Kultur:Willkommen in Klaberg-Schmuggling!

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Die Premiere von "Der blaue Kruag" überzeugt vor allem durch die wunderbare Ausstattung. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Bei der Premiere von "Der blaue Kruag" überzeugt die Theatergruppe Altomünster mit einem Ensemble in Hochform und fantastischer Ausstattung. Die Geschichte selbst lebt allerdings vor allem von Klischees.

Von Dorothea Friedrich, Altomünster

Die Theatergruppe Altomünster hat eindeutig zwei Lieblingsautoren: Wolfgang Henkel und Peter Lantsdorfer. Beide sind langjährige Regisseure, Darsteller und Autoren. Doch es gibt einen fundamentalen Unterschied: Lantsdorfer beschränkt sich in seinen leichten Komödien und in seinem eigenen Theater auf im Wortsinn altbayerische Plots und Charaktere; Henkel und seine Theatergruppe machen immer wieder beherzt den Sprung ins moderne Boulevard oder in aufwändige und anspruchsvolle Historienspektakel. Aktuell steht in Altomünster ein "klassischer" Lantsdorfer auf dem Programm: "Der blaue Kruag". Am vergangenen Freitag war Premiere mit einem Ensemble in Hochform, mit wunderbaren Kulissen und Kostümen und den allzu vertrauten Figuren aus einer Welt, die es so nie gegeben hat.

Im Dörfchen Klaberg-Schmuggling ist schon rein äußerlich alles, wie es sein soll: Rathaus, Wirtshaus, Kircherl nebst Friedhof, schön um den Marktplatz platziert. Ein paar geschwätzige Mannsbilder sitzen gemütlich auf einem Bankerl und titulieren sich unter lautem Johlen mit den kernigsten bayerischen Wortschöpfungen. Quasi nebenbei sezieren sie verbal den seltsamen Tod des Schmieds, bei dem ein Dreschflegel eine entscheidende Rolle spielte. Ein paar Frauen am Nebentisch warten scheinbar fügsam darauf, endlich zu Wort zu kommen. Der Gendarm und der lebensfrohe Dorfpfarrer komplettieren das reichlich vorhandene Bühnenpersonal.

Die Darsteller spielen allesamt hingebungsvoll

Gut, dass der Schanderl Adi (Wolfang Henkel als Dorfgendarm) die Vorstellung der Protagonisten übernimmt. Diese spielen einfach hinreißend, jede und jeder geht in seiner Rolle auf, weshalb niemand unerwähnt bleiben soll: die beherzte und pragmatische Wirtin, die Ranzinger Resi, (Marina Hörmann), die Tandlerin Grusch Kathi (Stephanie Kreppold) mit durchdringendem Stimmorgan, die bigottische und dem Pfarrer nachträumende Kniagler Anni (Luisa Henkel) und die trauernde Schmiedin Hammerl Adelgunde (Jutta Fuhrmann) mit ihrem sehr individuellen rheinischem Singsang. Der leutselige Pfarrer Villinger Paul (Thomas Koppold), salbadert gerne und ausgiebig, ist einem kräftigen Schluck nicht abgeneigt und wird noch zur Hochform auflaufen. Der unterwürfige Gemeindediener Berlscheißer Sepp (Markus Gottfried) vermisst seinen auf Dienstreise befindlichen Bürgermeister. Der Totengräber Abelasser Friedl (Andreas Holzmüller) diskutiert gerne und ausgiebig, ob ein Fichten- oder ein Eichensarg für den verstorbenen Schmied infrage kommt. Bäckermeister Bräsler Leonhard (Thomas Bliem) sorgt für allzeit frische Brezn und Semmeln. Der Großbauer Grundhammer Nepomuk (Michael Riedl) will seine Tochter Monika (Pia Obeser) unbedingt an den Mann bringen, was diese entschieden ablehnt und selbst aktiv wird. Zu guter Letzt radelt der Auslöser etlicher Verwicklungen, der Rotzenbichler Xare, genannt der bayerische Bernini (Christian Chymyn), noch mitten in die Beerdigungsfeierlichkeiten.

Die trauernde Schmiedin Hammerl Adelgunde und der leutselige Pfarrer Villinger Paul. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Schanderl Adi, der Dorfgendarm. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Er will das baufällige Kircherl abreißen lassen und einen vom Ordinariat spendierten Neubau hinstellen. Geht gar nicht, finden die Dorfbewohner und setzen alles daran, dem Architekten den Nachbarort für den Neubau schmackhaft zu machen und ihr eigenes Kircherl mindestens in den Rang eines Unesco-Welterbes zu erheben. Warum? Weil im Kircheninneren irgendwas Undurchsichtiges vor sich geht.

Immer wieder kommt jemand mit einem Packerl aus dem Gotteshaus und gibt es verstohlen an einen Nachbarn weiter. Was sich in dem Packerl befindet, soll und muss ein Geheimnis bleiben. Davon hängt das Wohlergehen des Dorfes ab. Die Verzweiflung ist groß, mindestens so groß wie das Magenweh des bayerischen Bernini nach einer reichlichen Portion Roulade mit Kraut. Doch der Pfarrer hat die rettende Idee. Des Nachts schleichen finstere Gestalten umher, machen sich mit viel Radau und vollem Körpereinsatz am Kirchengemäuer zu schaffen.

Und siehe da: Am nächsten Morgen erscheint der titelgebende blaue Krug wundersamer Weise im Dachfenster. Seine Wunderkraft beweisen die Dörfler mit unglaublichen fantastischen Geschichten und Taten. Der bayerische Bernini gibt auf, das wahre Geheimnis wird endlich gelüftet. Das Publikum ist begeistert und alle vor und hinter der Bühne sind glücklich.

Und dennoch bleibt ein etwas unbehagliches Gefühl: "Der blauer Kruag" lebt die Klischees vom kampfeslustigen und trinkfreudigen Bayern, von der weiß-blauen Idylle und vom ausgefuchsten Dorfbewohner voll aus. Wüsste man nicht, dass die Uraufführung 2009 war, könnte man sie glatt im frühen 20. Jahrhundert verorten. Gut nur, dass die Theatergruppe Altomünster mit ihrem Spiel und der fantastischen Ausstattung das Stück gerettet hat.

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