Kultur in Dachau:Die große Harmonie

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Wenn Georg Arzberger nicht gerade an der Hochschule für Musik lehrt, ist er mit seiner Klarinette oft als Gastmusiker bei namhaften Orchestern im Einsatz. Entsprechend gut vernetzt ist der junge Musiker aus Dachau in der Klassik-Szene. (Foto: Karoline Wolf/oh)

Der Dachauer Klarinettist Georg Arzberger hebt das mehrtägige "Musikfest Blumenthal" aus der Taufe. Das Programm ist künstlerisch hochkarätig - aber nicht nur das: Es ist auch sozial und klimaneutral.

Von Gregor Schiegl, Dachau/Aichach

Man sollte meinen, dass Georg Arzberger schon genug um die Ohren hat. Der Klarinettist spielt regelmäßig als Gast in führenden Orchestern, etwa an der Semperoper in Dresden, bei den Hamburger Philharmonikern, im Symphonieorchester des SWR und dem Deutschen Symphonieorchester Berlin. Seit dem Sommersemester 2019 ist er zudem Professor für Klarinette an der Hochschule für Musik und Theater in München. Nun wartet der rührige Künstler aus Dachau mit einem neuen und in vielerlei Hinsicht ungewöhnlichen Veranstaltungsformat auf. Mit seinem eigens für diesen Zweck gegründeten gemeinnützigen Verein hat er das "Musikfest Blumenthal" auf die Beine gestellt, das in diesem Jahr zum ersten mal stattfindet. "Ich wollte ein Zeichen dafür setzen, wie wichtig die Kultur für die Gesellschaft ist", erklärt der Künstler.

Eigentlich ist es viel mehr als nur ein Zeichen, es ist ein Ausrufezeichen. Die Pandemie, in denen Konzertsäle über Monate hinweg geschlossen bleiben mussten, hat es noch einmal deutlich gezeigt: Konzerte sind nicht nur Lebenselixier für Klassik-Afficionados, sie haben darüber hinaus eine wichtige soziale Funktion. Hier begegnen sich Menschen, sie kommen, um zuzuhören, sie kommunizieren und im Idealfall verständigen sie sich auf gemeinsame Werte und seien es auch "bloß" künstlerische.

All dies muss man vorausschicken, um zu verstehen warum Arzberger sein hochkarätig besetztes Festival nicht zum exklusiven Event für Klassik-Connaisseure gemacht hat, sondern es als klassenlose Konzertsause konzipiert hat, bei der es ausdrücklich keinen Dresscode gibt. T-Shirt darf man hier genauso tragen wie Frack oder Abendkleid, jeder soll so kommen, wie er mag. "Wir wollen keine abgehobene Veranstaltung schaffen, sondern ein Musikfest, das sowohl konzerterfahrenen Klassikfans, als auch komplett unerfahrenen, interessierten Menschen offensteht", sagt Arzberger, der auch künstlerische Leiter dieses Musikfests ist. Und so wünscht er sich auch ein möglichst buntes Publikum. "Das Festival will Menschen verschiedenster Herkunft, sozialer Stellung und Meinungen zusammenbringen und so ein Forum des Miteinanders und Aufeinander- Zugehens schaffen, um einen kleinen Beitrag zur Überwindung der enormen Spaltungen und Brüche in unserer Gesellschaft zu leisten." Mit lauter Solisten bringt ein Ensemble irgendwann nur noch Lärm hervor. Das ist etwas, das Arzberger umtreibt. Ein Orchestermusiker ist dafür vielleicht auch etwas sensibler als der homo homeofficiensis in seiner Bürohöhle.

