Christine Margraf beobachtet genau, wer was sagt zur geplanten dritten Start- und Landebahn am Flughafen. Seit gut zehn Jahren beschäftigt sich die Biologin beim Bund Naturschutz (BN) mit den Planungen im Erdinger Moos. Beim Prozess vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (VGH) war Margraf eine derjenigen, die fast jeden Prozesstag verfolgt hat. Klar also, dass Margraf am Donnerstagabend die Sendung "Quer" im Bayerischen Fernsehen gesehen hat. Und aufmerksam wurde, als dort ein Vertreter der Münchner Firma Intraplan folgenden Satz sagte: "Ich gebe Herrn Thießen recht in dem Sinne, dass die Flugbewegungsentwicklung derzeit nicht so stattfindet, wie es in den Prognosen erwartet wird."
Nun muss man drei Dinge wissen, um den Satz im Streit um die dritte Startbahn einordnen zu können. Erstens: Die Luftverkehrsprognosen von Intraplan sind einer der Knackpunkte im VGH-Verfahren. Die vom Flughafen beauftragte Firma hatte prognostiziert, dass im Jahr 2025 die Zahl der An- und Abflüge im Erdinger Moos auf bis zu 590 000 pro Jahr steigen werde. Mit dieser Zahl begründete der Airport den Bau der geplanten dritten Piste.
Zahlen sind seit Jahren rückläufig
Tatsächlich aber sind die Zahlen seit Jahren rückläufig. Diese Entwicklung hatte aber das Gericht, zweitens, als nicht entscheidungsrelevant gesehen und daher die Klagen der Gegner abgewiesen. Und drittens: Jener Herr Thießen, dem der Intraplan-Vertreter nun recht gegeben hat, ist ein Volkswirtschaftsprofessor an der Technischen Universität Chemnitz, der in einer Studie aufgezeigt hat, dass die Intraplan-Leute regelmäßig daneben lagen, nicht nur in München, sondern auch an anderen Flughäfen.
"Die Prognosewerte streuen nicht zufällig um den wahren Wert", urteilte Thießen, "sondern weichen systematisch um etwa das Vierfache nach oben ab". Er unterstellt Intraplan einen "systematischen Fehler" in den Verkehrsprognosen. So hätten die Gutachter unter anderem einen wichtigen Strategiewechsel der Fluggesellschaften nicht vorhergesehen: Nämlich den, dass die Airlines seit geraumer Zeit größere Jets einsetzen, um die steigende Zahl an Passagieren fliegen zu können.
Gegner der dritten Startbahn hoffen auf Aufwind
Die Ausbaugegner hoffen nun, dass dies alles Widerhall in der nächsthöheren Gerichtsinstanz findet. Sie haben das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig angerufen, um die Entscheidung des VGH zu kippen. "Wenn der zentrale Gutachter sagt, er hat da einen Fehler gemacht, kann dies vor Gericht nicht einfach ausgeblendet werden", sagt Margraf. Und hofft, nicht nur die Richter in Leipzig zu überzeugen, sondern auch die Mehrheit des bayerischen Landtags. Denn der wird kommende Woche im Plenum über eine Massenpetition der Startbahn-Gegner abstimmen. Um mobil zu machen haben sich die Ausbaugegner in dieser Woche mit einem "Politikbrief" an die Abgeordneten gewandt und darin ihre Argumente erneut aufgelistet.
Intraplan wie auch die Vertreter des Flughafens betonen stets, dass man zwar aktuell unter den prognostizierten Zahlen liege, in den nächsten Jahren aber dennoch die Zahl der Starts und Landungen wieder steigen werde. Schon jetzt zeichne sich ein leichtes Wachstum für das laufende Jahr ab, heißt es am Airport. Flughafenchef Michael Kerkloh hatte zuletzt erklärt, er rechne heuer mit einem Anstieg der An- und Abflüge um ein bis zwei Prozent. Unter anderem in Asien wachse der Flugverkehr kräftig. Über kurz oder lang werde dies auch der Münchner Airport spüren. Und auch die Umrüstung der Fluggesellschaften auf größere Jets werde irgendwann enden, argumentiert Kerkloh stets.
Das zweifeln die Ausbaugegner an: "Eine Trendwende vermag ich nicht zu erkennen", sagt der Freisinger Landtagsabgeordnete Christian Magerl (Grüne). Außerdem habe die Lufthansa, der wichtigste Kunde im Erdinger Moos, zuletzt eine Menge neuer Flugzeuge bestellt, "der Trend geht also ganz klar in Richtung größeres Fluggerät", meint BN-Aktivistin Margraf daraus ableiten zu können. Flughafenchef Kerkloh wie auch die Lufthansa weisen stets darauf hin, dass insbesondere zu Spitzenzeiten, wenn viele Zubringer-Jets ins Erdinger Moos hineindrängen, um Umsteiger aus anderen Städten zu den Landstreckenmaschinen zu bringen, kein Platz mehr sei am Münchner Himmel. "Auch dieses Argument werden wir uns genau ansehen", kündigt Helga Stieglmeier vom Anti-Startbahn-Bündnis "Aufgemuckt" an. Und in einem weiteren Politikbrief abhandeln.