Kundgebung:"Die Demokratie verabschiedet sich schleichend"

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Laut Polizei versammeln sich am Sonntagnachmittag rund 800 Menschen auf dem Indersdorfer Marktplatz, um für die Demokratie einzutreten. (Foto: Toni Heigl)

Rund 800 Menschen versammeln sich am Sonntag auf dem Indersdorfer Marktplatz, um ein Zeichen gegen Rechtsextremismus zu setzen. Redner Norbert Göttler kritisiert, dass Traditionsvereine fehlen.

Von Alexandra Vettori, Markt Indersdorf

Als Hubertus Schulz vom Demokratiebündnis Dachauer Land um 14 Uhr auf der Bühne steht und über die Menschenmenge auf dem Indersdorfer Marktplatz schaut, lächelt er: "Mir fällt ein Stein von Herzen", sagt der Hauptorganisator der Kundgebung, es sei ein "faszinierender Anblick". Auch Norbert Göttler, ehemaliger Bezirksheimatpfleger und Publizist aus Hebertshausen, gesteht, sehr gespannt auf die Teilnehmerzahl gewesen zu sein. Er wisse aus der Geschichte von keiner so großen Demonstration in Markt Indersdorf, "vielleicht 1848 bei der Erhöhung des Bierpreises", scherzt er.

Diesmal geht es aber um ein ernstes Thema. Die Teilnehmenden halten Plakate in die Höhe: "Misch dich ein, sag nein", "Hetzer verpisst euch" oder "Lieber solidarisch als solide arisch". Da sind sie wieder, die witzigen, frechen Pappschilder, die für Demokratie und gegen Rechtsextremismus Stellung beziehen. Zuletzt waren sie Ende Januar bei der Demonstration in Dachau zu sehen, jetzt in Markt Indersdorf. Keiner wusste, wie viele dem Aufruf des Demokratiebündnisses folgen würden, doch am Sonntagnachmittag wird klar, es sind viele. So viele, dass sie nicht nur den Platz vor dem Rathaus, sondern auch die gegenüberliegende Straßenseite bevölkern, Alte, Junge, Kinder, Jugendliche. 800 Teilnehmende schätzt die Polizei.

"Es fehlen die Traditionsvereine"

Dennoch übt Norbert Göttler auch Kritik. Ja, die Unterstützerliste aus Parteien, Gruppen, Vereinen und Schulen sei eindrucksvoll lang. Aber: "Es fehlen die Traditionsvereine." Viele seien angesprochen worden, "und verstecken sich hinter Satzungen. Das ist armselig", ruft er und lauter Applaus erhebt sich: "Keine Satzung verbietet es, für ein würdiges Zusammenleben einzustehen."

Ebenfalls ans Rednerpult tritt Anna Andlauer, sie ist Historikerin und war treibende Kraft bei der Entstehung des Markt Indersdorfer "Weg des Erinnerns" für mindestens 35 durch Vernachlässigung zu Tode gekommene Babys osteuropäischer Zwangsarbeiterinnen in der NS-Zeit. Andlauer warnt, nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen EU "wird die Demokratie schwach geredet und zersetzt". Die Geschichte aber lehre: "Demokratie verabschiedet sich nicht mit einem Knall, sondern schleichend, aber schnell."

Viele Teilnehmende bringen selbstgemalte Plakate mit, um für die Demokratie einzustehen. (Foto: Toni Heigl)
Hubertus Schulz hat die Kundgebung organisiert. (Foto: Toni Heigl)
Markus Holl, Anna Andlauer, Osama Kezzo und Norbert Göttler sprechen bei der Kundgebung. (Foto: Toni Heigl)
Es braucht nicht immer viele Worte, um Haltung zu zeigen. (Foto: Toni Heigl)
Und ein Plakat muss auch kein Kunstwerk sein. (Foto: Toni Heigl)
Sogar die Figur auf dem Indersdorfer Marktplatz wird bei der Kundgebung einbezogen. (Foto: Toni Heigl)

Auch Pfarrer Josef Mayer, der Geistliche Direktor der Katholischen Landvolkshochschule Petersberg spricht. Er zitiert den früheren Bundespräsidenten Joachim Gauck, wonach die Demokratie die beste Regierungsform ist, die wir kennen "und weltweit Sehnsuchts-Form der Unterdrückten". Markus Holl, der Leiter des Franziskuswerks Schönbrunn, beginnt seine Rede mit einer Zahl: 546. So viele Menschen sind zwischen 1940 und 1945 von Schönbrunn aus deportiert und durch das Euthanasieprogramm der Nazis ermordet worden. Die Saat aber sei Jahrzehnte früher gelegt worden, durch Klassifizierungen wie fleißig-faul, normal-irre, nützlich-nutzlos. "Welche Saat wird heute ausgebracht?", fragt Holl.

Inmitten all der Menschen fällt eine besonders gut gelaunte Gruppe auf. Sie kommt aus dem Franziskuswerk Schönbrunn, und ist hier, wie eine der jungen Frauen sagt, "damit alles so bleibt, wie es ist, und alle so wie jetzt leben können". Man habe vor der Kundgebung für Demokratie darüber gesprochen, "einfach und heruntergebrochen", erklärt Heilerziehungspflegerin Julia Winter.

Ein Stück weiter steht eine Gruppe des Sozialverbandes VdK. Der stellvertretende Kreisvorsitzende Bernhard Hartmann sagt: "Für uns ist das eine wichtige Sache." Albrecht Ditzel aus Schwabhausen will sein "Vertrauen in die Demokratie manifestieren. Ich bin gegen Extremisten und Populisten, sowohl linke wie rechte". Neben den "Omas gegen Rechts" sind auch zwei "Omas für bunt" dabei. Eine ist Corina Romanacci-Billig, sie war früher Grundschulleiterin in Markt Indersdorf und sagt: "Ich habe das Motto geändert", erzählt sie, "jetzt klingt es positiver".

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