Von Baiern in die Welt:Indisch-bayerisches Brotzeitprojekt

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Andrea Thumshirn mit Mann Aditya vor ihrer Bäckerei Pausenbrot in Goa. (Foto: privat)

Virtuell unterstützt von Korbinian Schärfl aus Weiterskirchen startete Ex-Hockey-Profi Andrea Thumshirn als Bäckerin durch und eröffnete die "Bakery Pausenbrot" - in Goa.

Von Michaela Pelz, Glonn

Lösungen finden für ein Projekt, das aussichtslos scheint? Das ist die Spezialität von Andrea Thumshirn. Weil auch Korbinian Schärfl Herausforderungen liebt, haben sie sich zusammengetan, damit er ihr das Backen beibringt. Auf eine Entfernung von 10 755 Kilometer.

Zeitsprung: Angefangen hat alles mit der Liebe zum Feldhockey und dem Glauben, dass die Ausübung dieses Sports Menschen verändern kann. Das bringt die Ex-Bundesligaspielerin Andrea Thumshirn dazu, vor rund zwölf Jahren ihre Zelte in Deutschland komplett abzubrechen, um in einem kleinen Dorf im indischen Bundesstaat Rajasthan mit "Hockey Village" ein Sozialprojekt zu starten. In dieser ersten von später mehreren Einrichtungen sollen Bildung und Sportförderung verbunden werden, vor allem für Mädchen.

Leider scheitert nach einigen Jahren die großartige Idee, an der sich auch zahlreiche deutsche Sponsoren beteiligen und Thumshirn muss neben finanziellen Verlusten auch herbe persönliche Enttäuschungen hinnehmen. Doch die Fränkin, aufgewachsen in Schwabach, lässt sich nicht entmutigen: "Ich bin ein sehr positiver Mensch, ich wusste immer, ich falle wieder auf die Füße." Es entsteht die Idee eines weiteren Neuanfangs. In Goa. Mit einer, angesichts der schon immer weltoffenen Bewohner sowie der zahlreich dort überwinternden Deutschen und Österreicher, durchaus erfolgversprechenden Geschäftsidee: Eröffnung einer Bäckerei mit deutschem Sauerteigbrot.

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Weil weder Thumshirn selbst noch ihr indischer Ehemann, Ex-Basketballer und Lehrer, in der Kunst des Brotbackens bewandert sind, rät ihnen die zu Rate gezogene Deutsche Bäckerinnung, den Senior Expert Service ins Boot zu holen, der ehrenamtlich Fachkräfte ins Ausland entsendet, um Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. Also mietet das Paar passende Räume an - und es kommt die Pandemie. Was erstens die Anreise aus Deutschland überhaupt und zweitens die einer vulnerablen Person im Rentenalter utopisch macht.

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Doch zum Glück gibt es da noch die Glonnerin Britta Muzyk. Als Verlegerin hat sie mit Thumshirn über deren Idee einer Buchveröffentlichung gesprochen. Auch wenn daraus (noch) nichts geworden ist, stehen die beiden weiterhin in Kontakt.

Deswegen erfährt Muzyk von dem Back-Dilemma und gleich fällt der Netzwerkerin ein, dass sie jemanden kennt, der genau das kann, was jetzt gebraucht wird: Korbinian Schärfl aus dem Bairer Winkel.

Korbinian Schärfl ist Bäcker aus Leidenschaft - die Glut im Holzofen hat zwischen 500 und 600 Grad. (Foto: Christian Endt)

Der hat trotz seiner erst 28 Jahre schon einiges zuwege gebracht. Zwei verkürzte Ausbildungen innerhalb von fünf Jahren - eine zum Bäcker, eine zum Spengler, gefolgt vom Einstieg in den elterlichen Spenglerei/Metallbau-Betrieb. Denn zwar findet der junge Mann den Umgang mit Teig unverändert faszinierend, die Arbeitszeiten weniger. Die Leidenschaft lässt ihn trotzdem nicht los. Und weil der Weiterskirchner das, was er anpackt, gleich gründlich macht, tritt er 2018 zur Bäcker-Meisterprüfung an.

In der Urkorn-Bäckerei in Weiterskirchen ist alles Handarbeit. (Foto: Christian Endt)

Ab dann fährt er zweigleisig, allerdings in begrenztem Umfang und nur auf Vorbestellung, damit ihm die Freude am Backen bleibt. In seiner Urkorn Bäckerei macht er immer freitags ab drei Uhr früh rund 100 Laib Brot und Kleingebäck, jedes Stück per Hand geformt. Weizenprodukte gibt es gar nicht, das Sortiment wird immer wieder ausgetauscht, um saisonal bleiben zu können. Den Rest der Woche arbeitet er als Spengler beim Vater.

Warum sich der zweifacher Familienvater trotz seiner zahlreichen Verpflichtungen auf das indisch-bayerische Brotzeitprojekt eingelassen hat? "Ich mache gern mal ungewöhnliche Sachen und kann schlecht Nein sagen", sagt er und lacht. Außerdem liebe er die Herausforderung.

Korbinian Schärfl arbeitet nur auf Vorbestellung, probiert immer neue Rezepte aus und variiert das Sortiment saisonal. (Foto: Christian Endt)

Darum telefoniert er mit Andrea Thumshirn im fernen Goa, die da bereits begonnen hat, via Internet-Anleitung Sauerteig zu züchten, Baguettes und Zimtschnecken zu backen. Richtig Schwung in die Sache kommt nun dank Profi Schärfl. Er gibt Tipps zur Backtemperatur und zur Zusammensetzung des Teigs. Whatsapp glüht, die Nachrichten und Videos fliegen nur so hin und her. "Korbinian sagte uns, wir sollten den Teig über Nacht ruhen lassen. Bloß: Am nächsten Tag war nichts mehr da," erinnert sich lachend Thumshirn. Grund sei wohl die mit der Regenzeit verbundene hohe Luftfeuchtigkeit gewesen. Schärfl findet - natürlich - eine Lösung; wie für so gut wie jede Frage.

