Dobryy Den, Dachau:Salzige Knödel bringen Tränen

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Anna Huryn aus Kiew schreibt die wöchentliche Kolumne "Dobryy Den, Dachau" für die SZ Dachau. (Foto: Illustration: Bernd Schifferdecker)

Anna Huryn ist aus der Ukraine nach Dachau geflohen. Die 21-Jährige berichtet wöchentlich über ihr Ankommen im Landkreis. In der 20. Folge beschreibt sie über die kalendarische Verwirrung um Neujahr und Weihnachten.

Kolumne von Anna Huryn, Dachau

Am 19. Dezember fand ich ein Stückchen Schokolade unter meinem Kopfkissen. Meine Mutter, die mit mir in Dachau lebt, hatte es mir darunter versteckt zum ukrainischen Nikolaustag. Dabei hatten mich schon in den zwei Wochen davor lauter Leute gefragt, ob ich wohl Schokolade im Schuh vom Nikolaus gehabt hätte. Im Schuh? Nein. Da gab es dann immer eine leichte Verwirrung. Für uns folgt die ganze Feiertagssaison ja einem anderen Kalender und anderen Traditionen als in Deutschland.

In der Ukraine ist es normal, das Neujahrsfest zwei Mal im Jahr zu feiern: am 1. Januar und am 14. Januar, je nachdem, ob man den neuen oder den alten Feiertag begeht. Für Nicht-Ukrainer ist es immer wieder erstaunlich, wenn der Begriff vom "alten Neujahr" fällt.

Wie kann Silvester vor Weihnachten liegen?

Die Ukraine ist ein multikulturelles Land, in dem Menschen unterschiedlicher Glaubensrichtungen schon lange gemeinsam leben. Alle, die römisch-katholisch oder protestantisch sind, feiern Weihnachten am 25. Dezember nach dem georgischen Kalender. Griechische Katholiken und orthodoxe Christen folgen dem julianischen Kalender und feiern Weihnachten am 7. Januar. In der Ukraine schenken wir uns aber unsere Geschenke meist zum neuen Neujahrsfest - nicht an Weihnachten wie in Deutschland. Vielleicht auch deshalb, weil das neue Neujahrsfest am 1. Januar ja vor dem Weihnachtsfest am 7. Januar liegt.

Ich bedauere es sehr, dass ich Silvester nicht in der Ukraine feiern kann. Ich wäre vielleicht sogar hingefahren, aber ich wollte meine Mutter nicht alleine lassen. Und wenn ich sie mitgenommen hätte, wäre sie wahrscheinlich in der Ukraine geblieben, das wollte ich verhindern. Also bleiben wir beide hier.

Eine Kirsche als Teigtaschenfüllung bedeutet Erfolg fürs neue Jahr

Ich habe vor, mich zum Neujahrsfest mit ukrainischen Freunden in Dachau oder Altomünster zu treffen. Wir kochen dann traditionelles Essen wie Fleischbällchen, süße Pfannkuchen mit Quark, Käse und Rosinen oder auch eine Art Teigtaschen mit unterschiedlichen Füllungen, sogenannte Wareniki. Übrigens machen wir an Silvester immer Überraschungs-Wareniki mit unterschiedlichen Füllungen, auch ungenießbaren. Da können dann schon mal Münzen oder Knöpfe drin versteckt sein, man sollte sie also vorsichtig essen. Wenn man eine Kirsche als Füllung erwischt, bedeutet das Erfolg fürs neue Jahr. Ein Korn oder eine Münze stehen für kommende Fülle. Und besonders salzige Knödel sagen Tränen und Trauer voraus.

Wareniki sind in der Ukraine so etwas wie ein Nationalgericht. (Foto: Artur Widak/IMAGO/NurPhoto)

Vor dem Krieg gab es in der Ukraine auch immer viel Feuerwerk an Silvester. Meine Freunde und ich haben oft Raketen angezündet. Jetzt macht das keiner mehr. Das Geräusch macht inzwischen einfach zu viel Angst, es klingt wie der nächste Bombenangriff. Ich denke, dass dieses Jahr und auch in den kommenden Jahren Feuerwerkskörper in der Ukraine nicht sonderlich beliebt sein werden.

Wenn ich einen Wunsch fürs neue Jahr frei hätte, wäre es der Sieg der Ukraine - und endlich Frieden. Ich persönlich habe mir auch einiges vorgenommen: Ich will meinen Master-Abschluss in Jura bestehen im Online-Studium an meiner Kiewer Uni, ich will Deutsch auf C1-Niveau sprechen, einen guten Job finden und Barcelona besuchen. Am meisten aber hoffe ich, nächstes Jahr das Neujahrsfest wieder mit meiner Familie in Kiew feiern zu können.

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Von Anna Huryn

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