Rauchen und Dampf ablassen:Glühende Demokraten

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Abstimmung per Zigarettenstummel. Dachaus Raucher sind aufgerufen, die Sauberkeit in der Stadt zu bewerten. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Die Stadt erprobt im öffentlichen Raum ein neues politisches Beteiligungsmodell: die "Kippokratie". Abgestimmt wird mit dem Zigarettenstummel.

Glosse von Gregor Schiegl, Dachau

In seiner Kundenzeitschrift, der Manoli-Post, rechnete der Berliner Zigarettenhersteller Manoli mit der "abgeknabberten Pfeife" und der "schmuddelig zerkauten Cigarre" ab: Zwischen den Zähnen gehalten bedinge sie "eine mehr oder minder hässliche Grimasse des Rauchers". Ganz anders "die leichte Cigarette, die appetitlich und graziös zwischen den Lippen" liege.

Das war im April 1914. Von der Leichtigkeit aus Kaisers Zeiten ist 110 Jahre später wenig übrig. Zigarettenraucher findet man heute fast nur noch auf zugigen Bahnsteigen, wo sie sich frierend drängen wie die Überlebenden eines indigenen Volkes, dem der natürliche Lebensraum weggeholzt wurde. Wirtshäuser, Kneipen, Sportgaststätten. Die letzten Marlboroughianer.

Dachau ruft die "Kippokratie" aus

Für diese bedrohte Randgruppe hat die Stadt Dachau nun im Zentrum ihres Gemeinwesens eine erstaunliche Investition getätigt: An vier Stellen in der Altstadt hat sie Sammelbehälter für Zigarettenkippen mit jeweils zwei Löchern aufgestellt. Auf dem blechernen Rauchopferaltar stellt die Rathausverwaltung die Frage zur Abstimmung: "Wie beurteilen Sie die Sauberkeit der Stadt?"

Dazu wird per Pressemitteilung auch die dazugehörige Gebrauchsanleitung geliefert: "Wer von den Rauchern nun mit der Sauberkeit der Stadt zufrieden ist, der werfe seine Kippe unter dem lachenden Smiley ein, wer mit der Sauberkeit der Stadt unzufrieden ist, der lasse sie dem Grant-Emoji zukommen und damit etwas Dampf ab." Gedacht ist das als "kleiner Gag, der Raucher ermuntern soll, ihre Kippen nicht auf den Boden zu werfen".

Brennende Fragen an glühende Demokraten

Dachau ist nicht die erste Kommune, die diesen rauchenden Pfad in die "Kippokratie" beschreitet, wie die Stadt diese Abstimmung per Zigarettenstummel launig bezeichnet. In Stuttgart, wo besenreine Flächen als zentrales Feld der Kommunalpolitik gelten, hat die schwäbische Firma Kippster bereits einige Kästen dieser Art aufgestellt, allerdings zu anderen brennenden Fragen.

Glühende Demokraten an die Urnen zu rufen, damit sie ihre Zigaretten ausdrücken und nebenbei auch ihre Meinung, klingt nach einer charmanten Idee, wirft allerdings auch demokratietheoretische Fragen auf. Kann man auf offener Straße geheim wählen? Ist es zulässig, dass das Votum von Kettenrauchern stärker ins Gewicht fällt als das von Gelegenheitsschmauchern? Und wie zersplittert wird die Gesellschaft, wenn nun auch noch die "Klirrokratie" am Container Einzug hält, wo der Lastradfahrer Grünglas einwirft und der Nachbar braunes Leergut? Wenn letzterer mit seinem deutschen Diesel auch noch drei Stellplätze auf einmal in Anspruch nimmt, erkennt man die Sympathie für den Systemwechsel - zur "Autokratie".

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