachkraft für Gastronomie" erlernen können - inklusive des Blicks für Details.

Jochen Kunert (links) ist Bereichsleiter Berufliche Bildung im BFW, Sascha Kurzawa leitet das dazugehörige "Hotel Bildungsblick". (Foto: Christian Endt)

Der große Unterschied zum bisherigen Angebot des BFW liegt darin, dass es sich hierbei nicht um eine berufliche Rehabilitation, sondern um eine klassische duale Ausbildung handelt, für die man mit einer Berufsschule kooperiert. Zielgruppe sind nicht wie bisher Umschüler, sondern Schulabgänger - gerne auch mit einem reinen Hauptschulabschluss, also ohne Quali.

Außerdem möchte man Geflüchteten eine Chance geben. Was diese mitbringen müssen: ausreichend Sprachkenntnisse, um dem Berufsschulunterricht folgen zu können, und die nötigen Voraussetzungen, um später für die IHK-Prüfung zugelassen zu werden. "Aber grundsätzlich kriegen wir alles hin", sagt Kurzawa.

In dem Hotel herrscht nicht derselbe Duck wie in "normalen" Betrieben

Das besondere Augenmerk der beiden Führungskräfte gilt jungen Menschen, die für ihren Start ins Leben mehr Unterstützung brauchen. Zwar betreibe man das Hotel natürlich mit "Gewinnerzielungsabsicht", müsse also schon erfolgsorientiert arbeiten. Aber nicht mit dem Druck, wie er in einem "normalen" Betrieb herrsche. "Wir können auf die Leute ganz individuell eingehen, sie da abholen, wo sie sind", sagt der Hotelchef.

Und Kunert ergänzt: "Bei schulischen Schwierigkeiten können wir hausintern fördern. Nichts spricht dagegen, so jemanden in den Unterricht einer der Reha-Klassen reinzusetzen." Beispielsweise gebe es bereits Deutschkurse, an denen auch die künftigen Azubis teilnehmen könnten.

Denn das BFW in Kirchseeon ist eines von deutschlandweit 28 Zentren für berufliche Rehabilitation und sehr breit aufgestellt. Aktuell befinden sich dort rund 750 Menschen zwischen 18 und 54 Jahren, die aus unterschiedlichen gesundheitlichen Gründen ihrer bisherigen Tätigkeit nicht mehr nachgehen können. Manche von ihnen haben psychische Probleme, bei vielen ist es aber der Körper, der nicht mehr mitspielt, wie Kunert ausführt.

Oft bleiben die Umschülerinnen und Umschüler jedoch in derselben Branche: Da wird dann der Maurer mit dem Bandscheibenvorfall Bauzeichner oder Bautechniker, während die Krankenschwester mit Allergie als Podologin, also in der medizinischen Fußpflege, einen Neustart wagt. Nach einem "Rehabilitationsvorbereitungslehrgang" (RVL), in dem die im Durchschnitt 37 Jahre alten Teilnehmenden ihr verschüttetes Schulwissen wieder reaktivieren und "das Lernen wieder lernen", starten sie eine neue Berufsausbildung.

Diese dauert nur zwei statt drei Jahre, es gibt Theorie und Praxis unter einem Dach sowie ein drei- bis sechsmonatiges externes Praktikum. Die Maßnahme endet mit einer regulären Prüfung (IHK, HWK oder Examen), finanziert wird sie entweder über die Rentenversicherung, die Agentur für Arbeit oder die Berufsgenossenschaften, falls ein Unfall die Neuorientierung nötig macht.

Das BFW bietet zwei Schulen, diverse Lehrfirmen und Werkstätten

Aktuell befinden sich auf dem Gelände zwei Schulen - die staatliche Fachschule für Bautechnik und die Berufsfachschule Podologie - sowie Lehrfirmen und Werkstätten. Die rund 80 Ausbildungsräume unterschiedlicher Größe verteilen sich auf einer Fläche von etwa 8000 Quadratmetern. Dazu gehören auch Fachräume wie Metallwerkstätten, Netzwerkräume, Elektroniklabore, ein medizinisches Labor und Behandlungszimmer für die Podologen. Zwar gibt es einige Schülerinnen und Schüler, die pendeln, der Großteil wohnt aber im BFW-Internat, das 450 Plätze bietet.

Als Beispiel für die 26 kaufmännischen, technischen und medizinischen Berufe mit staatlichem Abschluss, unter denen sich die Männer und zunehmend mehr Frauen (aktuell liegt der Anteil bei 40 Prozent) entscheiden können, nennt Kunert die Möglichkeit, Medizinische Fachangestellte zu werden, Elektroniker oder Feinmechaniker. Bei Letzterem "denken viele immer noch an einen ,dreckigen' Beruf, dabei programmieren die dort fast nur noch", sagt Kunert. Diese Absolventen würden zudem "weggehen wie warme Semmeln".