Die Schulbänke und -tische sind eine Spende. Hier lernten einmal tatsächlich goanische Schulkinder und verzehrten vielleicht auch ihr "Pausenbrot". (Foto: privat)

Er berät sogar bei der Ausstattung des kleinen Ladencafés, das sie im November 2020 eröffnen und 2022 gegen größere Räume tauschen. Durch alte Hockey-Village-Kontakte stehen dort sogar echte Schulbänke. Thematisch passen die perfekt zum Namen. Um nicht mit einer anderen "German Bakery", wie es sie in Goa schon gibt, verwechselt zu werden, bekommt die Bäckerei nämlich einen deutschen Namen. "Weil mein Mann und ich uns in einer Schule kennengelernt und auch gemeinsam eine weitere gegründet hatten, schlug ich Pausenbrot vor", schildert Thumshirn die Entstehungsgeschichte. "Aditya, der kein Deutsch spricht, gefiel der Klang sofort."

Was beide weniger toll finden: Um drei Uhr früh startet der Tag in der Backstube. Dank Internet in Gesellschaft von Radio F aus Nürnberg. Wenn Thumshirn am Telefon erzählt, wie sie die tägliche Erklärung eines fränkischen Worts erheitert, spürt man, wie heimatverbunden diese Frau auf der einen Seite ist, es aber auch andererseits genießt, sich mit genau diesen Wurzeln immer wieder neu zu erfinden. Weit weg, an einem Ort, an dem alles anders ist: Essen, Klima, Kultur.

Während der Pandemie beschenkt Thumshirn das Personal der Covid-Station. Auf dem Herzanhänger an den liebevoll gepackten 50 Tüten mit Zimtschnecken und Mango-Muffins steht "Danke, dass ihr Helden seid!" (Foto: privat)

Als Fatalistin und gleichzeitig Optimistin mit grenzenloser Energie hat sie sich selbst dann, als ihr die Existenz quasi über Nacht wegbricht, nie komplett aus der Bahn werfen lassen. "Ich hatte viel Geld, ich hatte wenig Geld. Ich habe gelernt, wieder aufzustehen und dass alles für irgendwas gut ist", sagt sie voller Überzeugung. Jeden Moment habe sie bisher genossen und würde alles genau so wieder tun.

Britta Muzyk (ganz rechts) hat Aditya Rai, Korbinian Schärfl und Andrea Thumshirn zusammengebracht. Beim ersten persönlichen Treffen 2022 durfte sie natürlich nicht fehlen. (Foto: privat)

Diese Ausstrahlung einer Person, die schon so viel erlebt habe und sich trotz aller Rückschläge nie entmutigen ließ, zusammen mit der Energie, die Thumshirn in ihr Backprojekt steckt, beeindruckt Korbinian Schärfl ab dem ersten Kontakt. Als sie sich dann 2022 erstmals persönlich treffen und sogar gemeinsam Brot backen, ist es, als würden sie sich schon ewig kennen.

Rund zwei Jahre nach dem ersten Kontakt treffen sich Andrea Thumshirn und Korbinian Schärfl zum ersten Mal, backen bei Thumshirns Deutschlandbesuch 2022 zusammen. (Foto: privat)

Auch Thumshirn sieht das so: "Ich fand Korbinian gleich unglaublich sympathisch, zielstrebig und strukturiert." Als eine, die normalerweise anderen helfe, sei es ihr eher unangenehm, selbst Hilfe zu brauchen. Doch mit dem jungen Mann sei die Zusammenarbeit total einfach, "obwohl wir so komplett verschieden sind." In der Tat scheint er eher der bodenständige Typ, den es nicht so sehr in die Ferne zieht. Vielleicht deswegen war er bisher noch nicht in Goa, obwohl beide beteuern, dass sich mittlerweile zwischen ihnen eine Freundschaft entwickelt hat.

Wer schon vorbeigeschaut hat, ist das U-17 Team des deutschen Frauenfußballs. Auf dem Weg zur WM in Mumbai im Herbst 2022 sind die Brezn der "Bakery Pausenbrot" die letzte Rettung, "als die Mädels sich den Magen verkorkst hatten", wie Thumshirn berichtet. Diese Begegnung habe sie als Sportlerin, die selbst 2019 bei den U45 Hockey Masters Europameisterschaften das deutsche Trikot getragen hat, sehr genossen.

Allerdings steht Hockey heute für Andrea Thumshirn nicht mehr im Vordergrund; jetzt gilt ihre ganze Energie der Bäckerei. Darum ist bei den Sommerbesuchen in Deutschland auch ein Zwischenstopp bei Schwabachs Bäcker Distler ein Muss. Sowohl Vater Gerd, ein ehemaliger Schüler ihres Lehrer-Vaters, als auch Sohn Xaver seien sehr offen und hilfreich. Etwa wenn es um die Kunst des Croissantbackens gehe.

Korbinian Schärfl wiederum wird wohl immer eine besondere Stellung im Herzen von Andrea Thumshirn einnehmen. Die gemeinsame Whatsapp-Gruppe besteht noch immer, wenn sie auch nicht mehr ganz so häufig genutzt wird wie zu Anfang. Platz für einen weiteren Profi im Pausenbrot-Team, wäre dennoch, meint Thumshirn: "Wenn ein junger, ambitionierter Bäcker Zeit und Lust hat, mit uns unter Palmen zu backen, würden wir uns freuen."

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