Finanzierungsstreit:"Ein Desaster für die Demokratieförderung"

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Ludwig Gasteiger ist Geschäftsführer des Kreisjugendrings Dachau. Er wartet noch immer auf Förderzusagen für 2024 aus Berlin. (Foto: Niels P. Joergensen)

Weil sich die Bundesregierung nicht auf einen Haushalt einigen kann, stehen zwei Bildungsprogramme des Kreisjugendrings Dachau vor dem Aus.

Von Thomas Radlmaier, Dachau

Demokratie kann schwierig sein. Das wissen sie an der Mittelschule Karlsfeld (MSK) genau. Die Lehrkräfte und Schüler dort behandeln demokratietheoretische Themen nicht nur im Unterricht. Sie leben Demokratie im Alltag. Es gibt ein Schulparlament. Die Schüler stellen Anträge, etwa um das Verbot zum Tragen von Caps an der Schule zu kippen oder um billigere Preise beim Pausenverkauf durchzuboxen. Sie starten auch Petitionen, etwa um gegen die Abschiebung einer elfjährigen Mitschülerin und ihrer Familie nach Nigeria zu protestieren. Die MSK ist ein Vorbild für andere Bildungseinrichtungen. Erst im Oktober hat sie den bundesweiten Preis für demokratische Schulentwicklung erhalten.

Doch jetzt, zwei Monate danach, fehlen Milliarden im Bundeshaushalt. Plötzlich stellt sich die Frage: Was ist der großen Politik die Demokratieförderung an Schulen wie in Karlsfeld wert?

Im schlimmsten Fall muss der KJR Dachau Mitarbeitern kündigen

Die Karlsfelder Mittelschule ist Teil des "Modellprojekts Demokratische Schule" im Landkreis Dachau. Dieses hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend seit 2020 über das Programm "Demokratie leben!" jährlich mit rund 200 000 Euro gefördert. Das Förderprogramm soll die Bildungsarbeit gegen Radikalisierung und Polarisierung in der Gesellschaft unterstützen und ein demokratisches Miteinander stärken. In diesem Jahr etwa standen bundesweit mehr als 182 Millionen Euro für mehr als 700 Projekte zur Verfügung. Wie es 2024 weitergeht, ist unklar.

Da der Haushalt für 2024 noch immer nicht verabschiedet ist, sind sie beim verantwortlichen Träger in Dachau, dem Kreisjugendring (KJR), verunsichert, ob im kommenden Jahr überhaupt Geld fließt. Neben dem "Modellprojekt Demokratische Schule" droht auch der "Partnerschaft für Demokratie in der Gemeinde Karlsfeld" das Aus. Das Programm beinhaltet unter anderem politische Bildungsangebote für Jugendliche und Erwachsene, um "jeglichen Phänomenen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit entgegenzuwirken". Hierfür bräuchte es im kommenden Jahr Fördermittel von mehr als 140 000 Euro. Auch Fonds, über die Jugendliche selbst Projektideen einreichen können, sind gefährdet. Besser sieht es dagegen für das Projekt "Partnerschaft Demokratie im Landkreis Dachau" aus. Hierfür seien die Mittel über mehrere Jahre bewilligt, so Ludwig Gasteiger, KJR-Geschäftsführer.

Hunderte Demokratieprojekte in ganz Deutschland sind bedroht

Sollte es in Berlin bis Jahresende zu keiner Einigung kommen, werden die sechs KJR-Mitarbeitenden, die sich um die beiden gefährdeten Projekte kümmern, die Auswirkungen als Erste zu spüren bekommen. Ohne "Bewilligungsbescheide zum vorzeitigen Maßnahmenbeginn", die auch bei einem verspäteten Mittelfluss die Zahlungsfähigkeit sicherstellen, könne man ab 1. Januar kein Geld mehr ausgeben, sagt Gasteiger. "Dann heißt es: Stellen reduzieren oder im schlimmsten Fall kündigen." Für ist Gasteiger ist jetzt schon klar: "Das ist ein Desaster für die Demokratieförderung."

