SZ-Kulturpreis Tassilo:"Ein absoluter Glücksfall"

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Bescheiden wie er ist, betont der KVD-Vorsitzende Johannes Karl stets, dass man nur in der Gruppe etwas bewegen könne. Für sein Team indes steht fest: Es ist vor allem Karl zu verdanken, dass die Dachauer Kulturlandschaft wieder aufblüht. Deshalb hat es ihn für den SZ-Kulturpreis Tassilo nominiert. (Foto: Toni Heigl)

Kunst auf der Straße, im Hofgarten oder in der alten Papierfabrik: Als Vorsitzender hat Johannes Karl die altehrwürdige Künstlervereinigung Dachau (KVD) nicht nur verjüngt und entstaubt, sondern wieder stärker in das öffentliche Leben der Stadt integriert. Über einen, der viel im Stillen tut, damit andere glänzen können.

Von Gregor Schiegl, Dachau

Vom Dachauer Schlossberg aus hat man eine tolle Aussicht auf die Landeshauptstadt München, man kann mit bloßem Auge die Frauenkirche sehen, den Olympiaturm und den O₂-Tower, bei Föhn reicht der Blick sogar bis in die Alpen. Wer mehr Details sehen will, kann durch eines der Fernrohre schauen, das die Bayerische Schlösser- und Seenverwaltung zu diesem Zweck im Hofgarten aufgestellt hat. Genau dies tat ein Junge an einem Sommertag und das, was er sah, musste er gleich seinem kleinen Bruder mitteilen. "Ich seh' das Meer!", rief er aufgeregt. "Ich seh' das Meer!"

Johannes Karl saß ein paar Schritte vom Geschehen entfernt auf einer Bank und amüsierte sich: Er wusste, dass der Junge weder schwindelte noch verrückt geworden war. Im Inneren des präparierten Fernrohrs lief ein Film in Dauerschleife, sein "Seestück": Hinter dem Schlossberg sah man einen Sandstrand mit sacht ausrollenden Wellen, an dem Leute in Badekleidung flanierten. Es handelte sich um seinen Beitrag für die Jubiläumsausstellung der Künstlervereinigung Dachau (KVD). 2019 war das, aber in Dachau erinnern sich auch vier Jahre später viele noch sehr lebhaft daran.

Johannes Karl ist aber nicht nur ein Künstler mit Visionen, seit 2013 ist er auch Vorsitzender der Künstlervereinigung und hat zu dem aufsehenerregenden Kunst-Event unter freiem Himmel mehr beigesteuert als nur ein äußerst originelles Exponat. "Man tritt als zwei Wesen auf", sagt der 40-Jährige, "als öffentlicher Veranstalter und als Künstler".

"Man könnte das gar nicht alleine machen."

Für den Tassilo-Preis der Süddeutschen Zeitung nominiert ist er nun als KVD-Vorsitzender, der Vorschlag kam aus den eigenen Reihen. "Johannes' Engagement ist es zu verdanken, dass in den letzten Jahren viele junge Künstlerinnen und Künstler für eine Mitgliedschaft gewonnen werden konnten - um so auch eine Zukunft für den Verein zu schaffen", erklärt seine Stellvertreterin im Vorstand, Margot Krottenthaler. "Er ist nicht nur für die KVD ein absoluter Glücksfall, sondern bereichert mit seinem Engagement die Kulturlandschaft und den Diskurs in Dachau in einem preiswürdigen Maß."

2013 übernahm Johannes Karl den KVD-Vorsitz von Monika Siebmanns. Sie hatte den Laden bis dahin beisammengehalten - was wahrlich keine geringe Leistung ist, denn die Fliehkräfte waren groß. Die Basis war bereits in Würde ergraut, die meisten hatten sich aus der aktiven Arbeit zurückgezogen. Was sie nicht daran hinderte, sich gegenseitig mit Eifersüchteleien das Leben schwerzumachen. Schon mehrfach in ihrer Geschichte stand die KVD vor der Frage, ob man sich nicht besser auflösen sollte.

Heute, im Jahr 2023, kann man sich das kaum mehr vorstellen, und Johannes Karl tut gerne so, als hätte diese Entwicklung gar nichts mit ihm zu tun. Er habe einfach ein "tolles Team", das ihn im Vorstand unterstütze, sagt er, namentlich Margot Krottenthaler, Florian Marschall, Maria Detloff und Ramón Grote. "Man könnte das gar nicht alleine machen." Aber dass es wieder ein Miteinander gibt, ist auch und vor allem ihm zuzuschreiben und seiner integrierenden, pragmatischen Art.

