Stichwahlen:Emotionale Erdbeben

Lesezeit: 3 min

Die CSU fällt im Landratsamt von einer Fassungslosigkeit in die nächste, weil Peter Bürgel die Wahl zum Oberbürgermeister in Dachau verliert und Stefan Löwl nur knapp neuer Landrat wird.

Von Walter Gierlich und Helmut Zeller

Florian Hartmann freut sich mit Vierkirchens neuem SPD-Bürgermeister Dirlenbach. (Foto: joergensen.com)

Wie ein Sieger sieht Stefan Löwl nicht gerade aus. Der CSU-Kandidat hat die Stichwahl gegen den SPD-Bewerber Martin Güll auch denkbar knapp geschafft - mit nur 185 Stimmen Vorsprung. "Ich bin jetzt vor allem froh, dass es vorüber ist", sagt er. Tausende Stunden für den Wahlkampf, 30 000 Kilometer auf Wahlkampftour zurückgelegt und dann die Zitterpartie seit der Kommunalwahl am 16. März, als der SPD-Landtagsabgeordnete ihn überraschend in das Duell zwang. Und dann dieser Sonntag. Seine Frau hält Stefan Löwls Hand. Es ist ein Kopf-an-Kopf-Rennen bis zum Schluss. Unerträglich fast. Als dann die Erlösung kommt, kann sich keiner so richtig freuen. Denn alle schauen auf das Ergebnis der Oberbürgermeister-Stichwahl in der Stadt Dachau: Der 27-jährige Stadtrat Florian Hartmann (SPD) hat OB Peter Bürgel (CSU) besiegt. "Wahnsinn", "der Untergang" - die CSU im Landkreis hat Einbrüche bei Wahlen erlebt. Aber ein solches Debakel noch nie. Den Kreisvorsitzenden Bernhard Seidenath, der die Wahlkampfkampagne zu verantworten hat, hält es nicht an seinem Platz. Unruhig wandert er im Sitzungssaal des Landratsamts auf und ab.

Landrat Hansjörg Christmann, der nach 37 Jahren nicht mehr kandidierte, ist erschüttert. "Das ist für mich eine persönliche Katastrophe." Christmann wirkt, als sei sein Lebenswerk zerstört worden. "Die ganze Arbeit für Israel, für die Kunst umsonst. Das ist der Wahnsinn. So ein junger Kerl. Wir können alles einstampfen und von Null anfangen", sagt er und scheint in diesem Moment ganz vergessen zu haben, dass auch er nicht viel älter als Florian Hartmann war am Anfang seiner politischen Karriere. Der Verlierer Martin Güll strahlt. Er ist auch der eigentliche Gewinner. "Ich bin überhaupt nicht enttäuscht. Dass ich so weit gekommen bin, ist ein Traum." Heute wird ein historischer Sieg über die CSU gefeiert. Vielleicht kommt morgen ein bisschen Wehmut auf. Es hat doch nur so wenig gefehlt.

Der Vorsitzende des Dachauer SPD-Ortsvereins Volker C. Koch gibt für seine Genossen das Motto des Sonntagsabends jedenfalls schon einmal vor: "Wir werden heute feiern, feiern, feiern." Kein Wunder: Hatten die Sozialdemokraten doch seit 1966 den Rathauschef nicht mehr gestellt. Und Koch selbst, der seit 24 Jahren im Stadtrat sitzt, ist bereits zweimal als OB-Kandidat gescheitert. Bevor man endgültig im Jubel versinkt, will Koch allerdings der gesamten Mannschaft noch ein gehöriges Lob zollen, "die nach diesen Turbulenzen einen Superwahlkampf hingelegt hat". Es hatte im vergangenen Jahr in der Dachauer SPD in der Tat erhebliche atmosphärische Störungen mit Putsch und Gegenputsch gegeben, ehe im Spätherbst Hartmann auf den Schild als OB-Kandidat gehoben wurde.

Daher strahlt in der Kultur-Schranne auch die Stadtratsfraktionsvorsitzende Christa Keimerl: "Das ist eine Überraschung und eine Genugtuung." Allerdings sei für sie schon an den Info-Tischen erkennbar gewesen, "dass die Stimmung positiv war". Nicht nur Sozialdemokraten aus Dachau versammeln sich in der Kultur-Schranne zur Wahlparty: Weil hier auch um das Ergebnis der Landratswahl gezittert wird, sind Genossen aus dem ganzen Landkreis zusammengekommen und drücken Martin Güll die Daumen.

Doch auch Mitglieder der Freien Wähler aus dem Landkreis, der Grünen, des Bündnis für Dachau und sogar der Überparteilichen Bürgergemeinschaft (ÜB), die vor der Stichwahl Neutralität signalisiert hatten, sind da. Und als Hartmanns Sieg feststeht, spricht so mancher aus diesen Gruppierungen von einer Zeitenwende in Dachau. "Ein Wechsel tut auf jeden Fall gut", betont Michael Eisenmann vom Bündnis für Dachau, der vor zwei Wochen erstmals den Sprung in den Stadtrat geschafft hat. Allerdings kommt nicht allzu viel Euphorie auf: "Es werden auf jeden Fall interessante sechs Jahre", sagt der neu gewählte ÜB-Stadtrat Peter Gampenrieder. "Es wird hart", glaubt Bündnis-Fraktionschef Kai Kühnel , weil Hartmann keine Mehrheit hinter sich hat. Und auch ÜB-Stadtrat Franz-Xaver Vieregg ist dieser Meinung: "Es werden sechs harte Jahre."

Während in der Schranne in der Dachauer Altstadt gejubelt wird, herrscht 30 Meter weiter im Kochwirt eine Stimmung wie auf einer Trauerfeier. Die CSU ist angesichts des Wahldebakels von Peter Bürgel fassungslos. Schon als von 18.10Uhr an die ersten Wahlergebnisse einlaufen, wird es immer stiller, werden die Gesichter immer versteinerter und entsetzter. Erwin Zehrer, der nach 36 Jahren im Stadtrat nicht wieder kandidiert hatte, teilt am Handy bereits gegen 1830 Uhr, als noch längst nicht alles ausgezählt ist, seinem Gesprächspartner mit: "Ich bin selber ganz sprachlos." Etwas gesprächiger sind die CSU-Verbündeten Edgar Forster (Freie Wähler) und der nicht wiedergewählte FDP-Stadtrat Alfred Stelzer. "Damit hat niemand gerechnet. Was ich jetzt befürchte, ist eine Ausgaben- und Schuldenpolitik", sagt Forster. Und Stelzer meint angesichts der fehlenden Mehrheiten für den neuen Oberbürgermeister Hartmann im Stadtrat: "Er wird es nicht leicht haben."

Doch kommentiert der Kreis- und Ortsvorsitzende der Liberalen wenigstens den Ausgang der Landratswahl mit einer etwas hämischen Zufriedenheit. Stelzer: "Wir brauchen Martin Güll im Landtag, das ist er viel wertvoller." Da pflichtet denn auch Forster bei: "Er soll nur weiter Kultusminister Spaenle ärgern."

© SZ vom 31.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: