Dachau:Max Mannheimer: Mahner und Menschenfreund

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Im überfüllten Jugendgästehaus, das nun seinen Namen tragen soll, gedenken Politiker und Freunde dem Zeitzeugen Max Mannheimer.

Von Walter Gierlich, Dachau

Die Erinnerung an den langjährigen Vorsitzenden der Lagergemeinschaft Dachau ist noch sehr lebendig. Wahrscheinlich noch nie dürfte das Jugendgästehaus an der Roßwachtstraße einen solchen Besucheransturm erlebt haben. Fast zwei Monate sind vergangen, seit der Auschwitz-Überlebende und unermüdliche Zeitzeuge Max Mannheimer am 23. September im Münchner Krankenhaus Rechts der Isar im Alter von 96 Jahren gestorben ist. Vielen Besuchern der Gedenkveranstaltung im Dachauer Jugendgästehaus dürfte der Moderator der "Begegnung mit Max Mannheimer", Stefan Scheider vom Bayerischen Fernsehen, am Donnerstagabend aus dem Herzen gesprochen haben, als er in seiner Begrüßung sagte: "Vielleicht geht es Ihnen ebenso wie mir, dass es ist, als ob Max noch da wäre."

Es wird ganz im Sinne des Verstorbenen gewesen sein, dass es keine steife Veranstaltung mit förmlichen Reden wurde, sondern eine bunte Mischung aus persönlichen Erfahrungen und Ausschnitten aus Filmen, die Schwester Elija Boßler vom Karmel-Kloster in den Jahren 2003 und 2004 in seinem Atelier und in Auschwitz gedreht hatte. Sie zeigen den Menschen Max Mannheimer in den vielen Facetten seiner Persönlichkeit: humorvoll, verständnisvoll, kommunikativ. Aber auch durchsetzungsstark. Und fast alle Personen auf der Bühne nennen in den Gesprächen mit Scheider und seiner Co-Moderatorin, der Historikerin Sybille Krafft, denselben Satz, der von dem Mahner, aber auch Versöhner Max Mannheimer bleiben wird. Er hat ihn immer wieder in Schulklassen und vor Jugendgruppen gesagt: "Ihr seid nicht verantwortlich für das, was geschehen ist, aber ihr seid verantwortlich, dass es nicht wieder geschieht."

Ein Satz, den der Zeitzeuge Ernst Grube nicht nur als Aufforderung für Schüler und Jugendliche versteht, sondern den er auch Erwachsenen ins Stammbuch schreiben möchte. Grube, der als jüdisches Kind in München Ausgrenzung erlebte, ehe er 1945 ins KZ Theresienstadt verschleppt wurde, vermisst denn auch etwas an der Veranstaltung: "Der politische Max ist ein wenig zu kurz gekommen." Und er erinnert daran, dass der humor- und verständnisvolle Max Mannheimer auch sehr zornig werden konnte, wenn es irgendwo rechte Aktivitäten gab. Auch ein anderer Holocaust-Überlebender berichtet von seinen Begegnungen mit Max Mannheimer: Abba Naor, der ihm erstmals 1995 begegnete. Naor, der in Israel lebt, bezeichnet Mannheimer als Vorbild und sogar als Lehrer. "Einen besseren konnte ich nicht finden", sagt Naor, der längst ebenso unermüdlich als Zeitzeuge auftritt wie sein Vorbild. Für seinen momentanen zweimonatigen Aufenthalt in Deutschland habe er 42 Schulen auf seiner Liste. Mit Zuversicht schloss der 88-Jährige seine Rede: "Solange wir leben, wird Max auch leben."

Beeindruckender Lebensmut

Welchen Lebensmut Max Mannheimer hatte, wurde deutlich, als Franziska Müller aus seinen Erinnerungen vorlas, und als Ausschnitte der Filme gezeigt wurden, die Elija Boßler in Auschwitz und Birkenau gedreht hatte. "Wie viel Kraft muss in einem Menschen stecken, wenn er an diesen Ort zurückkommt und dort in die Kamera spricht", sagte Moderator Scheider.

Bevor ein kurzes Podiumsgespräch unter dem Titel "Seine Botschaft" begann, gab es noch eine Überraschung für die Besucher. Ministerialdirektor Michael Höhenberger, Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) und Landrat Stefan Löwl (CSU) teilten mit, dass das Jugendgästehaus künftig "Max-Mannheimer-Haus - Studienzentrum und Internationales Jugendgästehaus" heißen werde. Das habe der Vorstand der Stiftung, deren Vorsitzender Höhenberger ist, einstimmig beschlossen. "Für die Erinnerungsarbeit in Dachau war Max das gefühlte Zentrum", erklärte OB Hartmann.

