Amtsgericht:"Man muss nicht alles dulden, was man von der Polizei erleiden muss"

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Am Autoscooter auf dem Indersdorfer Volksfest hat die Rangelei begonnen. (Foto: Toni Heigl)

Auf dem Indersdorfer Volksfest werden zwei junge Männer von Zivilbeamten kontrolliert. Die Situation eskaliert, doch nun wurden beide freigesprochen.

Von Jonas Junack, Dachau

Eine Polizeikontrolle auf dem Indersdorfer Volksfest endet in einer heftigen Rangelei. Nun sitzen zwei junge Männer wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte auf der Anklagebank. In diesem Fall ist es bereits der zweite Verhandlungstermin - und am Anfang von alldem war ein Joint.

Am 19. Mai 2023 sind die beiden Männer mit einer Gruppe von Freunden auf dem Volksfest in Markt Indersdorf unterwegs. Die Musik dröhnt am Autoscooter, es wird Alkohol getrunken und gekifft. Es ist der Geruch nach Cannabis, der die Polizisten auf den Plan ruft, die in Zivilkleidung das Festgelände patrouillieren. Die Beamten rufen ihre Kollegen dazu und kontrollieren die beiden Angeklagten. Einer von ihnen, der 23-jährige Hauptangeklagte, ist polizeibekannt, in seiner Akte stehen Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz, drei Jahre Haft hat er bereits hinter sich. Dann eskaliert die Situation.

Der Angeklagte wehrt sich gegen die Polizeikontrolle, lässt seine Wut an einem Bauzaun raus. Die Polizisten fixieren ihn mit Handschellen, drücken ihn gewaltsam zu Boden, während er Beleidigungen in russischer Sprache von sich gibt. Richterin Cornelia Handl zeigt Fotos von Verletzungen am Kopf und an den Handgelenken des Angeklagten. Auch die beteiligten Polizisten sind auf den Bildern zu erkennen, mit leichten Blessuren an den Knien und Schmutz auf ihren Uniformen. Der zweite Angeklagte ist ebenfalls zu sehen. Während die Beamten seinen Freund am Tatabend zu Boden pressen, eilt er hinzu und zieht einen der Polizisten beiseite. Auch der Nebenangeklagte hat bereits ein gefülltes Vorstrafenregister.

"Nicht dass der auf der Kante aufschlägt"

Nun sitzen beide im sonnendurchfluteten Gerichtssaal. Der Hauptangeklagte in schwarzem Oberteil und mit kurzen blonden Haaren. Immer wieder klammert er sich an die Tischkante, ist auf seinem Stuhl stets in Bewegung. Sein Freund - groß, mittellanges blondes Haar und grauer Sweater - ist ganz ruhig. Beide beantworten freimütig die Fragen der Richterin und des Jugendhelfers von der Brücke Dachau, der an dem Strafverfahren als Berater ebenfalls beteiligt ist. Beide behaupten, wie auch am ersten Verhandlungstag, dass die Maßnahmen der Polizei grob und unverhältnismäßig gewesen seien. Die Beamten hätten ihn, sagt der Hauptangeklagte, über die scharfkantigen Eisenplatten am Autoscooter gezogen. Dabei seien die Verletzungen entstanden.

Der erste und einzige Zeuge ist ein gemeindlicher Sozialpädagoge, der am Tatabend ebenfalls auf dem Volksfest war, um genau in solchen Extremsituationen zu schlichten. Er kenne die beiden Angeklagten aus der Jugendarbeit, sagt er. Auch er habe die Maßnahmen der Polizisten als sehr hart empfunden. Als er am Autoscooter eingetroffen sei, hätten die Polizisten den Angeklagten zu Boden gebracht. Er habe gedacht: "Nicht dass der auf der Kante aufschlägt", sagt der Pädagoge. Ein weiterer Zeuge, ein Freund der beiden Angeklagten, der zur Tatzeit ebenfalls auf dem Volksfest war, erscheint nicht vor Gericht.

Ein Jahr und sieben Monate Haft oder Freispruch

Für den Hauptangeklagten fordert die Staatsanwältin in ihrem Abschlussplädoyer ein Jahr und sieben Monate Haft, wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte, versuchter Körperverletzung und Beleidigung. Für seinen Freund beantragt sie wegen Gefangenenbefreiung lediglich zwei Wochen Jugendarrest und 64 Sozialstunden.

Verteidiger Joachim Schwarzenau, ein hagerer Mann mit wuscheligem Haar, richtet sich auf. Er plädiere auf "kompletten Freispruch". In seinen 28 Jahren als Rechtsanwalt, habe er dies in Verfahren mit Polizeibeteiligung noch nie getan, doch hier "passt nichts". Die Kontrolle sei in Ordnung gewesen, doch die Frage sei, worin sie münden sollte, so der Rechtsanwalt. Nachdem die Polizisten keine Drogen gefunden hatten, wäre nur ein Platzverweis angebracht gewesen, stattdessen hätten die Beamten seinem Mandanten sehr enge Handschellen angelegt. Ob dieser bleiben oder gehen solle, sei bei der Strategie der Einsatzkräfte unklar gewesen. Der Angeklagte sei davon "zurecht erbost" gewesen, denn "man muss nicht alles dulden, was man an Maßnahmen von der Polizei erleiden muss". Die Handlungen der Polizei seien somit nicht rechtmäßig gewesen, eher greife der Notwehrparagraf, sagt der Anwalt.

Danach herrscht kurz Stille. Ein paar Minuten grübelt die Richterin. Und dann entscheidet sie auf Freispruch. Auf der Anklagebank wird gejubelt. Mit einem klatschenden High Five beglückwünschen sich die beiden jungen Männer.

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