Mit dem Bus ins Wohnzimmer gerast:Nun sagen Fachleute vor Gericht aus

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Ein 33-Jähriger ist wegen versuchten Mordes angeklagt. (Foto: Patrick Seeger/dpa)

Ein 33-Jähriger fährt mit einem Kleinbus über die Veranda ins Wohnzimmer seiner früheren Freundin. Sie und ihr neuer Partner hätten sterben können. Vor Gericht beschreiben die Experten den Täter als bisher unauffällig.

Von Thomas Radlmaier, München/Markt Indersdorf

Als ein 33-Jähriger an einem Sommerabend vergangenen Jahres aus Wut mit einem Kleinbus in das Haus seiner früheren Freundin rast, ist er bei vollem Bewusstsein. Er hat weder Drogen genommen, noch hat er sich zuvor mit Alkohol volllaufen lassen. Eine Medizinerin wird später einen Wert von maximal 0,69 Promille schätzen. Der 33-Jährige umkurvt mit dem 1,8 Tonnen schweren und 150 PS starken VW T4 einen Betonpfeiler, fährt einen Feldweg entlang und lenkt über eine Wiese auf die Veranda zu. Schließlich kracht der Bus mit einer Geschwindigkeit von mindestens 25 Kilometern pro Stunde in das Wohnzimmer.

Zum Glück befinden sich 30-Jährige und ihr neuer Freund, 33 Jahre alt, in einem anderen Teil des Hauses. Sonst hätte es womöglich Tote gegeben.

Der Angeklagte raste mit einem VW-Bus in das Haus seiner Ex in Markt Inderdsdorf

Was sich an diesem Abend des 14. Juni 2018 an einem Haus in Markt Indersdorf abspielte, das haben mehrere Sachverständige am Dienstag in der Verhandlung vor der Schwurgerichtskammer am Landgericht München II aufgrund ihrer Erkenntnisse versucht, genau zu rekonstruieren. Dort muss sich der Angeklagte wegen zweifachen versuchten Mordes verantworten. Am Dienstagnachmittag trägt eine Psychiaterin ihre Erkenntnisse zum Angeklagten vor. Dieser sitzt wie während der ganzen Verhandlung in gebückter Haltung auf seinem Stuhl, schaut reglos auf seine Hände, die er ineinander reibt. Seiner früheren Freundin und ihrem neuen Partner, welche auf der Zuhörerbank Platz genommen haben, würdigt er keines Blickes.

Auch der Psychiaterin hat er seine Gefühle und Motive für die Tat an jenem Abend größtenteils verschwiegen, weshalb die Expertin von einer "sehr schmalen Infobasis" spricht. Der Angeklagte zeige keine Auffälligkeiten, sagt die Fachärztin. Er sei bisher weder in psychiatrischer Behandlung gewesen, noch habe er eine Persönlichkeitsstörung. Auch geht sie davon aus, dass der Mann bei vollem Bewusstsein gewesen sei, als er mit dem Kleinbus in das Haus raste. Andernfalls hätte er das Fahrzeug nicht so gut steuern können. Gleichwohl gebe es eine "chronische Affektspannung". Das lasse sich aus Sprachnachrichten herauslesen, die der Angeklagte nach der Trennung seiner Freundin schrieb. Er habe die Hoffnung gehabt, die Beziehung retten zu können. Als die 30-Jährige aber ablehnte, sei es zu Streitereien und Bedrohungen gekommen. "Er hat sie zunehmend unter Druck gesetzt." Die Geschädigte hat während eines früheren Verhandlungstags angegeben, dass er sie gestalkt habe. Einmal nach der Tat kontaktierte sie einen Kriminalbeamten, weil sie draußen Geräusche gehört hatte und vermutete, der 33-Jährige sei wieder auf freiem Fuß.

Mit etwa 25 Stundenkilometer krachte der Kleinbus in das Haus in Markt Indersdorf

Ein von der Polizei beauftragter Ingenieur hat den genauen Tathergang rekonstruiert. Demnach habe der Angeklagte vom Feldweg aus und bei Dämmerung das Vordach der Veranda gut sehen können. Er habe den Kleinbus beschleunigt, vom ersten in den zweiten und mutmaßlich in den dritten Gang geschalten. Der Ingenieur hat errechnet, dass der Angeklagte mit dem Kleinbus mit etwa 50 Kilometer pro Stunde die vier Meter breite und drei Meter hohe Hecke durchbrach, die das Grundstück umrandet. Anschließend hätte der Angeklagte den Bus nicht mehr kontrollieren können, so der Experte.

Mit knapp vierzig Stundenkilometer soll der Bus laut Berechnung gegen einen Pfosten des Verandadachs gekracht sein. Als er mit dem Haus kollidierte, war er demnach noch etwa 25 Stundenkilometer schnell. Der VW blieb zwei Meter weit im Wohnzimmer stecken. Dass der Angeklagte zu irgendeinem Zeitpunkt gebremst habe, habe er nicht feststellen können, so der Fachmann. Wie eine Rechtsmedizinerin erklärte, hätten die 30-Jährige und ihr neuer Freund tot sein können, wenn sie sich im Wohnzimmer aufgehalten hätten. "Auch Unfälle mit geringer Geschwindigkeit können zum Tod führen", sagte sie. Ein Drogentest sei bei dem Angeklagten negativ ausgefallen. Zum Tatzeitpunkt hatte er laut der Medizinerin höchstens 0,69 Promille Alkohol im Blut.

An dem Sommerabend stieg der 33-Jährige aus dem Bus und folgte der 30-Jährigen, die draußen vor dem Haus flüchten wollte. Er drückte sie zu Boden, bis schließlich der neue Freund der Frau den Angreifer in den Schwitzkasten nahm und überwältige. Die Rechtsmedizinerin verlas in der Verhandlung den Befund des Krankenhauses, in dem das Opfer behandelt wurde. Es hatte Hämatome an mehren Stellen des Körpers. Ihr Freund trug vom Kampf mehrere oberflächliche Abschürfungen davon. Der Prozess neigt sich dem Ende zu. Die Staatsanwaltschaft und die Nebenklage sowie die Verteidigung wollen am nächsten Verhandlungstag, am Freitag, ihre Plädoyers halten. Es darf mit einem Abschluss des Verfahrens und damit einem Urteil des Gerichts gerechnet werden.

© SZ vom 08.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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