Kunst der Erinnerung:Der Mahnmaler

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Zum 110. Geburtstag von Greta Fischer hat Heribert Spitzauer ein Portrait der jüdischen Sozialarbeiterin geschaffen, die sich in Indersdorf um Kinder von Holocaust-Opfern kümmerte. Mit seinen Arbeiten will der Dachauer Künstler die Erinnerung an die NS-Verbrechen wach halten

Von Thomas Radlmaier, Dachau

Heribert Spitzauer pflegt ein ganz besonderes persönliches Ritual: Wenn er in München ist, hockt er sich, "wann immer es geht", allein auf eine Bank auf dem Sankt-Jakobs-Platz mit Blick auf die Synagoge und das Kulturzentrum. Der 61-Jährige wartet auf den Schulschluss am Nachmittag, bis die jüdischen Kinder aus dem Gebäude kommen. Weder kennt er die Kinder, noch kennen sie ihn. Doch in diesen Momenten zeigt sich für Spitzauer das große Ganze: "Ich denke mir bei jedem Kind: Du hast ganz allein die Hitlerei besiegt." Allein die Existenz eines jeden jüdischen Kindes sei letztendlich ein Sieg über das Nazi-Regime, sagt er. Und kommt dann zum Grund, warum er das alles überhaupt erzählt: Greta Fischer habe jüdischen Kindern nach dem Krieg aus dem Schlamassel geholfen. "Dieses höchst private Ritual, das ist meine Verbindung zu Greta Fischer."

Ihr Porträt ist sein jüngstes Werk. Der Dachauer Maler zeigt es an einem Vormittag in seinem Atelier in der Pollnstraße. Wer sie war, wusste Heribert Spitzauer früher nur grob. Bis er Greta Fischer gemalt hat und sich näher mit ihr beschäftigte. Sie war eine Sozialarbeiterin im Kinderzentrum Indersdorf, das die Flüchtlingsorganisation der Vereinten Nationen nach dem Krieg im Kloster Indersdorf eingerichtet hatte. Greta Fischer kümmerte sich um traumatisierte Waisenkinder, deren Eltern von den Nazis in Konzentrations- und Zwangsarbeiterlagern ermordet worden waren. Sie gilt bis heute als "Mutter der Sozialarbeit". 1988 starb sie in Israel. Dort, genauer im Hadassah University Hospital in Jerusalem, wo Greta Fischer eine Sozialarbeitsabteilung aufbaute, soll Spitzauers Porträt künftig an der Wand hängen. Der Dachauer Maler überlässt es unentgeltlich dem Klinikum.

Eine Delegation aus Markt Indersdorf nimmt aus Anlass von Greta Fischers 110. Geburtstages am 19. Januar an einem Festakt im Hadassah-Krankenhaus teil. Die Gruppe bringt das Bild als Gastgeschenk mit. Die Idee, Greta Fischer zu porträtieren und das Bild dem Krankenhaus zu schenken, kam Spitzauer spontan vor ein paar Monaten im Gespräch mit seiner Ex-Frau, Viktoria Spitzauer. Sie ist die Rektorin der Greta-Fischer-Schule in Dachau und reist mit der Delegation nach Israel; sie hat auch das Porträt im Gepäck. Heribert Spitzauer ist ein gegenständlicher Maler, der sich künstlerisch intensiv mit dem Holocaust und dem Nationalsozialismus auseinandersetzt. Spitzauer, graue Haare, bayerischer Akzent, macht nach eigener Aussage die besten Knödel Oberbayerns, hockt an einem Tisch in seinem Atelier und bläst Zigarettenrauch in die Luft. Er redet wie einer, der grantelt und zugleich messerscharf philosophiert. Auf die Frage, warum er in seinen Werken dieses dunkelste Kapitel der Geschichte aufgreift, antwortet er: "Antisemitismus ist wie Herpes. Der ist da, obwohl man ihn nicht sieht - und dann bricht er wieder aus."

