Demenzwoche:"Was schön war, wird erinnert"

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Beim Demenz-Tanzkurs in der Dachauer Tanzschule "Meet and Dance" tanzen Senioren mit und ohne Demenz. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Bei einem Tanzkurs bewegen sich Senioren mit und ohne Demenz gemeinsam auf dem Parkett, um mental und körperlich nicht einzurosten.

Von Jessica Schober, Dachau

Ein paar kleine Galoppsprünge können die Welt bedeuten. Besonders für den einzigen Herren in der Runde. Max Hribar ist 80 Jahre alt, er hat heute sein schwarzes Jackett angelegt, das mit den Hirschhornknöpfen an den Ärmeln. Seit 60 Jahren ist er nicht mehr in einer Tanzschule gewesen, grinsend sagt er: "Man musste mich schon dazu überreden." Gerade hat die Tanzlehrerin eine Art Stepptanz-Choreografie angeleitet, einen unsichtbaren Hut sollte er über seine Schulter werden und Steppschritte imitieren, doch Hribar macht die Sprünge lieber nur gedanklich mit.

Ein Bein sei steif, ein Sprunggelenk hinüber, sagt er, zum Tanzen sei er gekommen für seine Genesung. Früher habe er auch mal mit seiner Frau getanzt, doch jetzt gingen nun mal die Enkelkinder vor. Heute ist er in diesem Kurs gelandet, den die Caritas-Seniorengruppen gemeinsam mit der Dachauer Tanzschule "Meet and Dance" im Rahmen der Demenzwoche des Landkreises Dachau anbieten - wer hier im Raum dement ist oder nicht, spielt heute aber im Grunde keine Rolle, Diagnosen interessieren hier keinen. Hribar schaut sich um und hat als einziger Mann freie Wahl, mit welcher der Seniorinnen oder Betreuerinnen er nun als nächstes einen Walzer wagen will. Er seufzt leise und sagt: "Was sollen die Damen bloß denken, wenn sie hier so ein alter Esel übers Parkett schiebt?"

Die Tanzlehrerin Rebekka Metz ruft durch den Saal zu den vier versammelten Senioren: "Der Wiener Walzer ist ein Wohlfühltanz", der Wiegeschritt sei besonders einfach und gemütlich. Paare bilden sich, Frauen in Frauenarmen schaukeln durch die Gegend, mittendrin Max Hribar in immer neuen Konstellationen. Wer noch Kraft in den Gelenken hat, hebt die Ellenbogen in die Waagerechte - an der Flügelspannbreite beim Walzer erkennt man die Versierten. Alle anderen sind froh, wenn der Schwindel beim Drehen noch auf sich warten lässt. "Tanzen ist Träumen mit den Füßen" steht in großen Lettern über dem Spiegel geschrieben.

Feinstrumpfsöckchen in schwarzen Lackloafers

Das mit dem Träumen spiegelt sich auch im Gesicht von Edith Sammler-Wolff. Sie schaut beseelt. Ihre Feinstrumpfsöckchen stecken in schwarzglänzenden Lack-Loafers, sie trägt ein rotes Kurzarmkleid mit Blumenmuster, hinter der mattgoldumrahmten Brille schauen zwei hellblaue Augen in den Saal. Die 89-Jährige ist heute mit dem Taxi aus Allach hergekommen. "Tanzen und Musik sind genau mein Ding", sagt die Dame mit der silbernen Kurzhaarfrisur, "aber alles rostet". Dann erklingt ein heiteres Lachen aus ihrer Kehle, um den Hals trägt sie ein Goldkettchen mit dem Wort "Edith" in Schnörkelschrift. Auch wenn sie pausiert, wiegt sie den Oberkörper weiter.

Sammler-Wolf, die Älteste im Raum, erinnert sich noch gut, wie sie als 16-Jährige die Wochenenden durchtanzte, in Tanz-Cafés, in die ihr musikalischer Vater sie mitnahm, er brachte ihr viele Schritte bei. Manche der Burschen hätten schon von Weitem versucht, sie mit einem gezielten Fingerzeig als Tanzpartnerin für die Folgenummer vorzumerken. Sie kichert laut, wenn sie von dieser Geste erzählt. Sie muss oft die Auserwählte gewesen sein, jedenfalls umgibt sie noch heute eine schelmische Souveränität.

Zum Projektstart tanzten 50 Senioren mit

Lebhaft steigen die Erinnerungen in Edith Sammler-Wolf hoch, sie erzählt dann, als wäre es gestern gewesen, wie sie einmal als junge Frau beim Konzert einer Tanzkapelle im Dachauer Schloss einspringen musste, als der Akkordeonspieler krank wurde. Beim Tanzen liebte sie besonders den Tango. Früher habe sie immer mit hohen Schuhen getanzt, "nur mit Ledersohle, alles andere bremst auf dem Parkett". Heutzutage bremst sie jedoch das Vorhofflimmern, das sie immer wieder zum Innehalten zwinge. Zum Tanzkurs will sie dennoch wieder kommen.

Das Kooperationsprojekt zwischen Tanzschule, Caritas und der gerontopsychiatrischen Beratungsstelle ist 2019 angelaufen, zunächst mit riesigem Interesse und rund 50 Tanzenden in den Einrichtungen vor Ort. Doch dann kam die Pandemie dazwischen, der Demenz-Tanzkurs geriet in Vergessenheit. "Viele trauen sich jetzt nicht mehr so", sagt Kira Dannhart von der Beratungsstelle. "Auch das Herkommen in die Tanzschule ist für viele Senioren eine Hürde." Dabei ermögliche die Bewegung zur Musik den Senioren eine Unbeschwertheit, die kaum ein anderes Sportangebot möglich mache. "Tanzschritte werden nicht so schnell vergessen und können erstaunlich lange noch abgerufen werden", sagt Dannhart. "Was schön war, wird erinnert." Und dann legt die Tanzlehrerin Metz noch eine neue Musik auf: "Mit 17 hat man noch Träume", singt Peggy March aus den Lautsprecherboxen und schnell wird klar: Auch 70 Jahre später ist das nicht anders.

Der nächste Tanzkurs für Senioren mit und ohne Demenz findet am Dienstag, 10. Oktober, von 14 bis 15.30 Uhr in der Dachauer Tanzschule "Meet and Dance" in der Münchner Straße 87 b statt. Die Teilnahme kostet acht Euro, um eine Anmeldung unter der Telefonnummer 08131/317151 wird gebeten.

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