Finanzpolitik:Finale des "Streichkonzerts"

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Der Dachauer Stadtrat besteht mit Oberbürgermeister Florian Hartmann aus 41 Mitgliedern. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Die Stadträte beschließen mehrheitlich den Haushalt für 2024. Dieser ist von großen Einsparungen geprägt. Immerhin: In den Beratungen der vergangenen Wochen haben sich die Gräben zwischen den Fraktionen scheinbar verkleinert.

Von Thomas Radlmaier, Dachau

Einen der wenigen Giftpfeile des Abends schießt Wolfgang Moll (Wir) um kurz nach sechs in die Kühle des Sitzungsaals im Rathaus. Kaum hat die Stadtratssitzung am Dienstagabend begonnen, beantragt Moll, den Tagesordnungspunkt neun zu vertagen: die Verabschiedung des Haushaltes für 2024. Die Vertagung wäre ein politisches Debakel für die Stadt und den Stadtrat. Die Haushaltskrise im Bund verunsichert die Leute ja schon. Dann soll wenigstens in einer Stadt wie Dachau kein finanzieller Stillstand herrschen. Moll sagt, er sehe sehr viele offene Fragen. Er nennt die ausufernden Kosten für das neue Hallenbad, die hohe Kreisumlage. Da könnte er und Fraktionskollege Markus Erhorn (Freie Wähler), auch vor dem Hintergrund der weltpolitischen Lagen mit all ihren Unwägbarkeiten, nicht guten Gewissens über den Haushalt abstimmen.

Doch Molls politisches Geschoss fliegt ins Leere: Alle Fraktionen bis auf die AfD lehnen sein Ansinnen ab, sie wollen heute über den Haushalt sprechen. Schließlich haben sie viel dafür investiert. Lange und intensiv haben sie in den vergangenen Wochen öffentlich und hinter verschlossenen Türen darum gerungen, einen Sparhaushalt aufs Papier zu kriegen, den die Rechtsaufsichtsbehörde aller Voraussicht nach genehmigen wird - das ist zumindest die Hoffnung. Jetzt soll darüber abgestimmt werden. Nach einer eineinhalbstündigen Debatte ist es soweit: Mit den Stimmen von SPD, Grünen, Bündnis, BfD und ÜB/FDP beschließt der Stadtrat mehrheitlich das vorliegende Zahlenwerk. CSU, AfD und Wir/Freie Wähler lehnen ihn ab.

Heuer klingen vergleichsweise leise Töne an

Traditionell verabschiedet der Dachauer Stadtrat den Haushalt für das kommende Jahr immer in der letzten Sitzung des Vorjahres. Und es gibt auch den Brauch, dass die Fraktionsvorsitzenden in ihren Haushaltsreden das Jahr Revue passieren lassen und dem politischen Gegner teils heftige Vorwürfe machen. Doch heuer klingen vergleichsweise leise Töne an, selbst bei den Parteien, die den Haushalt ablehnen. Attacken wie der Vertagungsantrag von Moll sind eher die Ausnahme. Es scheint, als seien die Fraktionen in den schwierigen Haushaltsberatungen ein Stück weit zusammengerückt. Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) bezieht sich in seiner Rede auf die Debatten der vergangenen Wochen. Er lobt seine Stadtratskollegen. "Wir haben mit großer Mehrheit verantwortungsethisch, sprich verantwortungsvoll gehandelt", sagt er und spricht von einer "Atmosphäre des gegenseitigen Respekts".

OB Florian Hartmann (SPD) sieht viele Ungerechtigkeiten im kommunalen Finanzsystem. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Florian Schiller (CSU) fehlt eine "Vision für die Stadt". (Foto: Niels P. Jørgensen)
Peter Gampenrieder jüngst bei der Haushaltsdebatte im Dachauer Stadtrat. Dort vertritt er die Überparteiliche Bürgergemeinschaft. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Anke Drexler (SPD) verteidigt den städtischen Stellenplan. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Ende November haben die Stadträte den Haushalt in einer Marathon-Sitzung im Haupt- und Finanzausschuss vorberaten. Dabei verabschiedeten sie sich von einigen beschlossenen Projekten, weil sich die Stadt diese schlicht nicht leisten kann, etwa die Einführung eines Mietradsystems, die Errichtung eines Naturkindergartens oder ein zweites Barockpicknick. Auch die Knabenkapelle erhält nun deutlich weniger Geld für die Sanierung ihres Musikheims. Zudem soll die städtische Sportförderung gedeckelt werden. Hartmann spricht am Dienstag von einem "Streichkonzert". Es handle sich um Projekte, die zwar wünschenswert, aber nicht bezahlbar seien.

Die Stadt muss ihre Pflichtaufgaben für die kommunale Daseinsvorsorge erfüllen. Besonders ins Gewicht fällt die Kinderbetreuung, die für Dachau immer teurer wird. Hier tut sich ein Defizit von fast 20 Millionen Euro auf, weshalb inzwischen mehrere Parteien fordern, im nächsten Jahr die Kita-Gebühren zu erhöhen. Zu den größten Ausgabenposten zählt auch 2024 wieder die Kreisumlage, diese ist mit rund 37 Millionen Euro veranschlagt. Die Ausgaben für Baumaßnahmen belaufen sich auf rund 43 Millionen Euro. Ein großer Posten sind auch die städtischen Personalausgaben mit rund 38 Millionen Euro, die aufgrund von neuen Stellen und Tariferhöhungen weiter nach oben gehen.

