Ukrainische Familie bangt um Haustier:Als Kampfhund eingestuft - "Mars" droht die Abschiebung

Lesezeit: 4 min

Leben seit rund vier Monaten unter einem Dach: v.l. Frederic Kassel, Maria Papatsenko, Ann-Britt-Kassel, Alyona Papatsenko und Helena Kassel mit Hund Mars. (Foto: Toni Heigl)

Familie Papatsenko ist von Mariupol nach Dachau geflüchtet - mit ihrem Hund. Doch in Bayern gilt der American Staffordshire-Terrier als Kampfhund der Kategorie 1.

Von Anna Schwarz, Dachau

Wenn es die Landratsamt-Mitarbeiterin nicht am Telefon gesagt hätte, "hätte ich nicht umrissen, dass Mars ein Kampfhund ist", erzählt Ann-Britt Kassel aus Dachau. Mars hat weiß-braunes Glatthaar und liegt entspannt unter dem Gartentisch, um ihn herum kleben schwitzende Füße auf dem Boden, die er gerne mal beschnüffelt und ableckt. Seit rund vier Monaten leben bei der vierköpfigen Familie Kassel die zwölfjährige Maria und ihre Mutter Alyona Papatsenko aus Mariupol. Die Ukrainerinnen sind mit ihrer Ratte Busya und dem American Staffordshire-Terrier Mars geflüchtet, der wegen seiner Rasse als Kampfhund der Kategorie I eingestuft wird. Das Problem dabei: In Bayern dürfen solche Hunde laut Kampfhundeverordnung von 1992 eigentlich nicht gehalten werden.

Doch für "Kategorie 1-Kampfhunde" von Geflüchteten aus der Ukraine gilt aktuell eine Ausnahmegenehmigung: Die Tiere dürfen maximal drei Monate in Bayern bleiben, teilte das Innenministerium Anfang Juli mit. Die Ausnahme für Mars gilt nur noch bis 3. September. Was dann mit ihm passiert, ist ungewiss. Gastgeberin Ann-Britt Kassel hat schon schlaflose Nächte deswegen: "Wenn ihnen der Hund weggenommen wird, dann würde das die Familie zerreißen." Die Rechtsanwältin, die sich mit Verkehrsrecht auseinandersetzt, sagt: "Die Kampfhundeverordnung gehört abgeschafft." Stattdessen fordert sie, dass Halter einen Hundeführerschein und ihre Vierbeiner einen Wesenstest machen müssen, bei dem eingestuft wird, wie gefährlich sie sind.

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"Man kann doch nicht sagen, dass eine Hunderasse per se böse ist"

Ann-Britt Kassel findet es falsch, dass Vierbeiner einer bestimmten Rasse generell als Kampfhunde gelten: "Man kann doch nicht sagen, dass eine Hunderasse per se böse ist. Man muss die Einstufung vom einzelnen Tier abhängig machen." Schließlich gebe es auch Pudel oder Schäferhunde, die beißen: "Mars gilt zwar als Kampfhund, aber er macht halt nichts. Eigentlich schläft er 18 Stunden am Tag", sagt sie und lacht. Mit ihren Füßen streichelt Alyona Papatsenko Mars' Pfoten unter dem Tisch. Sie hat eine schwarze Kurzhaarfrisur, spricht nur Ukrainisch und erzählt via Handy-Übersetzer: "Mars ist die Seele unserer Familie, er ist sehr liebevoll und anhänglich." Jemanden gebissen oder angegriffen habe er noch nie. Auf die Frage, wie es wäre, wenn der Familienhund wegziehen müsste, schüttelt sie heftig den Kopf und antwortet auf Ukrainisch: "Katastrofa!"

Vor allem ihre Tochter Maria, genannt Mascha, hänge sehr an Mars, er begleitet sie schon ihr halbes Leben lang. Zum Beweis zeigt Alyona Papatsenko Handyfotos von einem Geburtstagskuchen mit Kerzen für Mars, auf einem anderen Bild legt ihr Sohn Alexander seinen Arm um den Hund. Vor sechs Jahren kam Mars als Welpe in die Familie, saß mit der Familie Papatsenko im Keller, als der Angriffskrieg begann, und kam mit den Ukrainerinnen im Auto von Mariupol nach Dachau. Mascha ist im ukrainischen Taekwondo-Nationalteam, das aktuell beim TSV Dachau 1865 trainiert. Mittlerweile hat auch die ganze Familie Kassel Mars ins Herz geschlossen: "Sogar meine 81-jährige freut sich, wenn er sie an der Tür begrüßt und an ihr hoch springt." Auch der 15-jährige Sohn Frederic Kassel spielt gerne mit dem Kampfhund: "Er ist absolut ruhig, lässt sich streicheln, bellt fast nie, und ich freue mich, wenn er mich an der Tür begrüßt." Geschnappt oder gebissen habe der American Staffordshire-Terrier ihn noch nie.

"Reines Liebhaberinteresse genügt nicht", um einen Kampfhund zu halten

Obwohl Mars mehr als friedlich erscheint, darf er als "Kampfhund-Kategorie 1" nicht dauerhaft in Bayern bleiben: Im Artikel 37 des Landesstraf- und Verordnungsgesetzes ist geregelt, dass es einer Erlaubnis der Gemeinde bedarf, wenn jemand "ein gefährliches Tier einer wild lebenden Art oder einen Kampfhund halten will". Denn laut bayerischem Innenministerium sind Hundehalter mit ihren Tieren immer wieder überfordert, bestimmte Rassen würden "aufgrund ihrer Physiognomie zur Einschüchterung missbraucht".

