SZ-Adventskalender:Zurück zum Glück

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Ein 59-Jähriger erleidet einen Schicksalsschlag nach dem anderen: Als Junge verliert er seine Mutter, als Vater eines seiner Kinder. Sein Knie ist kaputt. Dann erkrankt er auch noch an Covid-19. Doch jetzt soll die Pechsträhne enden.

Von Jacqueline Lang, Dachau

(Foto: SZ Grafik)

- Wolfgang Müller hat in seinem Leben nicht viel Glück gehabt. Weil der 59-Jährige aufgrund einer Knieverletzung, die einfach nicht verheilen will, innerhalb kürzester Zeit acht Mal mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht werden musste, hat er nun auch noch Schulden, die er abbezahlen muss. Denn die Kosten für die Fahrten werden nicht übernommen. Das hat Müller allerdings im Vorfeld niemanden gesagt; irgendwann lag einfach die Rechnung in Höhe von knapp 1000 Euro in seinem Briefkasten. Jetzt stottert er die Rechnung in Raten ab, zum Leben bleiben ihm gerade einmal 109 Euro. Für den täglichen Bedarf reicht das kaum, an ein neues Bett und einen neuen Herd ist nicht einmal zu denken. Umso dankbarer ist Müller, dass ihm die Seniorenberatung des Dachauer Landratsamts vom Adventskalender für gute Werk der Süddeutschen Zeitung erzählt hat, der nun mithilfe von großzügigen Spenden die Kosten übernehmen will - damit Wolfgang Müller wieder etwas ruhiger schlafen kann.

Den ersten Schicksalsschlag hat Wolfgang Müller (Name von der Redaktion geändert) mit 13 Jahren erlitten. Damals starb seine Mutter an Krebs. Weil sein Vater Alkoholiker war, kam Müller ins Heim. Mit seiner ersten Frau hat er heute keinen Kontakt mehr. Eines ihrer gemeinsamen Kinder sei verstorben, die anderen beiden habe sie gegen ihn "aufgehetzt", sagt Müller. Auch von seiner zweiten Frau lebt er getrennt, verheiratet und befreundet sind sie aber immer noch. Weil sie nur ein paar Häuser weiter wohnt, kommt sie auch immer noch alle paar Tage vorbei, um bei ihm nach dem Rechten zu sehen. Ansonsten ist Müller ziemlich auf sich alleine gestellt. Fragt man ihn, wie es ihm damit geht, sagt er: "Geht schon. Muss ja."

Schon früh hat Müller angefangen auf dem Bau zu arbeiten, seit er mal vom Dach gefallen ist, ist er aber praktisch nicht arbeitsfähig. Erst das linke Knie, später kamen auch noch Probleme mit der Wirbelsäule dazu. Dass er mehr als 100 Kilo wiegt, macht die Sache nicht einfacher. Trotzdem hat Müller immer wieder versucht, in der Arbeitswelt seinen Platz zu finden: Nachdem er auf dem Bau nicht mehr arbeiten durfte, schulte er erst zum Computerfachmann und dann Kraftfahrer um. Seit einem Bandscheibenvorfall ist es aber auch damit vorbei. Müller musste in Frührente gehen, seitdem hat er einen Schwerbehindertenausweis.

Und als wäre all das nicht genug, erkrankte Müller im Sommer auch noch am Covid-19. Er glaubt, dass er sich das Virus im Dachauer Krankenhaus eingefangen haben muss. Immerhin sei er gerade einmal vor drei Tagen aus dem Krankenhaus entlassen worden, als er plötzlich starkes Fieber bekam. Kurze Zeit später habe er kaum mehr Luft bekommen, weshalb er sogar beatmet worden sei. "Der Wolfgang, der kommt nicht zurück", das hätten sowohl seine Frau als auch seine Nachbarn geglaubt. Und sogar der Arzt, so erzählt es Müller, habe zu einer Krankenschwester gesagt: "Der sieht nicht gut aus." Zwei Wochen lag er im Krankenhaus, mittlerweile geht es ihm aber wieder gut. Nur sein linkes Knie, das macht ihm immer noch stark zu schaffen. Die Prothese macht Probleme - und weil er das rechte Bein deshalb umso stärker belastet, hat er mittlerweile Schmerzen auf beiden Seiten. Auch deshalb ist es ein Segen, dass er nun ein neues Bett bekommen hat. Aus dem alten ist er kaum noch herausgekommen, immer wieder hat er es nicht rechtzeitig zum Klo geschafft und "reingepieselt". Das Bett und die Matratze hätten deshalb schon zu stinken begonnen. "Ich sag's wie's ist", sagt Müller, zu beschönigen gebe es an seiner Situation nichts.

Seine Stimme überschlägt sich fast, wenn er laut darüber nachdenkt, wie wenig er sich leisten kann, obwohl er sein ganzes Leben - sofern es seine körperliche Verfassung zuließ - gearbeitet hat. "Wenn ich sehe, von wie wenig Geld Menschen wie ich leben müssen, da fang ich an zu weinen." Zu allem Ärger sind neben den Bett kürzlich auch noch der Herd und der Kühlschrank kaputt gegangen. Einen Kühlschrank konnte er sich von Bekannten leihen, aber der Herd wird nicht mehr richtig heiß. Der Backofen funktioniert noch, aber wirklich kochen lässt sich so nicht. Als wäre gesund zu kochen nicht auch so schon schwer genug, sagt Müller.

Es sei ihm schon mehrmals geraten worden, doch zur Dachauer Tafel zu gehen, um sich dort mit Lebensmittel einzudecken. Wie sich die Leute das vorstellen, weiß Müller nicht. Er könne ja kaum noch laufen, müsse sich mühsam mit dem Rollstuhl oder Rollator fortbewegen und eine einfache Fahrt mit dem Bus, die koste ja schließlich auch schon 1,70 Euro. Geld das er derzeit schlicht nicht hat. Wenn er die Raten für die Krankenhausfahrten demnächst abbezahlt hat, dann wird es immerhin finanziell wieder ein weniger leichter, da ist Müller trotz allem zuversichtlich. Und wenn er Mithilfe des SZ-Adventskalenders einen neuen Herd bekommt, dann war es für Wolfgang Müller schon fast ein gutes Jahr.

© SZ vom 22.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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