Nicht nur beim Dachauer KJR schlägt die Haushaltssperre durch. Wie die Amadeu Antonio Stiftung mitteilt, stehen Hunderte Demokratieprojekte in ganz Deutschland vor dem Aus, weil sie keine Förderzusagen für 2024 bekommen. Die Stiftung sieht "die über 20 Jahre mühsam aufgebaute Landschaft der Demokratieprojekte in ihrer Existenz" bedroht. Tausende Entlassungen seien zu befürchten. Betroffen seien Menschen, die in Kompetenznetzwerken oder Beratungsstellen etwa für Opfer rechter Gewalt oder Antisemitismus arbeiten. Ohne das Geld vom Bund müssten deren Arbeitsverträge auslaufen. Büromieten könnten nicht mehr gezahlt werden. "Noch gravierender aber: Menschen, die sich auf die professionelle Unterstützung verlassen und auf Hilfe angewiesen sind, können nicht mehr beraten und begleitet werden."

"Wir brauchen eigentlich mehr Demokratieförderung als weniger"

Dabei gäbe es mehr als genug Gründe, Demokratieprojekte, politische Bildungsarbeit und Beratungsstellen zu fördern. Antisemitismus und Rechtsextremismus nehmen im ganzen Land zu. Die Fachberatungsstelle Ofek, die auf die Beratung bei antisemitischen Vorfällen spezialisiert ist, verzeichnet seit dem 7. Oktober und dem Terror-Angriff auf Israel ein "immenses" Aufkommen an Anfragen. Ofek, die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (Rias) und der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG) halten die Haushaltssperre gerade in der derzeitigen Situation für "ein fatales Signal", wie es in einer gemeinsamen Pressemitteilung heißt. Sie appellieren an die Bundesregierung, die notwendigen Mittel bereitzustellen, damit die Arbeit der Projekte nicht unterbrochen werden muss. Der Kampf gegen Antisemitismus sei bedroht, heißt es in einem offenen Brief an die Regierung. Auch Ludwig Gasteiger vom KJR Dachau sagt: "Wir brauchen eigentlich mehr Demokratieförderung als weniger."

Die Dachauer Bundestagsabgeordnete Katrin Staffler (CSU) kann die Verunsicherung des KJR und vieler anderer Projektträger gut verstehen, wie sie sagt. Dafür macht sie die Bundesregierung verantwortlich, welche die Haushaltskrise "selbst verschuldet" habe - die Ampelkoalition wollte milliardenschwere, nicht abgerufene Kreditermächtigungen aus der Corona-Pandemie für den sogenannten Klima- und Transformationsfonds (KTF) nutzen; die Unionsfraktion, der Staffler angehört, hatte dagegen geklagt und vor dem Bundesverfassungsgericht Recht bekommen.

Streit um Demokratiefördergesetz

Jetzt fordert Staffler von der Bundesregierung eine "seriöse Haushaltspolitik", um die Förderungen zu gewährleisten. Bei der Haushaltsaufstellung erwarte sie eine "klare Prioritätensetzung". Doch es klingt nicht so, als würde Staffler selbst zu diesen Prioritäten eine verstärkte Demokratieförderung zählen. Zusätzliche Projekte gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus seien zu begrüßen, sagt sie lediglich. Der Dachauer SPD-Bundestagsabgeordnete Michael Schrodi, finanzpolitischer Sprecher seiner Fraktion, möchte sich zum Thema Demokratieförderung derzeit nicht öffentlich äußern. Er verweist auf die laufenden Verhandlungen in der Regierung.

Innerhalb der Ampelkoalition wollen viele die Demokratieförderung gesetzlich stärken. Ende 2022 hatten SPD und Grüne den Entwurf für ein "Demokratiefördergesetz" im Parlament eingebracht. Damit sollten Fördermittelempfänger mehr Planungssicherheit erhalten und die Arbeit von Programmen wie etwa "Demokratie leben!" über einen längeren Zeitraum finanziert werden. Doch in der FDP gibt es Widerstand gegen das Gesetz. Die Liberalen verlangen, darin eine Extremismusklausel zu verankern. Initiativen, die vom Bund gefördert werden, sollen ein Bekenntnis zum Grundgesetz abgeben. SPD und Grüne sind dagegen. Auch Staffler lehnt das neue Gesetz ab. Sie meint, dieses würde "primär der Förderung linksgerichteter Projekte dienen". Ludwig Gasteiger würde das Gesetz sehr begrüßen. Er sagt, dies würde dem KJR Dachau und anderen Projektträgern vieles erleichtern.

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