62 Zimmer hat das "Hotel Bildungsblick" und insgesamt 94 Betten. (Foto: Christian Endt)

Außerdem kann man im "Hotel Bildungsblick" mit seinen 94 Betten in 62 Einzel- und Doppelzimmern, plus vier Seminar- und Schulungsräumen eine Umschulung als "Kaufmann oder Kauffrau für Hotelmanagement" machen, um später im mittleren Management Hotelabteilungen wie Marketing, Sales, Reservierung oder Buchhaltung zu leiten. Oder man findet in einem artverwandten Zulieferbetrieb etwas, etwa in der Lebensmittel- oder Getränkeindustrie.

Leider gibt es 2023 keinen einzigen neuen Azubi im Team der Hotelangestellten. Die Nachfrage sei aufgrund der Pandemie völlig weggebrochen, bedauert Kurzawa. Verstehen kann der 48-Jährige, der selbst "seit 31 Jahren im Geschäft" ist, das allerdings nicht - handle es sich doch hier um einen Beruf mit Zukunft.

Darum hat der Hotelchef die Hoffnung, dass für den im kommenden Januar startenden nächsten Jahrgang bald Bewerbungen eingehen. Schließlich müsse man sich wegen des verpflichtenden Vorbereitungslehrgangs spätestens im September im BFW einfinden.

Das Hotel wird vor allem von Geschäftsreisenden genutzt

Im Hotel steigen vor allem Geschäftsreisende und Messebesucher ab. Erfreulicherweise habe man sich mittlerweile auch als Freizeithotel für die Region etabliert, sagt Kurzawa, sei als ADFC-zertifiziertes "Bed & Bike Haus" attraktiv für Radfahrende oder auch für die Menschen in Kirchseeon und Umgebung, die ihren Besuch nicht auf dem eigenen Sofa unterbringen wollen.

Für Unternehmen aus der Region ist das Hotel wiederum nicht nur als Übernachtungsbetrieb interessant, sondern wird auch immer wieder für Sitzungen, Veranstaltungen, Schulungen und Tagungen genutzt. Ganz besonders freut man sich schon auf den Juni 2023. Dann nämlich hat die Stadt Ebersberg das komplette Haus gebucht, um dort eine französische Delegation unterzubringen, die vor ihrer Teilnahme an den "Special Olympics World Games" in Berlin Land und Leute durch den Aufenthalt in einer der 216 " Host Towns" kennenlernen soll.

Bunt und abwechslungsreich sei die Hotellerie immer - aufgrund des ständigen Kontakts mit Menschen, so Kurzawa. "Sie sind stets Gastgeber, auch wenn Sie in der Buchhaltung arbeiten." Daher müsse man, neben einem Verständnis für Prozesse und Abläufe, Spaß an Kommunikation haben - selbst dann, wenn es mal schwierig wird.

Für den Fall, dass jemand noch nicht weiß, ob sich ein Beruf im Hotelgewerbe überhaupt mit den eigenen Erwartungen deckt, bietet das BFW ab sofort Praktika an. Auch und gerade für Schülerinnen und Schüler. Zusätzlich können sich alle Interessenten das BFW bei einem der vierzehntägig stattfindenden Infotage anschauen.

Vor Ausbildungsstart wird geprüft, ob Bewerberinnen und Bewerber über die passenden körperlichen, geistigen und gesundheitlichen Voraussetzungen für die Rehamaßnahmen verfügen. Dafür findet für alle ein obligatorisches, zwei- bis dreiwöchiges Assessment-Center statt. In diesem wird, gegebenenfalls, gleich nach einer Alternative Ausschau gehalten.

Dieses Zimmer im neunten Stock kann man für Besprechungen, Tagungen und Seminare mieten. (Foto: Christian Endt)

Die Fachkräfte für Gastronomie in spe werden ihr zukünftiges Betätigungsfeld zwar wohl hauptsächlich im Service finden, aber auch im Housekeeping. Was Laien häufig mit der Zimmerreinigung assoziieren, hat in Wirklichkeit mit Kontrolle und Koordination zu tun. "Es geht um den letzten Schliff," sagt Kurzawa. Also um bestimmte Handgriffe, damit das Zimmer auf den Gast einen guten Eindruck macht. Das könne das Arrangement der Produkte im Bad sein, oder das Glattstreichen der letzten Falte in der Bettdecke.

Wem das Freude bereiten würde, wer außerdem Eigenständigkeit und Motivation mitbringt, sowie Lust hat, auf Menschen offen und freundlich zuzugehen, der steht vielleicht demnächst im neunten Stock des BFW und sorgt dafür, dass keine Asymmetrie das geschulte Auge irritiert.

Weitere Informationen: Telefon: (08091) 51-0 Mail: info@bfw-muenchen.de

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