Dachauer Nachtleben in der Krise:Die letzte Runde

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Nachtschwärmerlokale wie Rislan Aslan-Hamals Bar "La Tapa" in der Dachauer Altstadt bekommen die vorgezogene Sperrstunden besonders schmerzlich zu spüren. (Foto: Toni Heigl)

Für die Dachauer Gastronomie sind die Folgen der Corona-Pandemie verheerend. Die Umsätze sind dramatisch eingebrochen, wegen steigender Infektionszahlen wurde nun auch noch die Sperrstunde verschärft. Viele Wirte bezweifeln, dass ihre Lokale diesen Einschnitt überleben werden.

Von Benjamin Emonts, Dachau

Freitagabends nach 22 Uhr blühte die Bar "La Tapa" in der Dachauer Altstadt erst richtig auf. Nach getaner Arbeit freuten sich die Gäste auf ihr wohl verdientes Wochenende, sie tranken ausgiebig, gaben Geld aus und blieben bis spät in die Nacht sitzen. Die Pandemie jedoch änderte das schlagartig. Auf den Lockdown folgte im Sommer lediglich eine kurze Phase der Erholung, die mit den jüngsten Corona-Auflagen wieder jäh beendet wurde. Nach 22 Uhr vergnügt sich im "La Tapa" niemand mehr, weil es die neue Sperrstunde verbietet. Die Bar steht deswegen nun vor dem Aus. "Wenn das noch ein, zwei Monate andauert, muss ich Insolvenz anmelden", sagt Inhaberin Rislan Aslan-Hamal.

Das "La Tapa" ist beileibe nicht das einzige Lokal in Dachau, das ums Überleben kämpft. Sollte sich die Situation nicht bald ändern, könnte die Pandemie die Dachauer Gastronomielandschaft nachhaltig ausdünnen. Bars und Restaurants - von Clubs ganz zu schweigen - haben unter den neuen Corona-Auflagen besonders schwer zu leiden. In Landkreisen wie Dachau, die den Inzidenzwert von 50 überschritten haben, müssen Wirte um 22 Uhr schließen. Pro Tisch dürfen sie höchstens fünf Personen oder zwei Hausstände bewirten. Sollte der Inzidenzwert 100 erreicht werden, würde die Sperrzeit sogar noch eine Stunde früher beginnen.

Aber auch Lokale das wegen seiner Burger beliebte "Effe&Gold", das "Piccolo Amalfi" haben derzeit schwer zu kämpfen. (Foto: Toni Heigl)

Die Gastronomen sehen die Überlebenschancen ihrer Betriebe durch die verschärften Regeln erheblich sinken. Organisationen wie der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband, kurz Dehoga, üben inzwischen massive Kritik an den neuen Auflagen. Landesgeschäftsführer Thomas Geppert erklärte am Donnerstag in einer Pressemitteilung: "Ich halte die Verschärfungen für kontraproduktiv und in höchstem Maße existenzgefährdend." Die nunmehr beschlossenen Regelungen kämen einem "Quasi-Lockdown" für die bayerische Gastronomie gleich.

Ganz ähnlich beurteilen die Gastronomen in Dachau die Situation. Die Infektionsgefahr in ihren Lokalen halten sie für gering, weil sie die Abstands- und Hygieneregeln penibel befolgten. "Die Sperrstunde ist abstrus", sagt Daniel Zull, der Geschäftsführer des Burgergrills "Effe & Gold" in der Altstadt. Zull ist überzeugt, dass man die Leute "lieber kontrolliert im Restaurant als unkontrolliert zuhause" feiern lassen sollte, zumal sich die Infektionsketten im Privaten deutlich schlechter nachvollziehen ließen. Die seit dem Beginn der Pandemie verkürzten Öffnungszeiten bis 23 Uhr behielt Zull trotz der Lockerungen im Sommer bei, "damit wir nicht zum Corona-Hotspot erklärt und zugesperrt werden". Dennoch würden Restaurants angesichts steigender Infektionszahlen nun zum "Sündenbock" erklärt. Die Zahl seiner Kunden sei innerhalb der vergangenen Woche um etwa zwei Drittel eingebrochen. Die staatliche Soforthilfe aus dem Sommer sei nur ein Tropfen auf den heißen Stein gewesen, zumal einer seiner zwei Anträge abgelehnt wurde. Zull befürchtet, dass er womöglich zusperren muss, wenn sich nicht bald etwas ändert.