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Arzberger hat zahlreiche befreundete Musikerkollegen eingeladen, lauter junge, hochkarätige Künstler wie er und auch den nicht mehr ganz so jungen, aber nicht minder hochkarätigen Hans Well mit seinen Wellbappn, das gehört zur musikalischen Diversität in dem ansonsten klassisch klassischen Format. Angesichts der Klasse der auftretenden Musiker liegen die Ticketpreise mit durchweg deutlich unter 30 Euro schon fast im Schnäppchenbereich, und es gibt auch jetzt immer noch einige Karten für die jeweils bis zu 200 Plätze pro Konzert. Die Leitung des Musikfests verschenkt sogar einige Tickets an Leute, die sich auch einen Eintritt von 26 Euro nicht leisten können. Dass sich die Organisatoren das selber leisten können, ist einerseits Sponsoren und einem Crowdfunding-Projekt zu verdanken, bei dem ein erkleckliches Sümmchen zusammengekommen ist, andererseits auch EU-Fördermitteln aus dem Leader-Programm für den ländlichen Raum, und wer schon mal in Blumenthal war, weiß: Ländlicher geht's kaum.

Georg Arzberger ist nur zwei Kilometer von Schloss Blumenthal entfernt aufgewachsen, er kennt und liebt diesen Ort kurz hinter der Landkreisgrenze zu Aichach innig. "Es steckt eine gewisse persönliche Leidenschaft dahinter", sagt der Musiker. Blumenthal verfügt zwar nicht über einen klassischen Konzertsaal, aber über einen alten Stadel im Ökonomiegebäude, der zudem über eine ausgezeichnete Akustik verfügt. Früher hat das Anwesen einmal der berühmten Augsburger Kaufmannsfamilie der Fugger gehört. Die wusste, wie man Wohlstand und Wohltätigkeit dauerhaft verbindet. 2007 übernahm eine sozial ökologisch orientierten Wohn- und Arbeitsgemeinschaft das Anwesen.

Das passt gut zum Geist dieses Musikfests: Ein Euro pro verkauftes Ticket geht als Spende an den Verein Zeltschule e.V., der sich um die Bildung in den Flüchtlingslagern in Syrien und im Libanon kümmert. Das Festival soll sogar CO₂-neutral sein, was wegen der Anreisefahrten der Musiker formal auch nur durch Kompensationszahlungen wirklich gelingt, aber immerhin, wer macht das schon, wenn er nicht von Gesetzes wegen dazu gezwungen ist? "Als Veranstalter hat man auch eine Vorbildfunktion in der Gesellschaft und muss mit gutem Beispiel vorangehen", findet Georg Arzberger. Und die organisatorische Leiterin des Musikfests, Gertrud Deckers, ergänzt: "Wir wollen Vorreiter sein, Impulse geben, Verantwortung übernehmen und Menschen zusammenbringen."

Das Musikfest 2021 soll nur der Auftakt sein. "Mein Ziel ist schon, das Musikfest Blumenthal als Marke zu etablieren", sagt Georg Arzberger. Schon an diesem Donnerstag geht es los.

Das Programm: Donnerstag, 12. August: Eröffnungskonzert um 19.30 Uhr mit den Charlottenburger Bläsersolisten - Franz Krommer: Oktett Partita op. 79, Es-Dur, Mátyás Seiber: Serenade für Bläsersextett, Wolfgang Amadeus Mozart: Serenade KV 375, Es-Dur; Freitag, 13. August: Kammerkonzert um 19.30 Uhr mit Markus Bellheim, Sarah Christian, Maximilian Hornung und Georg Arzberger - Ludwig van Beethoven: Trio op. 11, B-Dur, "Gassenhauer-Trio", Olivier Messiaen: Quatour pour la fin du temps; Samstag, 14. August: Kinderkonzert um 11 Uhr mit Ingrid Hausl und Dum-Tschiki-Ti ; Hans Well und die Wellbappn treten um 19.30 Uhr auf, Sonntag: 15. August Wandelkonzert mit syrischen Musikern, Treffpunkt um 15 Uhr vor der Kirche; Abschlusskonzert um 19.30 Uhr mit dem Festspielorchester Camerata Vitilo - Ludwig van Beethoven: Sinfonie Nr. 3 op. 55, Es-Dur "Eroica", Johann Stamitz: Klarinettenkonzert B-Dur. Karten gibt es an der Abendkasse und bei München Ticket. Weitere Informationen auf musikfest-blumenthal.de.

© SZ vom 12.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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