Erstmals seit Jahren muss Dachau Kredite aufnehmen

Demgegenüber stehen Einnahmen etwa aus der Einkommensteuer (rund 43 Millionen Euro) und Gewerbesteuer (rund 29 Millionen Euro). Hinzukommen Schlüsselzuweisungen über voraussichtlich sieben Millionen Euro. Doch all dies reicht der Stadt für 2024 nicht aus. Erstmals seit Jahren muss sie Kredite aufnehmen. Diese fallen mit neun Millionen Euro aber deutlich geringer aus, als noch bei den Haushaltsberatungen vor einigen Wochen angenommen; damals war von fast 20 Millionen Euro die Rede.

Hartmann sieht eine "Krise der kommunalen Finanzen", nicht nur in Dachau, sondern auch in anderen Gemeinden wie Hebertshausen oder Karlsfeld. Er fordert Bund und Freistaat zum Handeln auf. Es brauche "endlich eine fundamentale Veränderung der Finanzausstattung der Kommunen in unserem Land". Das bisherige Umlagesystem nennt Hartmann "nicht ausreichend", "veraltet" und "ungerecht". Es sei ungerecht, dass Kommunen ihren gesetzlichen Auftrag der Kinderbetreuung ernst nähmen und immer neue Kitas bauen würden, und gleichzeitig das Loch in den Kassen der Städte und Gemeinden immer größer werde.

Die CSU erwartet "eine mutigere Politik"

CSU-Fraktionschef Florian Schiller hält dem OB entgegen, dass die Forderung nach einer besseren Ausstattung der Kommunen zwar schön und gut sei, aber ändern werde sich das Umlagesystem deshalb nicht. Stattdessen gelte es, dass die Stadt ihre Hausaufgaben mache, sagt Schiller. Zwar stünden im Haushalt "zu 95 Prozent völlig unstrittige Positionen drin", aber die restlichen fünf Prozent müsse man hinterfragen.

Kritik übt die CSU vor allem an den gestiegenen Personalausgaben. Die Stadt müsse lernen, die Aufgaben mit dem aktuellen Personalstand zu stemmen, sagt Schiller. Dafür müsse man die Organisation im Rathaus hinterfragen. Er vermisse "eine Vision für die Stadt". Die CSU erwarte "eine mutigere Politik". Daher werde man dem Haushalt nicht zustimmen. Neben der CSU sowie Wir/Freie Wähler lehnt auch die AfD den Haushalt ab. Jürgen Henritzi fordert, vor der "parteipolitischen Programmatik" im Stadtrat eine "größere Haushaltsdisziplin" wahren zu lassen.

Eine Position des Konsenses nehmen dagegen die Stadträte von ÜB und FDP ein. Im vergangenen Jahr war die Fraktion noch gespalten: Während Ingrid Sedlbauer dem Haushalt für 2023 zustimmte, lehnten ihn Peter Gampenrieder und Jürgen Seidl ab. Heuer spricht sich die Fraktion geschlossen für das Zahlenwerk aus, wenngleich "wir inhaltlich an manchen Stellen Magenschmerzen haben", so Gampenrieder. Wie die CSU sehen auch ÜB und FDP die Personalausgaben besonders kritisch. Es lohne sich, auf Arbeitsabläufe zu schauen. Bei der "progressiven Mehrheit" im Stadtrat vermisse Gampenrieder die Bereitschaft zu einer ehrlichen Diskussion. Hier wie auch bei der Verkehrspolitik brauche es einen breiten Konsens statt "ideologisch geprägter Leuchtturmprojekte".

Grüne sind "nicht glücklich mit diesem Sparhaushalt"

Bündnis, Grüne und SPD verteidigen dagegen den Stellenplan. Dieser sei geprägt von Sparsamkeit, sagt Anke Drexler (SPD). Das Mehr an Personalkosten entstehe durch Tariferhöhungen sowie notwendige Zulagen, ohne die das Personal im harten Wettbewerb mit anderen Kommunen nicht zu halten sei. Auch Michael Eisenmann (Bündnis) sagt, dass nur absolut notwendige neue Stellen zugelassen worden seien.

In ihren Haushaltsreden gehen einige Fraktionschefs auch auf das Thema Klimaschutz ein. Die Stadt will bis 2040 klimaneutral werden. Dafür braucht es etwa Gebäudesanierungen oder energetische Einsparungen, die für die Stadt mit großen Investitionen einhergehen dürften. Es sei ein "Wahnsinn", dass kommunaler Klimaschutz als freiwillige Leistung gelte und sich als "Klotz am Bein auf dem Weg zur Genehmigungsfähigkeit des Haushaltes" erweise, sagt Drexler. Auch Jasmin Lang (Grüne) meint, die Stadt müsse eigentlich jetzt in den Klimaschutz investieren. Die Grünen würden sich eigentlich mehr wünschen, als das städtische Zahlenwerk für 2024 vorsehe. "Wir sind nicht glücklich mit diesem Sparhaushalt."

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