Aktivismus in Dachau:"Wir wollen endlich etwas verändern"

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Die rund 20 Mitglieder der "Seebrücke Dachau" kommen aus ganz unterschiedlichen Bereichen. Sie alle eint jedoch, dass sie geflüchteten Menschen helfen und im Landkreis ein Zuhause bieten wollen. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Die Bewegung "Seebrücke" hat nun auch einen Ableger in Dachau. Insgesamt 20 Menschen wollen den Landkreis zum "sicheren Hafen" für Geflüchtete machen und fordern, mehr Menschen aufzunehmen. Landrat Löwl lehnt das ab

Von Eva Waltl, Dachau

Noch ist der Aktionismus der Mitglieder der jüngst gegründeten Dachauer Lokalgruppe der Bewegung "Seebrücke" zwangsweise ausgebremst. Neue Coronaregeln erlauben noch immer keine großen Menschenansammlungen und aufsehenerregende Aktionen. Dem Tatendrang der Mitglieder tut dies aber keinen Abbruch. "Wir wollen endlich etwas verändern", sagt Martin Modlinger, Sprecher der "Seebrücke Dachau".

Vor etwa zwei Wochen hat sich die Gruppe in Dachau gegründet. Sie engagiert sich für sichere Fluchtwege, die Entkriminalisierung der Seenotrettung und eine menschenwürdige Aufnahme von geflüchteten Menschen. Die Mitglieder sind optimistisch, ihre Forderungen im Landkreis anzubringen. Immerhin gibt es bereits 267 bestehende sogenannte "sichere Häfen" deutschlandweit, 26 sind es alleine in Bayern. Nun geht die Seebrücke auch in Dachau vor Anker. Landrat Stefan Löwl (CSU) zeigt sich angesichts der Forderungen noch zurückhaltend, unterstützt aber den Einsatz der Mitglieder der Organisation.

Das erste Treffen der Gruppe musste virtuell stattfinden. Etwa 20 Menschen aus unterschiedlichsten Bereichen haben sich zusammengefunden. Modlinger freut das. Die Vielfalt der sich engagierenden Menschen sei "ein gutes Zeichen" für die Gründung. Die Mitglieder stammen aus Asylhelferkreisen, verschiedenen Parteien, dem Runden Tisch gegen Rassismus und auch aus dem kirchlichen Kontext. Ebenso verschieden wie die Hintergründe, sind auch die Beweggründe der Mitglieder, sich für die Seebrückenbewegung zu engagieren. Sei es der christliche Glaube, der die Menschen zu Nächstenliebe verpflichtet oder der Schutz der Grundrechte, die Motivation der Freiwilligen variiert. "Was uns aber alle verbindet, ist der Wille, Menschen zu helfen", sagt Modlinger.

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Die erste Aktion, eine Sammelaktion in Dachau für geflüchtete Menschen in den griechischen Flüchtlingslagern auf Lesbos, war bereits "erfolgreich", erzählt Modlinger. Winterkleidung, Hygieneartikel, trockene Nahrungsmittel wurden gesammelt. Und auch wenn sich Modlinger mit dem Ergebnis zufrieden zeigt, findet er es doch als "Skandal, dass diese Hilfe überhaupt notwendig ist." Ab Januar plant die Seebrücke Dachau weitere regelmäßige Aktionen. Die Coronamaßnahmen will man dabei beachten. Auch wenn dies bedeutet, vorläufig noch viel in den virtuellen Raum zu verschieben, aber "besser so, als gar nicht", sagt Modlinger.

Warum gerade der Landkreis Dachau ein Ort ist, von dem sich die Organisatoren großen Zuspruch erhoffen? Modlinger begründet das mit der Dachauer Geschichte: "Wir finden Wege, uns für Menschenrechte und Menschen in Not einzusetzen, weil wir wissen, was es bedeutet, wenn Menschen in Unrechtssystemen leiden", sagt er. Es sei endlich an der Zeit, so Modlinger, dass sich der Landkreis mehr für geflüchtete Menschen einsetze, konkrete Hilfen anbiete und das "Wegschieben der Zuständigkeit" endlich ende. Die Forderungen der Seebrücke Dachau formuliert er klar: Sich für sichere Fluchtwege engagieren, zusätzlich zur bayernweiten Verteilungsquote mehr Aufnahmeplätze für Flüchtlinge schaffen und letztendlich Sorge zu tragen, dass kein Mensch auf dem Weg in eine sichere Zukunft sein Leben verliert. "Dafür muss auch der Landkreis einstehen und handeln", sagt Modlinger.

Inwiefern die neu gegründete Bewegung bei ihren Forderungen auf Unterstützung vom Landkreis hoffen kann, ist derzeit unklar. Landrat Stefan Löwl (CSU) jedenfalls fürchtet, die Problematik könne den Landkreis überlasten: Die Flüchtlingsdebatte sei ein "sehr komplexes Thema, das die Perspektive des Landkreises und der Gemeinden überfordert", sagt er. Man könne nicht unbeschränkt Menschen aufnehmen, denn der Landkreis würde dann schnell an seine Ressourcengrenze geraten, beispielsweise beim Thema Wohnraum oder Kinderbetreuung, so der Landrat. Gerade der begrenzte Wohnraum sei ein großes Problem, ergänzt er. Ein Problem, das dazu führt, dass ein Großteil bereits anerkannter Menschen weiterhin in Asylunterkünften leben, weil sie schlicht keine Wohnung finden.

Für Löwl stellt bei der Flüchtlingsthematik die Aufnahme von Menschen den "einfachen Teil" dar. Die wahre "Herkulesaufgabe" bestehe darin, die Menschen dauerhaft in ein neues Gesellschaftssystem zu integrieren. Und dies könne keineswegs ausschließlich die Politik übernehmen, vielmehr handle es sich dabei um eine gesellschaftliche Aufgabe. Die Forderung der Seebrücke Dachau, mehr Menschen aufzunehmen, als es der Verteilungsschlüssel vorsieht, lehnt Löwl klar ab: "Wir nehmen gerne Menschen laut Verteilungsquote auf, mehr ist aber aufgrund des Ressourcenproblems im Landkreis unverantwortlich." Außerdem, so betont er, herrsche in Dachau bereits ein großes Engagement, man erziele Erfolge in der Aufnahme und Integration von Geflüchteten und seit "vielen Jahren prägen geflüchtete Menschen den Landkreis."

Die Mitglieder der Seebrücke Dachau werden also noch Überzeugungsarbeit leisten müssen. Darüber ist sich auch Modlinger im Klaren. "Wir müssen der Kommunalpolitik neue Wege aufzeigen, wie es gehen kann", sagt er. Dann brauche es "nur noch ein bisschen Mut, sich nicht von rechtem Gebrüll einschüchtern zu lassen". Für ihn gibt es keine größere Sinnhaftigkeit, als anderen Menschen zu helfen.

© SZ vom 28.12.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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