Das Bakalikon in der Dachauer Alstadt. (Foto: Toni Heigl)

Besonders betroffen von den neuen Regelungen sind jene Lokale, in denen die Dachauer früher auch gerne mal länger sitzen geblieben sind. Im "La Tapa" beispielsweise ging die Party erst in den späten Abendstunden richtig los. Den Großteil ihres Umsatzes machte Inhaberin "Resi" Aslan-Hamal mit Cocktails und Spirituosen. Dieses Hauptgeschäft fällt nun komplett weg. Institutionen wie der "Rauchfang" am Fuße der Altstadt, der für Nachtschwärmer und Übriggebliebene immer die letzte Anlaufstation war, verlieren mit der Sperrstunde ihre Geschäftsgrundlage. Die meisten Gäste, darunter viele Angestellte aus der Gastronomie, trudelten bei Inhaber Baris Erdem erst spät in der Nacht ein und blieben dann bis zum Morgengrauen. Dass er nun schon um 18 Uhr aufsperrt, bringe ihm herzlich wenig. "Wir haben null Kundschaft", sagt Erdem. Seinen Betrieb könne er trotz des passablen Liefergeschäfts bereits seit Monaten nur noch mit seinen Ersparnissen am Leben erhalten. "Die Situation ist finanziell und für den Kopf sehr anstrengend", sagt Erdem. "Ich hoffe, dass ich das noch bis Ende des Jahres durchhalten kann."

Schwer getroffen hat die Lokale auch der Ausfall des Dachauer Volksfests und von Großveranstaltungen wie "Jazz in allen Gassen". Sie hatten jedes Jahr Tausende Menschen nach Dachau gelockt, die sich zu späterer Stunde noch ein paar Absacker in den Kneipen gönnten. Nach den immensen Umsatzeinbußen durch den Lockdown hatten sich viele Betriebe in den Sommermonaten mühsam zurückgekämpft, bis nun der nächste Dämpfer kam. Im "Luja" am Dachauer Bahnhof spricht Chefin Karin Wieghorst von einem "brutalen Umsatzeinbruch" von 50 bis 60 Prozent, seit es die Sperrstunde gibt. "Es rentiert sich fast gar nicht mehr aufzusperren."

Das "Piccolo Amalfi" in der Augsburger Straße. (Foto: Toni Heigl)

Mehrere Initiativen von Gastronomen in Bayern versuchen, die Staatsregierung nun zu überzeugen, dass ihre Lokale keine Infektionsherde sind. Eine Initiative namens "Save our local Gastro" (SolG) hat eine Umfrage bei 140 Lokalen im Raum München durchgeführt und veröffentlicht. Demnach wurde in 95 Prozent der Betriebe bisher kein Corona-Fall nachgewiesen. In sieben Lokalen gab es jeweils eine Ansteckung, in vier davon beim Personal, dreimal bei Gästen. Nur in einem dieser Fälle kam es zu einer Folgeansteckung.

Die wirtschaftlichen Konsequenzen durch die neuen Regelungen sind laut der Umfrage dramatisch. Ein gutes Drittel der Gastro-Betriebe schätzt die Chancen für seinen Fortbestand als "schlecht" oder sogar "sehr schlecht" ein. Nur 8,8 Prozent, das spiegelt sich auch in Dachau wieder, sind überzeugt, dass es ihr Lokal im nächsten Jahr überhaupt noch geben wird.

© SZ vom 24.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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