Unter den Gästen zum Gedenken an Max Mannheimer sind Abba Naor und Ernst Grube (erste Reihe, v.l.), Florian Hartmann und Jean-Michel Thomas (zweite Reihe). (Foto: Toni Heigl)

Im anschießenden Podiumsgespräch erinnerte er an zwei Sätze, die Max Mannheimer 2011 bei der Verleihung der Dachauer Ehrenbürgerwürde gesagt hatte. Hartmann hatte die Rede damals noch als einfacher Stadtrat gehört: "Hätte mir vor 66 Jahren jemand gesagt, dass ich in dieser Stadt zum Ehrenbürger würde, hätte ich ihn für meschugge erklärt." Und weiter habe Mannheimer damals betont, dass Dachau von einem Ort des Schreckens zu einem Ort der Freundschaft geworden sei.

Mannheimer war BVB-Fan

Karl Freller, CSU-Landtagsabgeordneter und Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten, erinnerte sich an unvergessliche Erlebnisse auf einer Reise mit Mannheimer nach Israel, wo dieser ebenfalls höchste Anerkennung genossen habe. Besonders beeindruckt habe ihn an dem Überlebenden der Schoah, dass er nie seinen Humor verloren habe. "Es ist selten, dass man so einen Menschen in seinem Leben trifft."

Jean-Michel Thomas, der Vorsitzende des Comité International de Dachau, war aus Frankreich angereist. Er lobte Mannheimer, der bis zuletzt in jeder Sitzung aktiv gewesen sei. "Das Verschwinden der Überlebenden ist ein Verlust für die Weitergabe der Erinnerungen." Vom Stiftungsvorsitzenden Höhenberger, der Max Mannheimer noch nicht sehr lange kannte, war dennoch etwas zu erfahren, was sicher viele Besucher überrascht haben dürfte: Mannheimer war ein Fußballfan und ein leidenschaftlicher Anhänger von Borussia Dortmund.

Franziska Müller liest aus den Erinnerungen von Max Mannheimer. (Foto: Toni Heigl)

An Mannheimers Leidenschaft für die Malerei, die er als Therapie ansah, wurde in einer Filmsequenz erinnert. Seine Bilder, die er mit "ben jakov" signierte, wurden von verschiedenen Museen angekauft. Mannheimer sagte darüber: "Den Stil der alten Meister kann ich nicht, deswegen versuche ich es gar nicht erst."

In der Lagergemeinschaft Dachau, in der er seit 1990 als Vorsitzender fungierte, habe er viel erreicht, sagten Klaus Mai und Anna Andlauer. Mai, der vor allem die Geschichte des Außenlagers Dachau-Allach erforscht, erzählte, wie sich Mannheimer für ein würdiges Gedenken an dem Ort eingesetzt habe, an dem er selbst 1945 inhaftiert war. "Er war ein liebenswerter Freund", sagte Anna Andlauer. "In 26 Jahren war er ein unglaublicher Glücksfall für uns."

Die "Adoptiv-Enkelin"

Wie starken Einfluss Mannheimer auch auf junge Menschen ausgeübt hat, machten Ola Kuhn und Lukas Bernstein deutlich. Ola Kuhn ernannte Mannheimer gleich nach ihrem ersten Zusammentreffen bei der Jugendbegegnung 2002 zu seiner "Adoptiv-Enkelin" und blieb mit ihr seither in enger Freundschaft verbunden. Stark beeindruckt vom Holocaust-Überlebenden zeigte sich Lukas Bernstein, der 2013 als Zehntklässler mit Mannheimer und Ministerpräsident Horst Seehofer nach Israel gereist war.

Voller Hochachtung sprachen auch die Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau, Gabriele Hammermann, und ihre Mitarbeiter Albert Knoll, Dirk Riedel und Rebecca Ribarek über den Verstorbenen. Er habe sich immer für die Gedenkstätte eingesetzt und stets betont, wie wichtig es sei, aller Häftlingsgruppen gleichermaßen zu gedenken.

Archivar Knoll sprach sicher für viele Besucher der Veranstaltung am Donnerstagabend, als er zum Abschluss seiner Erinnerungen an Max Mannheimer sagte: "Der Menschenfreund bleibt bei mir im Gedächtnis und im Herzen."

© SZ vom 19.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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