Johannes Karl beschert den Hofgartenbesuchern 2019 bei der KVD-Jubiläumsausstellung "Raus" sonnige Aussichten mit seinem "Seestück". (Foto: Toni Heigl)
Löste eine aufgeregte Debatte aus: Christian Engelmanns 40 Meter lange Skisprungschanze mit dem Titel "Haltungsnote" am Dachauer Rathausberg. (Foto: Toni Heigl)
Jette Hampes Installation "Die Bienen sind fort" im industriellen Ambiente der alten Verwaltungsgebäude der MD-Papierfabrik. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Der jüngste Streich der KVD: In sieben Schaufenstern verwandeln Künstlerinnen und Künstler mit ihren Videoinstallationen den städtischen Raum. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Manchmal wird ihm das sogar angekreidet: Dann heißt es, dass er sich mehr mit der Stadt Dachau anlegen müsste. Etwa wenn sie anordnet, aus Gründen des Brandschutzes Holzarbeiten aus der KVD-Galerie zu entfernen. Macht er aber nicht. Johannes Karl zieht die Verständigung dem Theaterdonner vor, der große Auftritt liegt ihm nicht. Zu Vernissagen erscheint er im T-Shirt oder mit Strickpulli, Begrüßungsreden dauern bei ihm selten länger als 30 Sekunden. Karl schwafelt nicht. Er macht.

"Die KVD muss so etwas sein wie ein Möglichkeitsforum."

Auch bei Ausstellungen kehrt er nicht den großen Vorsitzenden heraus. Wenn es um die Kunst geht, lässt er den Mitgliedern freie Hand, jedenfalls soweit dies technisch und organisatorisch geht. Er sieht sich nicht als künstlerischer Leiter oder Programmchef. "Die KVD muss so etwas sein wie ein Möglichkeitsforum", erklärt Johannes Karl seine Auffassung. "Die Künstler können selbst Themen groß machen, die ihnen wichtig sind." Das macht viel aus von der neuen Strahlkraft der KVD. Aber längst nicht alles.

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Verändert hat der neue Vorsitzende den Rahmen und die Formate, in denen die Künstler ihre Arbeiten präsentieren. Die traditionelle Schlossausstellung der KVD wurde 2015 aus dem hochherrschaftlichen Renaissance-Saal des Dachauer Schlosses versuchshalber in die leergeräumten Verwaltungsgebäude der alten MD-Papierfabrik umgesiedelt: kahler Industrie-Look statt Holzkassettendecke. Unter Johannes Karl präsentiert sich die Kunst in Dachau mutiger, moderner und nahbarer, und die KVD brachte sie so Leuten näher, die nie in eine Kunstausstellung gehen würden.

So war es auch 2019 mit der Freiluftausstellung "Raus" zum 100-jährigen Bestehen der KVD. Die Künstler bespielten das gesamte Stadtgebiet, der Blick der Dachauer auf ihre Stadt veränderte sich - und nicht nur für die, die durch Karls Zauber-Fernrohr schauten. Auf Straßen und Plätzen sahen sich die Leute im wahrsten Sinne des Wortes mit Kunst konfrontiert.

Kunst im öffentlichen Raum bedeutet ein Risiko - Johannes Karl geht es ein

"Viele fanden es spannend, auch weil es so große Dimensionen hatte", sagt der KVD-Chef heute. "Aber man darf nicht unterschätzen, wie viele Leute durch die Stadt laufen, die mit Kunst nichts anfangen können." Eine bemalte Keramik der Gastkünstlerin Luise Koch im Moorbadpark wurde zertrümmert. Man weiß bis heute nicht, ob es mutwillig geschehen ist oder ein Versehen war. Kunst im öffentlichen Raum bedeutet auch Risiko. Der KVD-Vorstand, allen voran Johannes Karl, ist immer wieder bereit, dieses Risiko einzugehen.

Bis vor wenigen Wochen flimmerten noch sieben Videoprojektionen von KVD-Künstlern in sieben Fenstern der Stadt. Die Idee zu dieser Freilichtausstellung im Winter, die zugleich "eine digitale Erweiterung unseres Stadtbildes" war, stammt - fast will man sagen natürlich - von Johannes Karl. Von ihm war dort eine Animation zu sehen, in der ein Mixed Team aus Figuren klassischer Gemälde Fußball spielt - mit einem Heiligenschein, der einem Wanderer vom Kopf gepurzelt ist. Den bekommt er am Ende übrigens wohlbehalten wieder zurück. So muss man sich ihn wohl vorstellen, den "Möglichkeitsraum", von dem Johannes Karl spricht.

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