Wohnen:Jeden Tag ein Reisebus

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Im Schnitt kommen täglich 59 Beschäftigte nach München, doch Wohnungen fehlen schon jetzt. Dadurch erhöht sich auch das Problem für das Umland. Über die Frage, wie 2050 gewohnt wird, lässt sich allerdings nur spekulieren

Von Christiane Bracht, Karlsfeld

So unterschiedlich die Gemeinden, Landkreise und Städte im Großraum München auch sein mögen, sie alle eint ein drängendes Problem: der enorme Siedlungsdruck. Heike Piasecki von der Bulwiengesa AG, einem Unternehmen, das Daten und Analysen liefert, fasste dies auf der Verbandsversammlung des Planungesverbands (PV) Äußerer Wirtschaftsraum am Dienstag in Zahlen zusammen, die aufhorchen lassen: In den vergangenen 20 Jahren habe der Großraum München einen täglichen Einwohnerzuwachs von 66 Personen gehabt, sagte die Prokuristin. "Das ist wie wenn jeden Tag ein doppelstöckiger Reisebus in München ankommt", veranschaulichte sie. Dementsprechend kämen jeden Tag 44 neue Haushalte dazu. Die Bautätigkeit hinke dem aber hinterher: Pro Tag würden nämlich nur 33 Wohnungen fertiggestellt. "Das ist eine erhebliche Divergenz", so Piasecki. Grund für dieses Dilemma ist die "prosperierende Region". Täglich begrüße man hier 59 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte.

Wie sich das auswirkt, machte Gastgeber Stefan Kolbe, der Bürgermeister von Karlsfeld, deutlich. Das Wachstum sei enorm, klagte er. Inzwischen habe die Gemeinde 22 000 Einwohner, obwohl sie flächenmäßig die kleinste im Landkreis Dachau sei. Viele junge Familien zögen nach Karlsfeld und so sei die gerade eröffnete neue Grundschule bereits "proppevoll", obwohl sie sechszügig ist. Die zweite Grundschule, die ebenfalls gerade neu gebaut wird, ist genauso groß. "Ich befürchte, dass wir nächstes Jahr vielleicht eine siebte erste Klasse bekommen", sagte Kolbe. Der enorme Zuzug schlage sich auch auf die Kinderbetreuung nieder: "In 13 Jahren haben wir 750 neue Kinderbetreuungsplätze geschaffen." Doch die Gemeinde erhalte nicht genug finanziellen Ausgleich. "Wir stehen mit dem Rücken zur Wand", sagte er. Die Haushaltsberatungen seien schwierig. "Wir müssen in allen Bereichen die Gebührenschraube anziehen." Andernfalls könne die Gemeinde die nötigen Sanierungen nicht stemmen. Angesichts dieser Situation appellierte Kolbe an die anderen Bürgermeister und Landräte: "Wir müssen gemeinsam Lösungen anstoßen, damit sich die Situation verbessert." Für die Kommunen sei es wichtig, trotz des enormen Siedlungsdrucks, nicht zu viel Wohnungsbau zuzulassen, schon wegen der Folgekosten.

Die Zukunft sieht laut Piasecki aber kaum besser aus: Zwar wird sich ihrer Ansicht nach das Wachstum verlangsamen, "aber ein kleiner Reisebus wird immer noch jeden Tag nach München kommen". 30 Einwohner jeden Tag in den kommenden 20 Jahren. Das macht immer noch jeden Tag weitere 16 Haushalte. Statt 59 Beschäftigte werden immer noch 35 Beschäftigte pro Tag bis 2039 neu ankommen. Und weil nicht alle in München wohnen können, sondern viele im Umland leben werden, hat sie auch einen Blick auf die Pendler geworfen. Ein Thema, das viele Kommunen rund um München belastet. Bürgermeister Stefan Kolbe etwa berichtete vom Dauerstau jeden Morgen von 7 bis 9 Uhr auf der B 304, wenn alle in die Stadt wollen - 45 000 Fahrzeuge zu den Spitzenzeiten. Piasecki hat die Pendlerströme zwischen dem Landkreis und der Stadt München im vergangenen Jahr betrachtet: 68 800 Menschen fahren täglich aus dem Landkreis München in die Stadt und zugleich sind 81 700 in umgekehrter Richtung unterwegs. Schon deshalb sei es im Sinne der Nachhaltigkeit wichtig, künftig die Themen Arbeit und Wohnen zu verknüpfen.

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Das Wachstum der Region spiegelt sich auch im PV wieder: "2021 und 2020 waren seit zehn Jahren die besten Jahre", erklärte Geschäftsführer Christian Breu. Sechs neue Mitglieder sind am Dienstag beigetreten: Feldafing, Frauenneuharting, Valley, Wang, Aresing und Markt Burgheim. Insgesamt besteht der PV nun aus 165 Städten und Gemeinden, acht Landkreisen und München. Außerdem hat der Verband vier neue Mitarbeiter in diesem Jahr eingestellt und auch im nächsten sollen weitere dazukommen. "Die Leistungen sollen kontinuierlich ausgebaut werden", so Breu. Viele Gemeinden hätten strategische Überlegungen vorgenommen, sich gefragt: "Wo wollen wir hin?" Breu lobte dies als "guten Weg", um wesentliche Fragen beantworten zu können und sich nicht "nur so durchzuwurschteln". "Wir haben einen Auftragsbestand von drei Millionen", so Breu.

"Die große Stellschraube für den Klimawandel ist planen und bauen", bemerkte der SZ-Journalist Gerhard Matzig in seinem anschließenden Vortrag, in dem er die Frage aufwarf: "Wie werden wir 2050 wohnen?" Er bekannte jedoch gleich zu Beginn, dass er keine Antwort darauf wisse, er könne nur Perspektiven entwickeln. Elf Thesen stellte er auf. Die Wohnfläche hat sich im Laufe der Jahrzehnte vergrößert auf durchschnittlich 50 Quadratmeter pro Person, so Matzig. In Afrika seien es gerade mal sechs. Als Gegenbewegung gebe es nun das Tiny-House-Movement. Homeoffice und die Digitalisierung des ländlichen Raums böten zudem gute Möglichkeiten, um dem Druck auf die Innenstädte entgegenzuwirken - aber auch den Pendlerströmen dorthin, erklärte der Journalist. Man könne auch urbane Dörfer entwickeln, in denen Leute in einer dörflichen Gemeinschaft mit Coworking-Places, einem Bahnhof und sozialen Einrichtungen auf bis zu 80 Quadratmetern pro Familie leben. So hätte man keine Schlafstädte mehr. Für dieses Problem hatte Matzig viele Ideen. Doch im PV gibt es auch Orte wie Frauenneuharting im Landkreis Ebersberg. Der 1500-Einwohner-Ort ist sehr ländlich. Auch für diesen Raum bräuchte es adäquate Lösungen. Das Spannungsfeld ist groß.

© SZ vom 11.11.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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