Volksfest Dachau:Mei, is des schee!

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Routiniert zapft Oberbürgermeister Florian Hartmann (grüne Schürze) das Holzfass an. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Der Beginn des 94. Dachauer Volksfests samt Festzug und Anstich gleicht einer routinierten Choreografie und man könnte sagen: Er strotzt vor Klischees - wäre da nicht dieses schöne Wir-Gefühl. Ein Besuch.

Von Martin Wollenhaupt, Dachau

Zwei Schläge, ein "O'zapft is!" und das Bier fließt. Das 94. Dachauer Volksfest setzt sich in Bewegung. Um Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD), mittlerweile ein Routinier im An- und Verzapfen, wimmelt es. Alle haben ihre Rollen gut einstudiert, die Dramaturgie funktioniert. Schwitzende Presseleute hinter großen Linsen errempeln sich die beste Perspektive auf das Fass. Einer stürzt von der Bank, steht aber schnell wieder. Auf der Bühne quetscht sich die gesamte Dachauer Politprominenz neben den Oberbürgermeister. Alle wollen sie aufs diesjährige Anstich-Foto - und sei es als Statist.

Hartmann muss einmal tief durchschnaufen. Wie es sich gehört, hat er alle um ihn Stehenden offiziell begrüßt. Festzeltwirt Ewald Zechner, den politischen Heimkader und die Ehrengäste aus Fondi und Klagenfurt, den Partnerstädten Dachaus. "I dad sogn", sagt er dann und kommt zu dem, was ihm schon die ganze Zeit auf dem Herzen lag: "Jetzt trink ma amoi". Die frisch gezapfte Augustiner-Maß hebt er in die warme Festzeltluft. Die Ludwig-Thoma-Musikanten rühren sich, sie stimmen das erste Prosit an.

"Ihr mecht's alle a Bier, oder?", ruft eine Bedienung in das Meer aus Trachtenmonturen. "Ja, ganz dringend", schallt es zurück aus dem Mundartengebräu unter dem weiß-blauen Zeltdeckenhimmel. Es wimmelt. "Vorsicht bitte!", schimpfen die Bedienungen freundlich die ersten Besucher zur Seite. Auf den Brotzeitbrettln liegen knackige Radieserl neben weich zerlaufendem Obazdn und kalten Schweinsbraten-Scheiben. Es duftet nach frisch gebackenen Brezn.

"Für einen Volksfest-Anstich ist das Zelt extrem gut gefüllt"

Kulturamtsleiter und Volksfest-Chef Tobias Schneider ist mittendrin. Von einer Seitenbox aus schaut er auf das große Wimmeln, wie versunken in die durch Zeit und Raum wirbelnden Menschenströme. "Für einen Volksfest-Anstich ist das Zelt extrem gut gefüllt. Das zeigt schon, dass da eine große Lust ist", sagt er und sein Lächeln glimmt nach.

Eine Lust, die sich an diesem Samstag nicht erst nach der dritten Maß absetzt wie Öl auf Wasser, sondern auch schon eine Stunde zuvor durch die Altstadt waberte. Irgendwo lockte eine Trommel seine Musikerfamilie, Blasmusik setzte ein. Die Ludwig-Thoma-Musikanten und mit ihr der gesamte Festzug marschierten los, vom Rathaus in Richtung Festgelände. Herausgeputzte Schaulustige tummelten sich an der Seite, Dachauer beugten sich weit aus ihren Fenstern. Hochgewachsene Percheron schnaubten und bimmelten in ihrem Augustiner- und Spaten-Festgeschirr. Sie scharrten mit den Hufen und zogen blumengeschmückte Wägen über das Kopfsteinpflaster.