Mars lebt seit sechs Jahren bei einer ukrainischen Familie. Doch er ist ein Kampfhund der Kategorie 1 und in Bayern verboten. Ganz sicher ist seine Rasse aber wohl doch nicht. (Foto: privat)
Ihr halbes Leben hat Maria mit dem American Staffordshire-Terrier verbracht. Nun ist ungewiss, ob er weiter an ihrer Seite bleiben darf. (Foto: Papatsenko)

In die Verordnung werden Hunderassen aufgenommen, bei denen eine Anlage zu gesteigerter Aggressivität gegenüber Menschen und anderen Tieren vorhanden sei und die wegen "ihrer Körpergröße und ihrer Beißkraft ein gewisses Gefahrenpotenzial darstellen können". Maßgeblich für die Klassifizierung als Kampfhund seien Stellungnahmen von Zoologen, Kynologen und weiteren Hundesachverständigen, wissenschaftliche Literatur sowie Erfahrungswerte. Laut Innenministerium kann sich eine gesteigerte Aggressivität und Gefährlichkeit bei Hunden nicht nur durch Zucht und Ausbildung entwickeln, "sondern auch auf Grund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse". Um einen Kampfhund halten zu dürfen, müsse der Antragsteller ein berechtigtes Interesse nachweisen, dem Gefahren für Leben, Gesundheit oder Eigentum nicht entgegenstehen - ein "reines Liebhaberinteresse genügt hier nicht". Weiter steht in dem Gesetzestext, dass ein berechtigtes Interesse zur Haltung von Hunden vorliegen kann, "wenn diese der Bewachung eines gefährdeten Besitztums dient".

Tierärztin bezeichnet Kampfhundeverordnung als "absoluten Blödsinn"

In Niedersachen, Schleswig-Holstein oder Thüringen wurden die Kampfhundeverordnungen abgeschafft. In Baden-Württemberg müssen Tierhalter in einer Prüfung beweisen, dass ihr Kampfhund nicht gefährlich ist, auch in Nordrhein-Westfalen hätte Mars kein Problem: Doch dort muss jeder Halter, der einen Hund mit mindestens 40 Zentimeter Schulterhöhe hat, einen Hundeführerschein machen. Die Karlsfelder Tierärztin stammt aus NRW und bezeichnet die bayerische Kampfhundeverordnung als "absoluten Blödsinn", Bayern habe hierzu "das strengste Gesetz". Sie ist überzeugt: "Wenn ich einen Hund scharf machen möchte, kriege ich das auch mit einer anderen Hunderasse hin" - die nicht in der Kampfhundeverordnung steht.

Außerdem kenne sie auch zwei Kilogramm schwere Chihuahuas, "die einem den Daumennagel durchbeißen", entscheidend sei auch die Erziehung: "Aber diese Hunde haben meist keine, weil sie nur herumgetragen werden." Die Tierärztin kenne auch "unhändelbare Golden Retriever" oder einen "roten Labrador, der Rehe holt". In ihrer Praxis bleibe sie außerdem gegenüber Schäferhunden und Husky-Rassen skeptisch - sie werden zwar nicht als Kampfhunde eingestuft, seien aber teilweise trotzdem unberechenbar. Katharina Kirschner rät den Papatsenkos, in ein anderes Bundesland zu ziehen oder mit dem Veterinäramt Kontakt aufzunehmen, damit ein Tierarzt beurteilt, wie gefährlich Mars ist. Vielleicht könnte der Hund dann zumindest in Haus oder Garten bleiben und einen Maulkorb tragen, wenn er das bayerische Zuhause verlässt.

"Dank Mars haben wir den Stress des Krieges überstanden"

In ein anderes Bundesland umzuziehen, würde den Papatsenkos schwerfallen. Schließlich habe Mascha hier ihre ukrainischen Freunde aus dem Taekwondo, besucht die Mittelschule Dachau-Ost, und vor kurzem sind auch Vater, Bruder sowie Graupapagei Khariton aus der Ukraine in den Landkreis geflüchtet. "Und sie haben uns hier als Unterstützung", sagt Ann-Britt Kassel. Als Rechtsanwältin werde sie nun versuchen, die Ausnahmegenehmigung für Mars möglichst lange hinauszuzögern: "Aber ich glaube nicht, dass die Kampfhundeverordnung abgeschafft wird", sagt sie. Irgendwann müsse sich die Familie Papatsenko wohl entscheiden, zwischen zwei Herzensangelegenheiten: Taekwondo im bekannten Nationalteam und dem heiß geliebten Hund. Eine schwierige Entscheidung, so Alyona Papatsenko. Denn der Hund ist eine große emotionale Stütze: "Dank Mars haben wir den Stress des Krieges überstanden."

Die Ausnahmegenehmigung für Mars müsste die Stadt Dachau erteilen, aber der Hauptamtsleiter Josef Hermann sieht für den Kampfhund "wohl keine Perspektive hier in Dachau". Schließlich müssten Kampfhunde von Flüchtlingen und Einheimischen gleich behandelt werden. Aber wenn nochmals eine Ausnahmegenehmigung für Mars beantragt werde "müsse man sich den Fall sicher nochmal anschauen". Sonst komme er wohl in ein Tierheim in Baden-Württemberg.

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