Ausstellung in Dachau:Apfelduft und Dampflokschwaden

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Die Schau "Licht, Luft und Farbe" in der Gemäldegalerie rückt impressionistische Maler aus Süddeutschland in den Fokus, darunter fast vergessene Künstler, die es lohnt neu zu entdecken. Maßgeblich beteiligt ist die Wessenberg-Galerie Konstanz.

Von Gregor Schiegl, Dachau

Bei ihrer zweiten Ausstellung 1876 geißelte Albert Wolff die Impressionisten im Figaro als "schaurige Beispiele menschlicher Eitelkeit". Dem Künstler Camille Pissaro schrieb er ins Stammbuch, "dass Bäume nicht violett sind und der Himmel nicht die Farbe frischer Butter hat, dass in keinem Land die Dinge zu sehen sind, die er malt, und kein intelligenter Beschauer solche Verwirrungen akzeptieren kann". Hier lag die Verwirrung auf Seiten des Kritikers. Den Impressionisten ging es nicht um die detailgetreue Abbildung der Natur, sondern um den subjektiven sinnlichen Eindruck des Erlebens, um das große Ganze sozusagen. Dafür galt es, feinste Unterschiede der flüchtigen Erscheinungen des Lichts, der Luft und der Farben wiederzugeben, hierfür bedurfte es eines ganz neuen Stils, der auch bald in Deutschland Einzug hielt.

Ende des 19. Jahrhunderts waren München, Karlsruhe und Stuttgart bedeutende Kunst- und Akademiestädte, in denen viele Künstler, ebenso wie in Paris, neue Wege einschlugen. Unter dem Titel "Licht, Luft und Farbe" ist in der Gemäldegalerie Dachau nun eine Ausstellung zur Malerei süddeutscher Impressionisten zu sehen, und man kann sie ohne Übertreibung als Entdeckung bezeichnen. Nicht nur, weil der ganz überwiegende Teil Privatsammlungen entliehen ist und zum ersten Mal öffentlich zu sehen ist, sondern auch weil dieses Kapitel an manchen Stellen bislang noch wenig aufgearbeitet worden ist.

Die Strahlkraft des französischen Impressionismus mag mit dazu beigetragen haben, dass der deutsche Impressionismus weniger Beachtung fand, oft wurde er sogar als "epigonal" abqualifiziert. Ein Urteil, das der Besucher dieser Ausstellung leicht revidieren kann. Der Stil der deutschen, insbesondere süddeutschen Impressionisten ist anders als der französische, schon allein der Lichterverhältnisse wegen, die hier nicht so luzid sind wie in Frankreich, eher dunstig und verschleiert. Aber auch das kann reizvoll sein.

Lovis Corinth (1858-1925) hat in seinem Bild "Waldstück bei Dachau" von 1893 ein bemerkenswertes Gemälde geschaffen, das mit seinen vielfarbigen Klecksen unruhig wirkt, nervös, fast flirrend. Bis man sich auf den hinter den Baumstämmen silbern leuchtenden Himmel fokussiert, und auf sich einmal in der herrlichsten Waldesruh wiederfindet; das Gegenlicht, lässt Farben und Formen verschwimmen. Bei diesem Gemälde kann man beispielhaft den suggestiven Sog impressionistischer Kunst erleben, man muss sich nur darauf einlassen können und wollen.

Das Impressionisten-Dreigestirn Lovis Corinth, Max Liebermann und Max Slevogt leuchtet noch heute, Künstler wie Adolf Hölzel, Ludwig, Dill oder Bernhard Buttersack sind zumindest im Dachauer Raum Namen, mit denen man noch etwas anfangen kann. Aber wer kennt heutzutage noch Otto Reiniger (1863-1909)? Der Sohn eines Zigarrenfabrikanten studierte in Stuttgart und schuf Landschaftsgemälde von faszinierender Intensität. Man hat die süße Wärme einer Sommerwiese in der Nase, wenn man seine farbstrotzenden Obstbaum-Bilder sieht und ein Frösteln auf den Armen, wenn man seine klirrenden Winterlandschaften aus nuancenreich schimmernden Schnee betrachtet.

