Anzing:Mit Gottes Kraft

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Hannelore Stich ist sehr zufrieden mit "Johnny", wie Godspower Odiase im Anzinger Pflegestern von Bewohnern und Mitarbeitern genannt wird. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Godspower Odiase musste aus Nigeria fliehen, weil er dort um sein Leben fürchten musste. Dass er sein Schicksal erträgt, liegt auch daran, dass er beim Pflegestern in Anzing in seinem Beruf arbeiten kann.

Von Max Nahrhaft, Anzing

Im Januar hat Jasmina Reinert einen ungewöhnlichen Anruf aus Ebersberg erhalten. Ein Flüchtling aus Nigeria wolle bei ihr ein Praktikum als Pflegehelfer machen. Nachdem sie sich vergewisserte, dass sie richtig verstanden habe, war es für sie ganz selbstverständlich, ja zu sagen. "Zur Integration müssen wir alle bereit sein, das ist nicht nur einseitig die Aufgabe der Flüchtenden", sagt Reinert. Sie selbst kommt ursprünglich aus Kroatien und leitet jetzt den Pflegestern in Anzing.

Auf der anderen Seite der Leitung war ein Mitarbeiter des beruflichen Fortbildungszentrums der bayerischen Wirtschaft. Die Einrichtung bietet ein Programm an, um Flüchtlingen eine berufliche Perspektive zu vermitteln. Einer der Teilnehmer war zu Beginn des Jahres Godspower Odiase. Ihm wurde ein vierwöchiges Praktikum vermittelt, bei dem er sich hervorragend bewiesen hat.

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Inzwischen ist Odiase kein Praktikant mehr, sondern als Teilzeitkraft in der Einrichtung beschäftigt. Da Reinert äußerst zufrieden mit ihm war, hat sie ihm diese Chance ermöglicht. Seit drei Monaten arbeitet er nun 20 Stunden pro Woche in der Pflegeeinrichtung und ist glücklich mit seiner Anstellung. "Die Arbeit ist gut. Es macht mir Spaß, mich um Menschen zu kümmern und im Team zu arbeiten", sagt Odiase ganz schüchtern.

Nach der Ermordung seiner Familie musste Odiase flüchten

Bis vor eineinhalb Jahren hat er in seiner Heimat Nigeria als Krankenpfleger in einem Krankenhaus gearbeitet, von dort bringt er die Erfahrung mit, Senioren zu betreuen und pflegen. Sein Leben hat sich dann aber schlagartig verändert. Im März vergangenen Jahres wurde seine Familie in Nigeria getötet, er wurde verfolgt - seine einzige Chance war die Flucht aus seiner Heimat.

Jetzt sitzt er auf der Terrasse des Pflegeheims und erzählt von seinem Schicksal. Seit 15 Monaten lebt der 20-Jährige nun in einer Unterkunft in Ebersberg, doch angekommen fühlt er sich dort nicht. "Sobald ich genug Geld gespart habe, möchte ich dort raus", meint Odiase. Raus aus der Enge der Unterkunft, eine eigene Wohnung, Privatsphäre - das wäre sein großer Wunsch.

In seinem Berufsalltag hat er Anschluss und Bestätigung gefunden. Hier im Heim wird er Johnny genannt, Odiase oder nur Godspower ist für manchen Bewohner zu schwierig. Hildegard Abold ist mit ihren 85 Jahren zur Kurzzeitpflege im Heim und sehr zufrieden mit ihm. "Unser Johnny ist wirklich freundlich und zuvorkommend - zwar etwas schüchtern, aber er spricht sehr gutes Deutsch." Und das kommt nicht nur daher, dass er mehrmals die Woche einen Deutschkurs besucht.

Auch den Bewohnern, die regelmäßig mit ihm geübt haben, habe er seine sprachlichen Fähigkeiten zu verdanken, erzählt Odiase. Seine Chefin Jasmina Reinert sagt: "Es ist toll zu beobachten, dass er so herzlich bei uns aufgenommen wurde. Vorbehalte spielen überhaupt keine Rolle." Odiase erzählt, dass er selbst auch außerhalb seiner Arbeitsstelle nie etwas von Anfeindungen gegen ihn oder einen seiner Mitbewohner mitbekommen habe.

Obwohl er nun eine wichtige Hürde zur Integration - die Arbeitssuche - hinter sich hat, fasst er noch keine konkreten Pläne für die Zukunft. "Das Leben ist ein Prozess. Nach meiner Flucht über das Mittelmeer wollte ich ein neues Leben in Deutschland beginnen. Den ersten Schritt habe ich nun geschafft", so Odiase. Was noch auf ihn zukommt, darauf ist er gespannt. Allerdings sei seine Zukunft nicht nur von ihm selbst abhängig, sondern beeinflusst von den Entscheidungen der deutschen Regierung - und von Gott. Der junge Mann ist ein gläubiger Christ. So ist er auch von seinen Eltern erzogen worden, die ihm den wundervollen Namen Godspower, auf Deutsch Gottes Macht, gegeben haben.

Die Äpfel werden mundgerecht geschnitten

Auch wenn sich Odiase inzwischen gut eingelebt hat, ist ihm der bürokratische Arbeitsalltag in Deutschland noch relativ fremd. Jasmina Reinert bemerkt das vor allem an Kleinigkeiten: "Er weiß zum Beispiel noch nicht, wie und warum er sich krank schreiben muss. Dass er in einem solchen Fall trotzdem Geld bekommt, war ihm auch nicht klar. Dennoch kann ich mich immer auf ihn verlassen." Odiase, so erzählt sie stolz, übernehme alle Aufgaben völlig selbständig und füge sich hervorragend im Team ein.

Für den 20-Jährigen ist es darüber hinaus selbstverständlich, dass er mit den Bewohnern des Pflegesterns auch Zeit verbringt. Im strahlenden Sonnenschein sitzt er mit Hannelore Stich im Garten neben dem Haus. Zwischen ihnen ein massiver Holztisch, auf dem Odiase der 89 Jahre alten Dame die Äpfel mundgerecht schneidet. Füttern will er sie aber nicht, das wäre ihm zu aufdringlich, auch ihr ist das recht. "Solange ich noch alleine essen kann, will ich das auch machen. Bei Johnny werde ich zu nichts gedrängt", erklärt Frau Stich.

Die Zurückhaltung und das Abwarten ist die große Stärke von Godspower Odiase. Mut und Opferbereitschaft hat er schon bewiesen auf seinem schweren Weg nach Deutschland.

© SZ vom 08.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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