Erinnerungskultur:Reise an einen Ort des Leids

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Häftlinge im KZ-Außenlager Allach. (Foto: Repro: Florian Peljak)

Die KZ-Gedenkstätte Dachau präsentiert den Katalog zu ihrer Ausstellung "Zeitspuren" über den ehemaligen KZ-Außenlagerkomplex Allach. Dort mussten Tausende Häftlinge für BMW Zwangsarbeit leisten.

Von Helmut Zeller, Dachau

Ein Löffel, ein Stück verrosteter Stacheldraht, eine blaue Email-Schüssel, eine Zahnbürste vermutlich französischer oder belgischer Herkunft und eine Häftlingsplakette mit der Nummer 70885 - fünf Funde archäologischer Grabungen auf dem Areal des KZ-Außenlagerkomplexes Allach, sechs Kilometer Luftlinie vom Stammlager Dachau entfernt. In den Jahren 2016 und 2017 hat das Landesamt für Denkmalpflege bei seinen Grabungen mehr als 1000 Objekte in einem Teilbereich des Lagerkomplexes, dem Lager Karlsfeld der Organisation Todt (OT) geborgen; die Relikte stammen aus der Nazizeit und der Nachnutzung des Geländes durch die US-Armee und verschiedener Behörden. Die Blechmarke mit der Nummer 70885 trug Samuel Lilienfeld aus Ungarn, der am 18. Juni 1944 von Auschwitz in das OT-Lager deportiert worden war, einer von tausenden verschleppten Juden.

Archäologische Funde im Zentrum

100 der Funde standen im Zentrum der Ausstellung "Zeitspuren. Der KZ-Außenlagerkomplex Allach", die von 2020 bis 2022 in der KZ-Gedenkstätte Dachau zu sehen war. Jetzt wurde der Katalog zu der Ausstellung veröffentlicht, in einer deutschen und englischen Fassung. Der Band bietet auch vertiefende Aufsätze der Experten, die unter der Leitung der Historikerin Gabriele Hammermann, Leiterin der KZ-Gedenkstätte, an dem interdisziplinären Ausstellungsprojekt beteiligt waren. Zeitzeugen des Konzentrationslagers kommen an vielen Stellen zu Wort. "Ihnen und den vielen Opfern des Außenlagerkomplexes Allach ist die Ausstellung und der Begleitband gewidmet", erklärt Hammermann in einer Pressemitteilung.

Motoren für die Rüstungsindustrie

Im Katalog wird wie in der Ausstellung die Bedeutung des Allacher Standorts im Netz der 140 Dachauer Außenlager deutlich. Bereits 1936 errichtete die Firma BMW ein Werk an der Dachauer Straße, östlich davon entstand später der KZ-Lagerkomplex. 1942 wurden erstmals Dachau-Häftlinge zur Zwangsarbeit für die Rüstungsindustrie eingesetzt. Sie montierten Zylinderköpfe für Flugzeuge und bauten Hallen und einen Bunker für die Produktion. 1943/44 wurde das Lager unter anderem um das Teillager OT erweitert, einer staatlichen Organisation, die für den Bau militärischer Anlagen zuständig war. Vor allem für jüdische KZ-Häftlinge war das Lager ein Ort des Leids. Die Objekte zeugen vom Lebensalltag der Häftlinge, den Gewalterfahrungen und der Befreiung vor 79 Jahren. Ergänzt wurden die Fundstücke durch die historische Rahmenerzählung mit Fotografien, Plänen, originalen Filmaufnahmen sowie Zeitzeugenberichten.

"KZ-Leichen sind kein schöner Anblick"

Der Shoah-Überlebende Max Mannheimer, der 2016 im Alter von 96 Jahren verstorben ist, war nach Theresienstadt, Auschwitz und Warschau auch Häftling in Allach. Mannheimer war jahrelang Vorsitzender der Lagergemeinschaft Dachau und Vizepräsident des Internationalen Dachau-Komitees (CID). In seinem "Späten Tagebuch" schrieb er: "Zusammen mit einem sehr alten Häftling ... transportiere ich mit einem Muli Leichen von Karlsfeld nach Dachau. Ins Hauptlager. Zur Verbrennung ... Ich habe darauf zu achten, dass die Toten zugedeckt bleiben. Ein plötzlicher Windstoß hebt die Decken ab. Die Vorbeigehenden, hauptsächlich Frauen, machen erschrockene Gesichter. Leichen aus dem KZ sind kein schöner Anblick."

Die Ausstellung zum Projekt "Zeitspuren" an der KZ-Gedenkstätte Dachau von 2020. (Foto: Toni Heigl)
Die Zeichnung gibt einen Eindruck von der Dimension des KZ-Außenlagers Allach mit seinen zahlreichen Baracken. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Ehemalige Zwangsarbeiterbaracken des Dachauer KZ-Außenlagers Allach I stehen heute noch in der Siedlung Ludwigsfeld. (Foto: Florian Peljak)

Die KZ-Gedenkstätte präsentiert am Dienstag, 20. Februar, um 19 Uhr im Besucherzentrum den neu erschienenen Katalog. Der Eintritt ist frei, um Anmeldung auf www.kz-gedenkstaette-dachau.de wird gebeten. Gedenkstättenleiterin Hammermann führt in die Thematik ein. Grußworte sprechen Karl Freller, Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten, und der Münchner Kulturreferent Anton Biebl.

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