Reiniger war zu seiner Zeit eine Berühmtheit, er gewann zahlreiche Preise. Dann geriet er in Vergessenheit. Bis Barbara Stark von der Wessenberg-Galerie Konstanz ihn neu entdeckte. Und das kam so: Vor einiger Zeit stattete sie einem schwäbischen Kunstsammler in seinem Hamburger Domizil einen Besuch ab, der Mann hatte sich auf süddeutsche Impressionisten spezialisiert, und die Kunstexpertin kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. "Es war sehr beeindruckend", sagt sie. Vor allem Reinigers Arbeiten hatten es ihr angetan. Für sie sei der Künstler selbst "eine neue Entdeckung" gewesen, schwärmt die Leiterin der Konstanzer Galerie.

Dort hatte sie schon eine äußerst aufwendige Ausstellung auf die Beine gestellt. Wegen des Lockdowns bekam sie dann aber kaum einer zu sehen. Jetzt erlebt sie im Rahmen der Landpartie, einer Kooperation der Museen rund um München, eine glückliche Neuauflage in der Dachauer Gemäldegalerie. Rund 80 Arbeiten des süddeutschen Impressionismus sind zu sehen, ergänzt um einige Bilder aus der Künstlerkolonie Katwijk aan Zee aus Elisabeth Bosers letzter Ausstellung. Diese Schau in der Gemäldegalerie Dachau war ja ebenfalls großteils den Corona-Maßnahmen zum Opfer gefallen.

Boser hat die Bilder nach Themenfeldern gegliedert: Landschaften, bäuerliches Leben, Dachau-Motive, Personen, Badeszenen, Technik und auch ein bisschen Exotik: Italien, Holland, Marokko. Ein anderes Ordnungsprinzip wäre auch schwierig gewesen, die Künstler wechselten oft die Standorte, sie pflegten unterschiedliche, teils wechselnde Stile, aber die meisten hatten ihre bevorzugten Sujets.

Die neue Zeit lieferte den Künstlern neue Motive, Industrialisierung und Urbanisierung schritten rasant voran. Hermann Pleuer (1863-1911) etwa fand seine Szenen in Fabriken und vor allem an Bahnhöfen, Pleuer war verrückt nach Eisenbahnen. Immer wieder setzte er dampfende Lokomotiven in Szene, umwölkt von Rauch über dem Lichtspektakel auf dem blanken Stahl der Gleise. "Er hat sogar eine Eisenbahnertochter geheiratet", erzählt Barbara Stark. Otto von Faber du Faur (1828-1901), ursprünglich Schlachtenmaler, wechselte seinen Stil nach einer Reise nach Marokko radikal und schuf fortan eindrucksvolle Szenen orientalischer Reiter, die in afrikanischer Farbpracht schwelgten, aber in ihrer reduzierten Formsprache bei seinen Zeitgenossen nur Kopfschütteln ernteten.

Heute nehmen Besuch an ganz anderen Dingen Anstoß, nämlich an den Badebildern von Christian Landenberger und Max Liebermann. In Konstanz wurde Barbara Stark einige Male von irritierten Besuchern darauf angesprochen: Knaben am Fluss, nackt wie Gott sie schuf, ob man das denn so einfach zeigen könne. Für Stark ist das keine Frage. "Der menschliche Körper in der Natur, das ist das Natürlichste, des gibt", sagt sie, warum sollte sie die Bilder nicht zeigen, dieses Wechselspiel von Licht und Farbe und Flächen, von Wasser und Haut. "Das wäre ja Zensur." Der Kopf gibt ihr recht, doch ein diffuses Unbehagen bleibt; im 21. Jahrhundert ist es nicht mehr so leicht, diese Bilder mit der Unbefangenheit eines Menschen aus dem 19. Jahrhundert zu bewundern.

Und wer jetzt fragt, was denn bitteschön mit den Malerinnen ist - ja, Frauen gab es auch im süddeutschen Impressionismus, wenngleich ihre Zahl bestürzend gering war. In dieser Ausstellung ist nur eine einzige vertreten: Maria Caspar-Filser (1878-1968), deren zarter "Frühling auf der Schwäbischen Alb" von 1907 zu sehen ist. 1925 wurde ihr an der Münchner Kunstakademie der Professorentitel verliehen. Sie war die erste Malerin in Deutschland, der diese hohen Weihe zuteil wurde.

Licht, Luft und Farbe - Malerei süddeutscher Impressionisten. Gemäldegalerie Dachau. Öffnungszeiten Dienstag bis Freitag 11 bis 17 Uhr. Samstag, Sonntag und Feiertag 13 bis 17 Uhr. Zu sehen bis 10. Oktober.

© SZ vom 17.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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