Spitzauer trägt seit den vergangenen Bundestagswahlen eine Kette mit Davidstern um den Hals. Er ist kein Jude, er hat nur große Sympathie für Israel und das Judentum. Er erzählt, dass ihn einmal eine Frau aus der "bürgerlichen Mittelschicht" darauf angesprochen und gefragt habe, ob das eine Provokation sein soll. "Ich bin heute noch aufgebracht wegen dieser Frage", sagt er. In solchen alltäglichen Situationen zeige sich, dass der Boden in Deutschland immer noch fruchtbar sei für Antisemitismus. Deswegen male er. Das große Ganze, es zeigt sich für Heribert Spitzauer im Kleinen, hier offenbaren sich die Zusammenhänge. Das Allgemeine im Besonderen. Das ist auch Kern seines künstlerischen Schaffens. Während sich Literaten Geschichten einfach ausdenken könnten, könne er nur etwas malen, was stimme, sagt er. Malen, was ist, und zwar mit allen Konsequenzen - so ließe sich das künstlerische Ethos des Malers Heribert Spitzauer vielleicht zusammenfassen. Und deshalb hat er sich auch als Dachauer Künstler in vielen seiner Werke mit dem Holocaust auseinandergesetzt. "Ich sehe überhaupt nicht ein, warum ich mich in der Stadt aufhalten soll und mich mit dem Wesentlichsten nicht beschäftigen soll." Das Wesentliche in Dachau, das ist für ihn die NS-Vergangenheit dieser Stadt.

Er hat viele Gemäldezyklen erschaffen. Seine Bilder sind oft sehr politisch. Sein bekanntestes Werk ist der "Epilog". Spitzauer zeigt darin Gladiolen in blutroter Farbe auf einem Hintergrund aus Dachauer Erde - die SS ließ im sogenannten "Kräutergarten", wo KZ-Häftlinge als Arbeitssklaven arbeiten mussten, Gladiolen anbauen. Den Blumenbildern stellt Spitzauer Gemälde von Opfern des Regimes zur Seite. Der Zyklus wurde in Dachau in den Neunzigern zweimal ausgestellt. Das Central Holocaust Memorial in Washington hat Spitzauers "Epilog" in seinen Kunstalmanach aufgenommen. Für sein Werk "Legat" hat er 14 Kinderporträts gemalt und stellt dabei jeweils zwei Kinder gegenüber. Ein Kind, das unter NS-Herrschaft ermordet wurde gegenüber einem lebenden Kind. Es sind ergreifende Werke, für die sich Spitzauer auch in Dachau immer wieder kritische Stimmen anhören musste. Er kommt damit zurecht. Für ihn geht es sowieso eher darum, mit seiner Kunst die Erinnerung an die Nazi-Verbrechen und deren Opfer am Leben zu halten. "Ich habe den Epilog und den Legat gemacht, weil uns die Zeitzeugen ausgehen. Wir müssen neue Formen der emotionalen Betroffenheit entwickeln", sagt er.

Wenn Spitzauer malt, gleicht das einer Entdeckungsreise. "Man lasst sich sehr ein auf Porträts." In seinem Atelier hängt ein Bild seines Vaters auf dem Sterbebett an der Wand. Als Vorlage für das Greta-Fischer-Bild hatte er nur ein Schwarz-Weiß-Foto. Das sei ein "bisserl wenig" gewesen, weshalb er schon ein wenig Sorge gehabt habe. Doch glücklicherweise habe er mal eine Freundin gehabt, die ähnlich ausgesehen habe wie Greta Fischer und auch Sozialarbeiterin gewesen sei. Er habe sich Greta Fischers "Seelenlandschaft" vorgestellt. Entstanden ist ein Bild aus Ölfarben auf Nessel. Es zeigt Greta Fischer in ihrer Uniform der UNRRA (United Nations Relief and Rehabilitation Administration) vor grünem Hintergrund. Spitzauer hofft, dass es den Menschen im Jerusalemer Krankenhaus gefallen wird.

© SZ vom 11.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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