Ein Techniker muss die Wilde Maus wieder zum Laufen bringen

Hinterher der Trachtenverein "d'Ampertaler", die Frauen in ihren Dachauer Boinkitteln, traditionellen, sieben Kilo schweren Trachtenröcken, Tragekörbe unter dem Arm. Die Männer in Janker, Samtweste und Faltstiefeln; auf den Köpfen schwarze Hüte, in den Händen gegabelte Haselnussstecken. "Servus!" riefen d'Schlosbergler, und jodelten und jauchzten. Von einer historischen Kutsche der Stadt Dachau herab, über hundert Jahre alt, strahlte der Oberbürgermeister und winkte.

Dann 12 Uhr, Anstich, Prost. Die Ludwig-Thoma-Wiese wie das Relief einer Geografie des Ereignisses. Kettenkarussell und Riesenrad beginnen ihr zehntägiges Kreisen. Die Sonne brutzelt vom klaren, bayerischen Himmel herab. Zwei herausgeputzte Mädels quetschen sich nebeneinander in ein rosa Barbie-Auto, "Eine Reise durch 1001 Nacht" steht ihnen bevor, verkündet das Fahrgeschäft. "Uh-uh-uh", hebt und senkt sich der Schlachtruf einer Horde Jungs, die in pinken Shirts das Ende eines Junggesellendaseins feiern. Aus einem verschlungen-bunten Laufgeschäft dudelt "Das Alte Haus von Rocky Docky" , Vieles habe es schon erlebt. Der junge Kassierer nickt fröhlich mit, wohl noch nicht ahnend, dass er das Lied tagelang in Dauerschleife hören wird.

Vom Rathaus marschiert ein Festzug in Richtung Ludwig-Thoma-Wiese, voran ein Augustiner-Brauereigespann. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Sitzen gemeinsam in einer Kutsche (von links): Salvatore de Meo, Europaabgeordneter und ehemaliger Bürgermeister von Fondi, der Landtagsabgeordnete Bernhard Seidenath und Bezirkstagspräsident Josef Mederer. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Über die Jahre ist der Festzug immer länger geworden, weil immer mehr Vereine mitlaufen. Schon lange mit dabei sind die Dachauer Malweiber. (Foto: Niels P. Jørgensen)
In den Gängen des großen Festzelts stehen der der Trachtenverein "d'Ampertaler" Spalier. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Zwei Stunden nach Festbeginn, ein Skandal bahnt sich an. "Wir nehmen das", weist ein kleiner Junge seinen Vater ein und zeigt ausgerechnet auf die Wilde Maus. Der Papa guckt skeptisch. Das Fahrgeschäft - es steht still. "Aus die Maus", sagt er lakonisch, "wir gehen zum Karussell". Eine Träne kullert dem Jungen über die Wange. Er möchte nicht Karussell! Er möchte Wilde Maus! Der Techniker ist alarmiert. Die Existenz des Guten in der Welt steht für den Jungen auf dem Spiel. Ungesichert kraxelt der Techniker über die gelben Stahlbeine in die Höhe, immer höher, fünf, zehn, fünfzehn Meter. Der Techniker fuhrwerkt herum, ein paar Runden hopsen die Mäuse unbepackt im Kreis. Vor dem Fahrgeschäft stauen sich offene Münder. Zwanzig Minuten später: Das Fahrgeschäft fährt wieder. Der Junge trocknet seine Wange. Der Frieden des 94. Dachauer Volksfest ist bewahrt.

Hoch über dem Fest, im Schatten alter Bäume, baumeln ein paar Beine von der Steinmauer des Schlossbergs. Vom Augustiner-Festzelt dumpft die Volksmusik der Ludwig-Thoma-Blaskapelle herauf, ab und an gebrochen durch einen Jodler. Wie in einem Flipperspiel rempeln sich die kleinen Menschlein durch den Urwald an bunten Farben. Ein Plastikteppich aus Klischees, müsste man sagen, gäbe es das kleine Wörtchen "Mei" und den Seufzer derer nicht, die wissen, dass hinter der Kulisse etwas lebt, das sich "Wir" nennt.

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