Amtsgericht Dachau:Staatsgewalt am Autoscooter

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Beim Autoscooter auf dem Indersdorfer Volksfest ist viel junges Publikum unterwegs. Die Polizei reagiert empfindlich, wenn in der Nähe Marihuana geraucht wird. (Foto: Toni Heigl)

Eine Polizeikontrolle auf dem Indersdorfer Volksfest endet in einer heftigen Rangelei. Nun sitzen zwei junge Arbeitslose wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte auf der Anklagebank. Doch nicht nur sie müssen sich kritische Fragen anhören.

Von Gregor Schiegl, Dachau

Immer wieder trommelt der junge Mann mit den Fingern auf die Tischplatte, das tätowierte Kreuz auf dem Handrücken tanzt nervös. Der 23-Jährige hat schon mal im Knast gesessen, zwei Jahre und sechs Monate. Aber muss einer, der schon mal verknackt wurde, deshalb immer gleich der Schuldige sein? "Ich fühle mich so verarscht von diesem Rechtssystem", bricht es aus ihm heraus. Sein Anwalt raunt, er solle doch bitte mal "ein bisschen runterfahren".

Die Staatsanwältin wirft dem arbeitslosen Mann aus dem Landkreis Dachau Widerstand gegen Polizeibeamte vor und vorsätzliche Körperverletzung. Mit auf der Anklagebank sitzt sein Kumpel, etwa gleiches Alter, gelernter Schreiner, ein kräftiger blonder Mann. Auch er ist derzeit ohne Job. Bei einer Polizeikontrolle auf dem Indersdorfer Volksfest ist er seinem Freund zu Hilfe geeilt - womöglich mit mehr Tatkraft als erlaubt. Die Anklage gegen ihn: Widerstand und tätlicher Angriff gegen Vollstreckungsbeamte.

Am 19. Mai waren die jungen Männer mit ihrer Clique unterwegs auf dem Indersdorfer Volksfest, alle hatten schon ein bisschen was getrunken. Kurz nach 21 Uhr gerieten sie ins Visier von Polizisten, die in Zivil auf dem Gelände unterwegs waren. In der Nähe des Autoscooters hatten sie Marihuana-Geruch bemerkt. Ihr Verdacht fiel sofort auf die Gruppe junger Männer.

"Ich musste mich wehren, die hätten mir sonst alle Knochen gebrochen."

Die Beamten riefen ihre uniformierten Kollegen hinzu. Diese hielt den Rest der Gruppe auf Abstand, während die Polizisten zwei Verdächtige kontrollierten, darunter der polizeibekannte Hauptangeklagte. Er ist schon mehrfach wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz in Erscheinung getreten.

Dass er es war, der kurz zuvor einen Joint geraucht hatte, gibt er sofort zu. Der Konsum sei ja nicht strafbar, sagt er vor Gericht, nur der Besitz. Die Beamten auf dem Volksfest durchsuchten ihn, fanden aber nichts. Nach seiner Darstellung klickte gleich darauf eine Handschelle um sein linkes Handgelenk. "Es hat extrem wehgetan", die Beamten seien äußerst rabiat gewesen und hätten ihn über die Stahlkanten der Treppe am Autoscooter gezogen. "Ich musste mich wehren", sagt er. "Die hätten mir sonst alle Knochen gebrochen."

Die Verletzungen gibt es - aber was war die Ursache?

Der Mitangeklagte sagt, er sei dem im Gesicht blutenden Freund nur zu Hilfe geeilt. "Ich wollte nicht, dass sie noch mehr auf ihn eintreten." Viele Details wisse er heute nicht mehr. "Ich hatte ja auch einiges getrunken." Attackiert habe er die Beamten aber gewiss nicht, bloß beiseitegeschoben. Ein Polizist berichtet von einem Stoß, den er in die Seite bekommen habe, ein anderer, dass er an der Jacke gezogen worden sei.

Beim Gerangel des sich heftig wehrenden Hauptangeklagten tragen allerdings fast alle Beteiligten Verletzungen davon: der 23-Jährige blutende Schürfwunden an Unterarm und Gesicht, die Beamten bekommen Prellungen ab und Schürfwunden. Ein Beamter wird am Bein so schwer lädiert, dass er danach eine Woche dienstunfähig ist.

"Das ist jetzt die vierte Version, die ich höre."

Es bleibt unklar, wie genau die Beamten sich die Verletzungen zugezogen haben, auch die genauen Umstände der Festnahme bleiben nebulös weichen immer wieder voneinander ab. "Das ist jetzt die vierte Version, die ich höre", seufzt die Richterin. Lediglich in einem Punkt decken sich die Angaben der vier befragten Polizisten: Der 23-Jährige sei von Anfang sehr aggressiv aufgetreten. Nachdem ihm ein Platzverweis ausgesprochen worden sei, habe er gegen den Metallzaun eines Fahrgeschäfts gedroschen. Zur "Eigensicherung" habe man ihn in Gewahrsam genommen.

Auf der Wache habe er sich schnell beruhigt, sich sogar entschuldigt. Was der Angeklagte in der Verhandlung wütend von sich weist. Er hätte gar keinen Grund gehabt, sich zu entschuldigen, sagt er. Im Gegenteil: Er wirft dem Dachauer Polizeibeamten vor, ihn bloßgestellt zu haben, indem er seine Gefängnisstrafe vor allen Leuten ansprach. Das habe ihn wütend gemacht. Der Polizist weist das zurück. Er habe den Angeklagten vorher gar nicht gekannt.

Wackelige Bilder von der Bodycam

Die Bodycam eines uniformierten Beamten wird als Beweismittel vorgeführt. "Lächerlich!", schnaubt der Angeklagte. "Da sieht man doch nichts!" Tatsächlich sind die Bilder wackelig, die Festnahme des Angeklagten nur ganz kurz zu sehen, der Versuch der "Gefangenenbefreiung" gar nicht. Dafür sieht man einen gemeindlichen Jugendarbeiter, der die Polizisten anspricht, ob ihr Vorgehen nicht vielleicht etwas brutal sei.

Die Beamten hätten sich zum Teil Dinge erlaubt, die "rechtlich nicht mehr gedeckt" gewesen seien, kritisiert der Verteidiger. Er beantragt, das Verfahren einzustellen. Die Richterin wäre einverstanden, doch die Staatsanwaltschaft stellt sich quer. Nun geht die Verhandlung in eine neue Runde mit neuen Zeugen: Zu ihnen gehört auch der Jugendarbeiter.

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